Oberhausen. Das Stadtarchiv ließ den Nachlass der langjährigen WAZ-Bildredakteurin digitalisieren: Fotos von 1950 bis 1989 sind jetzt komplett zugänglich.
In ihrem langen Berufsleben hielt Ruth Gläser (1928 bis 2022) eigentlich nur zu einer Institution ihrer Stadt kühle Distanz: Bilder von RWO-Spielen sind von der Fotografin für Generalanzeiger und später WAZ nicht überliefert. Vereinssport kam ihr nur in jüngeren Jahren beim Basketball in der Willy-Jürissen-Halle vors Kameraobjektiv. Und dann wirbt Magnus Dellwig ausgerechnet mit dem Porträt eines Fußball-Superstars der 1970er für den jetzt komplett mit 199.000 Aufnahmen digitalisierten Gläser-Nachlass im Bestand des Stadtarchivs.
Allerdings tummelte sich der damals 29-jährige Günter Netzer anno 1973 auch auf keinem geheiligten Rasen – und erst recht keinem unwürdigen Schotterplatz. Vielmehr signierte der Ballartist „aus der Tiefe des Raums“ eifrig 100 Fußbälle, die er vor dem Bero-Center in die begierig auf sein Handspiel lauernde Menge warf: Die WAZ meldete damals „einige Verletzte beim Kampf um die Autogramme“. Und Ruth Gläser hatte als wahre Flankengöttin mit ihrer handlichen kleinen Kamera die perfekte Schussposition eingenommen: Nah am Star der Mönchengladbacher „Fohlenelf“ – und mit gebotener Distanz für den Überblick aufs Getümmel.
Essayisten und sonstige Augenmenschen könnten sich prompt über längere Strecken in einzelne Gläser-Bilder vertiefen: Die konsequent bis zum Ende ihrer Berufstätigkeit 1989 Schwarz-Weiß fotografierende Bildredakteurin (die korrekte Berufsbezeichnung war ihr ebenso wichtig, wie der bundesweit berühmteren Kollegin Barbara Klemm aus Frankfurt) wusste eben mit jeder Aufnahme viel zu erzählen. Die vermeintliche Fülle digitaler Fotostrecken war ihr noch unbekannt. Tageszeitungen brachten, zumal in den früheren Nachkriegsjahren, meist nur ein Foto pro Seite.
Originale bleiben unangetastet im Filmarchiv
Den Eindruck bestätigt der Archivleiter, nachdem er das – inzwischen leistungsfähig klimatisierte – Archiv der Internationalen Kurzfilmtage aufgeschlossen hat: In nächster Nachbarschaft zu den Filmrollen aus der Jugend von Roman Polanski, George Lucas und etlichen unbekannteren Größen lagert der Nachlass von Ruth Gläser in 70 Kartons. „Drei bis vier pro Jahrgang“, erläutert Facharchivarin Michaela Schmitz-Oetjen, „weniger in den Anfangsjahren“. Der Coup des aufwendigen Projekts, zuletzt entscheidend gefördert aus dem Fonds „Wissenswandel“ des Bundeskulturhaushalts: Die fragilen Originale bleiben hier, möglichst unangetastet, zwischen den Filmschätzen und den noch viel älteren Glasplatten-Negativen aus städtischem Besitz.
Es war ein langer Weg, insgesamt fast 199.000 Scans herstellen zu lassen und ihnen den gebührenden Speicherplatz einzuräumen. Ruth Gläser hatte schon vor einem Vierteljahrhundert, 1998, ihre Negative dem Stadtarchiv geschenkt. Doch diese Bilderfülle zu digitalisieren, stellte sich sowohl für das kleine Archivteam als auch für die Foto-Fachabteilung beim Landschaftsverband LVR als eine zu große Aufgabe heraus. Erst als Magnus Dellwig die Förderung durch die Bundeskulturbeauftragte sichern konnte, ging’s endlich an den „Restbestand“ von 127.000 Negativen: Das Digitalisierungswerk kostete 45.000 Euro (zu 90 Prozent gefördert) und beanspruchte ein volles Jahr. Der beauftragte Dienstleister hatte dafür eigens seine Anlagen nachgerüstet.
Beim Suchen helfen die Zeitungsbände
Auch die Nutzungsrechte dieses stadtgeschichtlich so wertvollen Bestandes an das Stadtarchiv zu überschreiben, war nicht ganz ohne. Schließlich hatten sich während Ruth Gläsers 40 Berufsjahren – und erst recht in der digitalen Ära seitdem – die Verträge zwischen den heutigen FUNKE Foto Services (FFS), ihren Vorläuferfirmen und ihren Fotografinnen und Fotografen immer wieder geändert. Doch die drei Parteien Stadtarchiv, FFS und Rut Gläser, die (ohne „h“ geschriebene) Tochter der Fotografin, sorgten einmütig für Rechtssicherheit.
Doch wie finden Nutzer des Stadtarchivs nun ein bestimmtes Gläser-Motiv – sei es der Abriss eines stadtbekannten Gebäudes oder eine Demo aus den aufrührerischen 1960ern? Die thematische Suche, erklärt Andreas Uecker, im Stadtarchiv der Kenner sowohl des Zeitungen- wie des Foto-Bestandes, sei zunächst am leichtesten möglich über die Zeitungsbände. Nach und nach werde eine digitale Suche mit Schlagworten möglich sein.
Die Rechner für den Blick auf die historischen Bilder stehen im Lesesaal: Dort werde es, so Dr. Dellwig, „demnächst drei stationäre Rechner geben“. Auch über archive.nrw.de, dem großen Portal nahezu aller Archive im Bundesland, will man den Gläser-Schatz erschließen. Schließlich war die Fotografin mit der Kamera auch in den Nachbarstädten von Duisburg bis Moers unterwegs. Und dort ahnt man womöglich noch gar nichts von den mit sicherem Auge fotografierten Zeitdokumenten aus den 1950er und ‘60er Jahren.
Wer nun – „wie die katholischen Kliniken“, so Magnus Dellwig – seine Räume oder Flure mit großformatigen Reproduktionen aus älterer Zeit schmücken möchte, für den gilt die fein gestaffelte Gebührenordnung des Stadtarchivs: Einzel-Scans gibt’s für 1,50 Euro; doch wer seinerseits Archivgut in höherer Auflage publizieren will, zahlt von 25 bis 100 Euro je Reproduktion. Dafür gibt’s authentische Blicke in die Stadtgeschichte – die in einem Filmrähmchen oft soviel erzählt wie eine ganze Handakte.