Witten. Das Wittener Seniorenheim an der Pferdebachstraße schult seit neuestem Supermarkt-Mitarbeiter. Die Kooperation ist wohl einmalig in Deutschland.

Eine in Deutschland wohl einzigartige Kooperation gibt es jetzt zwischen den Feierabendhäusern und dem Boni-Center in Witten. „Supermärkte müssen seniorengerechter werden“, sagt Andreas Vincke, Leiter des Altenzentrums am Schwesternpark, der die Probleme seiner Bewohner beim Einkaufen kennt. Deshalb arbeitet sein Haus jetzt mit dem nahe gelegenen Lebensmittelmarkt zusammen.

Die Feierabendhäuser schulen Mitarbeiter von Boni im Umgang mit älteren Menschen. Heimleiter Vincke: „Wir versprechen uns eine Menge davon.“ Denn: „Wir entwickeln uns hier an der Pferdebachstraße zum Quartier.“ Mit der Fertigstellung der 55 barrierefreien Wohnungen werden bald über 130 Senioren auf dem Gelände der Diakonie leben.

Erste Schulung im Wittener Seniorenzentrum hat bereits stattgefunden

Vincke konnte das Boni-Center schnell für seine Idee begeistern. Die erste Schulung fand inzwischen statt. Fünf Auszubildende und die stellvertretende Filialleiterin Emine Agirkaya nahmen daran teil. Sechs Stunden haben sie beim Tagesseminar im Seniorenzentrum verbracht. „Ich war noch nie in einem Altenheim. Ich habe mir das immer wie ein Krankenhaus vorgestellt“, sagt Agirkaya. Sie ist überrascht, wie gemütlich die Zimmer und Aufenthaltsräume sind. „Die haben sogar eigene Möbel“, sagt ein Auszubildender.

Ausgezeichnet: Die Boni-Azubis haben von Bürgermeisterin Sonja Leidemann (links) ein Zertifikat für ihre Qualifizierung auf dem Weg zum seniorengerechten Supermarkt bekommen. Rechts der Leiter der Wittener Feierabendhäuser, Andreas Vincke.
Ausgezeichnet: Die Boni-Azubis haben von Bürgermeisterin Sonja Leidemann (links) ein Zertifikat für ihre Qualifizierung auf dem Weg zum seniorengerechten Supermarkt bekommen. Rechts der Leiter der Wittener Feierabendhäuser, Andreas Vincke. © FUNKE Foto Services | Jürgen Theobald

Die angehenden Verkäufer haben nicht nur einen optischen Eindruck davon bekommen, wie alte Menschen wohnen. Sie erhielten auch Antworten auf Fragen wie: Was ist Alter? Was ist Demenz? Sie haben sich in einen Alterssimulationsanzug gezwängt und am eigenen Leib zu spüren bekommen, wie es ist, wenn man schlecht sieht, hört oder die Beweglichkeit eingeschränkt ist.

Zwei Bewohnerinnen erzählen von ihren Problemen im Supermarkt

Mit dabei waren auch zwei Bewohnerinnen der Feierabendhäuser. Die eine ist auf den Elektro-rollstuhl angewiesen, die andere ist fast blind. Sie erzählten von ihren Problemen beim Einkauf. Schmale Gänge seien etwa für Rollstuhl- oder Rollatorfahrer ein Hindernis. Jene Frau, die kaum noch sehen kann, muss viele Produkte in die Hand nehmen, bevor sie das Richtige findet. Joghurtbecher zum Beispiel erkenne sie an der Form. Ein großes Problem: Wenn Ware beim Einräumen auf dem Boden steht und ein Hindernis darstellt. „Dafür haben aber viele Verständnis, das können wir ja auch nicht ändern“, sagt Emine Agirkaya, die stellvertretende Filialleiterin.

Sitzbank bis Lieferservice

Das Projekt „Seniorengerechtes Einkaufen“ wird von der Bürgermeisterin und der Gesundheitswirtschaft unterstützt.

Auch andere Supermärkte haben sich auf ältere Kunden eingestellt. So bieten Edeka Grütter in Herbede und Rewe Kesper in Rüdinghausen einen Lieferservice an. Edeka Hasler in Stockum kooperiert mit dem Service „Flinke Biene“, der für Kunden einkauft. Bei Edeka Grütter gibt es eine Sitzbank an der Fleischtheke, Einkaufswagen für Rollstuhlfahrer und „nicht so hohe Regale“, so der Chef.

Nun ist es nicht so, dass die Boni-Mitarbeiter – 90 bis 100 haben in verschiedenen Schichten und Abteilungen mit Kunden zu tun – nicht sowieso helfen, wenn es nötig ist. „Für alle gilt: Wenn der Kunde nach einem Produkt fragt, dann soll der Mitarbeiter mit ihm zum richtigen Regal gehen“, sagt Agirkaya.

Bei Boni gibt es schon Sitzgelegenheiten und Lupen an den Einkaufswagen

Trotzdem gebe es natürlich besondere Situation mit älteren Menschen – etwa in der Schlange an der Kasse. Wenn der Senior sein Portmonee hervorkramt, das Kleingeld zählt und schließlich der Kassiererin vertrauensvoll die Börse in die Hand drückt, sei Geduld nötig. Agirkaya: „Manche vergessen auch zu bezahlen.“ Dann werde natürlich nicht gleich Anzeige erstattet. „Manche suchen auch oft das längere Gespräch“, hat ein Mitarbeiterin. Daran merke man, wie einsam alte Menschen sein können.

Übrigens hat das alteingesessene Boni-Center, das es seit 50 Jahren in Witten gibt, sich durchaus schon auf die Bedürfnisse älterer Kundschaft eingestellt: So gibt es Sitzgelegenheiten im Markt, Einkaufswagen mit Lupe, eine Einpackhilfe. Und ein Taxi wird bei Bedarf auch kostenlos gerufen.