Oberhausen. Die Autoren der Geschichtswerkstatt Oberhausen berichten im Mai-Heft vom literarischen Audiowalk und vom Widerstand in der Arbeitersiedlung.
Für ein Geschichtsjournal geradezu „tagesaktuell“ präsentiert sich die Mai-Ausgabe des zweimal jährlich erscheinenden „Schichtwechsel“. Auf 40 Seiten, etwas schmaler als zuletzt, würdigt nämlich das Heft der Geschichtswerkstatt Oberhausen die noch bis zum Wochenende im Kaisergarten präsente Ausstellung über jüdische Sportstars und folgt dem Ralf-Rothmann-Audiowalk „Overhausen“, der in diesem Monat um eine zweite Strecke erweitert wurde.
Für die Titelgeschichte allerdings wirbt eine ungewöhnliche Foto-Montage, obwohl Historiker ja eigentlich aus guten Gründen manipulierte Fotografien scheuen müssten. Doch unter der Schlagzeile „Die Wohnkolonie am Dunkelschlag“ vereinen sich gekonnt das historische Foto von Kindern in der einstigen Siedlung für die Arbeiterfamilien der Zeche Sterkrade mit dem heutigen Straßenbild und etlichen vor den dunklen Backsteinhäusern geparkten Autos. Klaus Offergeld erzählt dazu die Historie des Dunkelschlags von ihren Anfängen vor 120 Jahren als „Alte Kolonie“ bis zur ihrer Rettung, als das Bauensemble 1987 endlich unter Denkmalschutz gestellt wurde.
Als Leser dieser teils dramatisch erzählten Chronik mag man sich allenfalls fragen, warum die Dunkelschlagsiedlung nicht eine Berühmtheit wie Eisenheim erreichte: Die Anlage ist ähnlich geschlossen erhalten – und die Bewohner standen über die Jahrzehnte ebenso entschlossen für ihre Siedlung ein. Der „Schichtwechsel“-Autor beschreibt die Not während der Weltwirtschaftskrise und der NS-Tyrannei – aber auch die teils brachialen Pläne der Nachkriegsjahre, als man Industrieanlagen oder Rohrleitungen quer durch den Dunkelschlag fräsen wollte. Und er würdigt als „Kumpel und Kämpfer“ den Bergmann, Antifaschisten und Gewerkschafter Johann Grohnke als engagierten Streiter für die Kolonie.
Katholischer und kommunistischer Widerstand vereint
Die anrührendste Würdigung eines Schicksals unter der Nazi-Herrschaft gelingt im aktuellen „Schichtwechsel“ allerdings Karl-Friedrich Limburg: Dabei schreibt er in durchaus sachlichem Ton über seinen Vater Dr. Albert-Otto Limburg, in dessen Persönlichkeit sich katholischer und kommunistischer Widerstand auf rare Weise vereinten. Als Reporter schrieb er für die lokale „Ruhrwacht“ ebenso wie als „Arbeiter-Korrespondent“ für der KPD nahe Blätter. Das NS-Regime inhaftierte Limburg als vermeintlichen „früheren Großfunktionär“; er durchlitt die KZ Esterwegen im Emsland, Sachsenhausen und Buchenwald.
Die Kriegsschicksale seiner damals noch jugendlichen Eltern waren das große Thema der letzten drei Romane von Ralf Rothmann: Auf sechs Seiten „Literatur am Tackenberg“ würdigt Christoph Strahl den Romancier, der ausdrücklich nie zu den „Literaten der Arbeitswelt“ zählen wollte, anlässlich seines 70. Geburtstages. Den feierte Ralf Rothmann als Gast des Literaturhauses mit einer Lesung im Theater Oberhausen. Detailliert beschreibt Strahl die Stationen des „Overhausen“ genannten Audiowalk (was sich putzigerweise auch als „Gehör-Gang“ übersetzen lässt). Der erst vor zwei Wochen eingeweihte zweite Teil des literarischen Spaziergangs ist hier allerdings noch nicht beschrieben.
Multi-Vereinsgründer und „Kicker“-Herausgeber
Von höchster Aktualität für eine Halbjahreszeitschrift ist auch der lobende Blick auf die Freilicht-Ausstellung der Gedenkhalle zu jüdischen Sportstars im Kaisergarten: Hier beleuchtet Autor und „Schichtwechsel“-Herausgeber André Wilger genauer die Lebenswege von Gretel Bergmann und Walther Bensemann (1873 bis 1934), dessen Pioniertaten im Fußballsport kaum zu überschätzen sind: Als Internatsschüler im schweizerischen Montreux am Genfer See hatte er die „britische Torheit“ namens Soccer kennengelernt. In Deutschland war Bensemann an der Gründung einer ganzen Reihe später namhafter Vereine beteiligt – inklusive Bayern München. Und er gründete das bis heute erfolgreiche Fußball-Magazin „Kicker“.
Die dramatischsten Episoden im 103-jährigen Leben von Gretel Bergmann (1914 bis 2017) lassen sich nicht nur filmreif erzählen – sie wurden tatsächlich unter dem Titel „Berlin 36“ mit Karoline Herfurth in der Hauptrolle verfilmt. Auch André Wilgers Text beschreibt, mit welchen Machenschaften die Leichtathletik-Allrounderin als „Volljüdin“ durch NS-Sportfunktionäre von der Olympiateilnahme ferngehalten wurde.
Mit einem handfesten Tipp für alle Geschichtsinteressierten wartet schließlich Christoph Strahl auf, indem er das digitale Zeitungsportal unter der Online-Adresse zeitpunkt.nrw testet. Fast 16 Millionen Zeitungsseiten vom 18. Jahrhundert bis 1945 sind hier versammelt, darunter auch kurzlebige Blätter wie die „Chronik der Gutehoffnungstadt“ oder „Neueste Nachrichten“, untertitelt „Tageszeitung für die schaffenden Stände des nördlichen Industriegebiets“.
Üppiges Onlineportal mit großem Manko
Der Geschichtsjournalist erkennt natürlich auch das – noch – größte Manko des Portals: Denn noch lässt sich das Gros der Oberhausener Zeitungen in diesem Portal nicht nach Stichworten durchsuchen. „Das soll sich aber in diesem Jahr ändern“, so der Autor. Christoph Strahl hätte allerdings auf das stets hilfsbereite Team des Stadtarchivs in Lirich hinweisen können. Und dessen Zeitungsbestand reicht sogar bis in die Gegenwart.
„Schichtwechsel“, das Journal für Geschichtsbewusste. kostet 4 Euro, erhältlich in Oberhausener Buchläden oder direkt bei der Geschichtswerkstatt, Hansastraße 20 im Zentrum Altenberg, 0208 307 83 50 oder per Mail an info@geschichtswerkstatt-oberhausen.de.