Oberhausen. Erneut veröffentlicht Oberhausens VVN-BdA einen Monatskalender für Geschichtsbewusste. QR-Codes machen das berühmte Lied der Moorsoldaten hörbar.

In unzähligen Versionen von kämpferisch-punkig bis zu volltönend-choral hat das Lied von den „Moorsoldaten“ weltweit Karriere gemacht. So sehr, dass – wie bei der Partisanen-Ballade „Bella, ciao“ – der zeitgeschichtliche Hintergrund vielen wohl gar nicht bekannt ist. Mit ihrem neuen Monatskalender für eine andere Gedenkkultur lässt die Macher-Crew für die Kreisgruppe der der VVN-BdA nun auch in Sachen „Peat Bog Soldiers“ aufhorchen.

So hieß das Lied der vom NS-Regime ins Emsland Deportierten beim linken US-Barden Pete Seeger (1919 bis 2014). Im neuen Kalender führt ein QR-Code auf dem Dezemberblatt zu seiner folkigen Interpretation des Liedes der „Schutzhäftlinge“, wie es zynisch hieß. Elf weitere Codes führen zu den Künstler-Webseiten der Toten Hosen, des RIAS Kammerchores oder des deutschen Seeger-Pendants Hannes Wader: Sie sind der besondere Coup dieses neuen Kalenders, der aber auch zu den Oberhausener „Moorsoldaten“ viel zu erzählen hat.

Zwölf mutige Frauen aus Oberhausen besuchten im Sommer 1937 ihre Männer im Emsland – und ertrotzten sich mit lautstarkem Protest sogar Besuchszeit bei den Gefangenen.
Zwölf mutige Frauen aus Oberhausen besuchten im Sommer 1937 ihre Männer im Emsland – und ertrotzten sich mit lautstarkem Protest sogar Besuchszeit bei den Gefangenen. © VVN BdA

Bereits im Vorjahr hatte das Trio aus David Driever, Lühr Koch und Klaus Oberschewen einen Kalender mit Oberhausener Orten des Gedenkens und des Widerstands aufgelegt, ebenfalls für die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten, so der vollständige, lange Name. Doch mit Melissa Brückner ist nun eine junge Gestalterin dazugekommen, die den neuen Kalender – ohne aufzutrumpfen – mit einem stimmigen, ansprechenden Layout ausstattete.

Im Kalendarium die Ereignisse von 1933

„Meine Generation ist ja auf Wissensvermittlung aus“, sagt Klaus Oberschewen als „Senior“ – und ergänzt anerkennend: „Aber das muss man auch gut präsentieren können.“ Als Autor war er also gehalten, sich zugunsten einer schlüssigen Optik kurz zu fassen. Der Kalender bietet dennoch Informationen in Fülle: Neben historischen Fotos und Grafiken – darunter das berühmte Titelblatt von Hanns Kralik (1900 bis 1971) mit den Noten des „Moorsoldaten“-Liedes lässt das Kalendarium links nicht nur Raum für Notizen. Es fächert in Stichworten auch die Ereignisses des Jahres 1933 auf. Eindrücklich zeigt das Februar-Blatt, so Melissa Brückner, „wie schnell die Nazis an die Macht kamen“.

Auch den Zeichner Hanns Kralik, nach dem Krieg für kurze Zeit Kulturdezernent in Düsseldorf, würdigt der Kalender mit dem Oktoberblatt.
Auch den Zeichner Hanns Kralik, nach dem Krieg für kurze Zeit Kulturdezernent in Düsseldorf, würdigt der Kalender mit dem Oktoberblatt. © hanns-kralik.de | Ralf Zimmermann

Die Emslandlager entlang der niederländischen Grenze wurden so schon früh zu Deportationsorten für etliche Oberhausener, politische Gefangene des sich vor 90 Jahren mit brutaler Gewalt etablierenden Terror-Regimes. „Es waren keine Vernichtungslager“, sagt Klaus Oberschewen – aber dennoch Orte grausamer Misshandlungen. Die „Moorsoldaten“ mussten bei miserabler Ernährung die Torfmoore im flachen Land für den Ackerbau urbar machen: „Wir ziehen mit dem Spaten ins Moor“, heißt es im Marschlied der Gefangenen.

Mutige Frauen ertrotzten sich Besuchszeit im Moorlager

Menschen wie Karl Dohms oder Bruno Blank widmet der Kalender exemplarisch jeweils ein Monatsblatt – aber auch den „Frauen im Moor“: Das Septemberblatt erinnert an zwölf mutige Oberhausenerinnen, denen es im Sommer 1937 gelungen war, einen Reisebus zu chartern, um gemeinsam ihre Ehemänner im Moorlager zu besuchen – und sich von den Wachen tatsächlich 15 Minuten Besuchszeit zu ertrotzen. Körbe mit gutem Essen hatten sie auch mitgebracht.

Die Leidensorte der insgesamt 15 Moorlager sind heute größtenteils unter dem Pflug verschwunden. Klaus Oberschewen war im Sommer zwischen Bad Bentheim und Papenburg unterwegs – ein für Geschichtsbewusste erschlossener Ort ist allein die Gedenkstätte Esterwegen. Mit einem zeitgemäßen Ausstellungskonzept wurde auch sie erst vor elf Jahren eröffnet. Bis zur Jahrtausendwende hatte die Bundeswehr das Gelände als Depot genutzt.

Erhältlich zum „Solipreis“ von 5 Euro

Den 2023er Kalender ließen die vier Macher zunächst in 100er-Auflage drucken; Nachdrucke sind jederzeit möglich. Erhältlich ist er zum „Solipreis“ von 5 Euro im Linken Zentrum in der Elsässer Straße.

Die VVN-BdA versteht sich als überparteiliche Sammelorganisation von überlebenden Verfolgten und Gegnern des NS-Regimes sowie von nachgeborenen heute engagierten Menschen gegen völkisch-nationalistische Bestrebungen. Die Gemeinnützigkeit der Vereinigung ist nach einem Rechtsstreit in NRW weiter anerkannt.