Oberhausen. Erstmals veröffentlicht Oberhausens VVN-BdA einen Monatskalender für Geschichtsbewusste. Das Titelbild erinnert an eine aufrechte Sängerin.
Bedeutende Jahrestage sind mit dem Ausbruch der Pandemie seit Jahresbeginn 2020 „liegen geblieben“. David Driever nennt den 75. Jahrestag der Befreiung vom NS-Terror und den 100. Jahrestag des kurzen Kampfes der Roten Ruhrarmee. In dem nun von ihm gestalteten Monatskalender ist eine Fülle von historischen Daten versammelt, Monat für Monat aufbereitet unter zwölf Fotos von Oberhausener Orten des Widerstands und des Gedenkens.
Es ist die Fleißarbeit des Trios David Driever, Lühr Koch und Klaus Oberschewen für die Kreisgruppe der VVN-BdA, mit vollem, langem Namen: Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten. „Wir wollten diesmal kein Lokal-Geschichtsbuch schreiben“, sagt Klaus Oberschewen, „sondern eine andere Gedenkkultur anregen“. Vieles sei in Oberhausen, vor allem dank der im nächsten Jahr 60-jährigen Gedenkhalle, gut gestaltet und im besten Sinne etabliert, anderes aus Sicht der VVN-Aktiven aber auf bedenkliche Weise „ritualisiert“.
Beides findet sich im Januar-Blatt des Monatskalenders auf einem Foto zusammengedrängt: einerseits die Gedenkhalle Schloss Oberhausen, andererseits die ausgerechnet vom NS-Karrieristen Willy Meller geschaffene Monumentalskulptur der „Trauernden“. Das Kalenderfoto zeigt denn auch den Ort des von Oberschewen kritisierten Volkstrauertag-Zeremoniells umhüllt vom Flatterband der Ausstellung „Risse im Stein“: 2019/20 hatte die Gedenkhalle die Karriere des Bildhauers Meller und seine zweifelhafte Arbeit für die städtische Gedenkkultur in einer kritischen Schau aufbereitet.
Fast vergessene Orte und vernachlässigte Tafeln
Historische Daten eines jeden Monats platzierte David Driever als Gestalter neben dem eigentlichen Kalendarium und ließ darunter Platz für einen kurzen erklärenden Text: Sich so knapp zu halten, gesteht Klaus Oberschewen als Autor, „war für mich eine Herausforderung“.
Orte des Widerstands und des Gedenkens sind seltener stadtbekannt wie die übergroße Meller-Skulptur am Schloss Oberhausen, sondern manchmal fast vergessen, markiert durch vernachlässigte Bronzetafeln. Auf das Motiv des März-Blattes allerdings verweist das VVN-Trio mit sichtlichem Stolz: Denn das Denkmal zu Ehren der Märzgefallenen von 1920 auf dem Westfriedhof ließ die Kreisgruppe restaurieren und aus Lebensbäumen eine kleine Allee anlegen.
Nicht alle Blätter zeigen textschwere Gedenktafeln. So repräsentiert als Juni-Blatt das schmucke Pfarrhaus St. Marien den „aufrechten Gang des Kaplans Dr. Joseph Rossaint“, wie es in der Bildzeile heißt: Er hatte es gewagt, Kontakt zwischen katholischem und kommunistischem Widerstand anzubahnen – und war später lange Jahre Präsident der VVN-BdA. An den im Spanischen Bürgerkrieg gefallenen Widerstandskämpfer Fritz Giga erinnert das Juli-Blatt mit einem Foto vom Eingang zur einstigen Rathaus-Kantine: Sie war 2018 der Schauplatz für Anna Polkes großes Schauspiel-Solo in „Das dritte Leben des Fritz Giga“.
Titelbild würdigt die VVN-Ehrenvorsitzende
Viele Namen, viele Daten – diese Informationsfülle verlangt nach einem Glossar: Die Kalender-Autoren liefern auf der Rückseite ihres Werkes ein veritables „Who is who“ vom Sozialdemokraten Gustav Adomeit bis zum KPD-Gewerkschafter August Zilian. Und das Titelbild würdigt mit Porträt und der jiddischen Liedzeile „Mir lebn ejbig“ eine Hamburgerin: Die am 10. Juli verstorbene VVN-Ehrenvorsitzende Esther Bejarano, die als 17-Jährige im Mädchenorchester von Auschwitz Akkordeon spielen musste – und noch als 88-Jährige mit der Kölner Hip-Hop-Band „Microphone Mafia“ ein Album einspielte.
Erhältlich zum „Solipreis“ von 5 Euro
Den 2022er Kalender ließen die drei Macher zunächst in 100er-Auflage drucken; Nachdrucke sind jederzeit möglich. Erhältlich ist er zum „Solipreis“ von 5 Euro im Linken Zentrum und, ebenfalls in der Elsässer Straße, im Café Klatsch.
Die VVN-BdA versteht sich als überparteiliche Sammelorganisation von überlebenden Verfolgten und Gegnern des NS-Regimes sowie von nachgeborenen heute engagierten Menschen gegen völkisch-nationalistische Bestrebungen.
Die Gemeinnützigkeit der Vereinigung ist nach einem Rechtsstreit in NRW weiter anerkannt; die VVN-BdA darf also „auch wieder Spendenbescheide ausstellen“, wie es im Vorwort zum Kalender heißt.
Die Arbeit an diesem faktenreichen Kalender hat zwar fast ein ganzes Jahr beansprucht, doch für Klaus Oberschewen steht fest, „dass es der Beginn einer Reihe ist“. Zu klären wäre dann noch, ob man lieber die „Oberhausener Flugblätter“ oder zwölf Persönlichkeiten aus dem Widerstand vorstellen möchte.