Witten. Aushilfe gesucht! Das Schild klebt schon länger an der Tür von Café Jané in Witten. Viele Wirte suchen weiterhin verzweifelt Personal. Was tun?
Mitten im Sommer, der besten Zeit für die Außengastronomie, klagen viele Wittener weiterhin über drastischen Personalmangel. „Eine Katastrophe“, sagt Alireza Kordi vom „Pavarotti“ auf dem Rathausplatz. „Du musst beten, dass du den Tag überstehst“, schlägt Yusuf Kilinc Alarm. Er betreibt mit Café Jané und dem Casa Cuba gleich zwei Lokale. Doch teilen kann sich der Wittener nicht.
Es ist Dienstagmorgen, das Café von Yusuf vor der Stadtgalerie füllt sich langsam. Gerade bedient Aghayeva die Gäste, eine junge freundliche Frau, die seit fast drei Jahren kellnert und einem Mann sein Frühstück bringt. Einen „Glücksfall“ nennt ihr Chef sie. Um so härter trifft es den Mittfünfziger, dass die 24-Jährige im August aufhört. Sie beginnt eine Ausbildung als MTA, obwohl ihr der Minijob in der Gastronomie Spaß macht. „Aber eine richtige Ausbildung ist wichtig“, sagt Aghayeva.
Aushilfen in Wittener Café sagen kurzfristig ab
Erst heute Morgen hat Yusuf Kilinc von einer anderen Aushilfe wieder eine Nachricht auf dem Handy, dass sie aus privaten Gründen kurzfristig verhindert sei. Nun muss sich der gebürtige Kurde sputen, dass er sein zweites Lokal, das Casa Cuba auf dem Rathausplatz, selbst morgens um zehn öffnet.
Yusuf, der seinen Beruf als Gastronom eigentlich liebt, wirkt frustriert, abgearbeitet. Von morgens um sieben bis nachts um zwei sei er auf den Beinen, das hinterlässt Spuren. Gerade fällt ihm ein, dass er heute Morgen einen Arzttermin gehabt hätte. Seit Wochen klebt an seiner Tür ein Schild: „Aushilfe gesucht!“ Und, schon jemanden gefunden? Nein, würde der Zettel sonst noch hängen?
„Den Leuten geht es gar nicht ums Geld. Sie wollen einfach nicht arbeiten“, sagt der Wirt ernüchtert. Das ist jedenfalls sein persönliches Fazit nach unzähligen Gesprächen und vergeblichen Versuchen, jemanden anzulernen. „Wenn sie die Tische abwischen sollen, hörst du Sprüche wie „Ich bin doch keine Putzfrau“, meint Kilinc. Früher seien die Menschen verantwortungsvoller gewesen, was ihre Arbeit angeht. Heute würden viele schon nach ein paar Wochen das Handtuch werfen, „weil sie keine Lust mehr haben“.
Auch die Arbeitsagentur kann keine Kräfte nach Witten schicken
Die Aushilfen, sagt Yusuf, „kommen und gehen“. Und wegen ein paar Hundert Euro mehr würden sich viele nicht auf den Job einlassen wollen und lieber zum Sozialamt gehen oder Hartz IV kassieren. Nur noch die wenigsten seien zuverlässig. „Wenn schönes Wetter ist, haste schon verloren, dann wollen sie ins Schwimmbad. Und wenn’s schlecht ist, haste auch verloren. Dann ist es ihnen zu kalt.“
Auch bei der Arbeitsagentur wurde der Gastronom nicht fündig. „Entweder kommste telefonisch erst gar nicht durch oder sie schicken dir keinen“, klagt der Wirt mit den zwei Innenstadt-Lokalen, übrigens „tollen Locations“, wie er selbst sagt. Die guten Leute seien alle vergeben. Wenn er niemanden finde, müsse er die Öffnungszeiten wohl einschränken.
Auch Pavarotti-Wirt Alireza Kordi (56) ist alles andere als glücklich. Auf seine Stellenanzeigen habe sich niemand gemeldet. Jetzt versuche er, „16- und 17-jährigen Schülerinnen und Schülern Gastronomie beizubringen“. Die angespannte Personalsituation sei momentan „eine Katastrophe“. Nach Corona ist der Trattoria auf dem Rathausplatz eine festangestellte Kellnerin geblieben. „Sie ist fast 60 und am Ende, wenn sie von 12 bis 17 Uhr gearbeitet hat.“
Dabei sah es vor Corona noch gut aus, sagt Kordi, „ich hatte viele Studenten“. Die seien dann während des Lockdowns bei Ostermann oder Boni gelandet, selbst wenn sie dort weniger verdient hätten. Der gebürtige Perser zahlt nach eigenen Angaben Mindestlohn, der aktuell bei 10,45 Euro liegt und ab August auf zwölf Euro steigt. Arbeitsagentur-Sprecher Ulrich Brauer bestätigt, dass seit der Pandemie viele Kräfte nicht mehr in die Gastronomie zurückgekehrt seien.
Dass es aber auch anders geht, zeigt sich zum Beispiel am Café Möpschen, wo Chefin Heike Köhler (57) nach eigenen Angaben fast „alles selbst macht“ oder dem Extrablatt, dem größten Café in der Innenstadt. Dort sieht man seit Jahren viele vertraute Gesichter unter den Kellnerinnen und Kellnern. Betriebsleiterin Betül Dogan (29): „Ich hatte noch nie Personalprobleme, weder vor noch nach Corona.“
Von den 40 Beschäftigten sind ihren Angaben zufolge nur zehn Aushilfen. Was das Geheimnis sei? Das wisse sie nicht, sagt Dogan. Es komme aber auch auf die Einstellung der Führungskräfte an. „Sie müssen auch nett zu ihren Leuten sein, die das Geld für sie eintreiben.“ Womit sie nicht gesagt haben will, dass ihre Kolleginnen und Kollegen in Witten das nicht sind. „Die anderen sind auch gute Gastronomen.“ Nur eben mit dicken Personalproblemen.