Oberhausen. Johann Grohnke schrieb über die ersten Nachkriegstage in seiner Dunkelschlagsiedlung, als Bergleute und Ex-Kriegsgefangene auf Beutezug gingen.
- Johann Grohnke setzte seiner alten Bergarbeitersiedlung ein literarisches Denkmal
- In seinen Geschichten aus dem Dunkelschlag wird die Vergangenheit wieder lebendig
- Russische Ex-Kriegsgefangene teilten ihre Beute mit ehemaligen Bergarbeiter-Kollegen
Als humorvoller Chronist seiner Dunkelschlagsiedlung hat sich Johann Grohnke in den „Geschichten aus dem Dunkelschlag“ ein Denkmal gesetzt. Grohnke, Jahrgang 1913, wuchs in dieser Siedlung auf. Seine Geschichtensammlung wurde 1987 im Rahmen des Projektes Sozialgeschichte der Stadt Oberhausen veröffentlicht.
Ihm sind damit auch folgende Erinnerungen zu verdanken, die wir an dieser Stelle leider nur in stark gekürzter Fassung, aber zumindest in Original-Schreibweise wiedergeben:
„In Sterkrade herrschte der Ausnahmezustand. Amerikanische Truppen hatten am 27.03.45 Sterkrade besetzt. Von morgens 6 Uhr bis abends 18 Uhr durfte man sich außerhalb seiner Wohnung aufhalten. Die Versorgung der Bevölkerung war vollkommen zusammengebrochen. Kein Trinkwasser, kein Strom und kaum was zu essen. Deutsche Widerstandskämpfer gegen Hitler wurden Frauen und Männer der ersten Stunde, von der Militärbehörde akzeptiert. Zivilverschleppte und russische Kriegsgefangene, nun in Freiheit lebend, durchzogen die Bergarbeitersiedlung am Dunkelschlag, um alte Kumpels, mit denen sie kameradschaftlich Untertage gearbeitet hatten, ein Dankeschön zu sagen oder aber nach Russentreibern zu suchen, um mit ihnen abzurechnen.
In der Bergarbeitersiedlung am Dunkelschlag klopfte es an Willis Haustüre. Als Willis Frau durch das Türfenster schaute, sah sie zwei Russen auf der Treppe stehen. Sie fragten: „Ist Kamerad Willi zu Hause? Hier sind Iwan und Wladimir.“
Dabei zeigten sie ein Töpfchen mit Fett. Mittlerweile hatte Willi von der Küche aus das Gespräch mit angehört, er kam heraus und wurde freudig von den Russen begrüßt. Sie klopften ihm auf die Schulter: „Warst ein guter Mensch, hast uns Russkis immer Cleb, Kartosch und Rüben mitgebracht.“
Zwei Kameraden stürzten ab
Willi war Rutschenmeister und während des Krieges nicht eingezogen worden, weil er das Bergbaufach gut verstand. Er nahm seine ehemaligen Arbeitskameraden ohne große Bedenken mit in die Küche. Natürlich schaute Willis Frau sofort ins Töpfchen und rief aus: „Das ist ja Butterschmalz!“
Auf die Frage „Wie kommt ihr an soviel Fett?“, sagte Iwan: „Wir haben Fett gefunden, für alle guten Menschen aus ganzer Siedlung.“ – „Ja, wo denn?“ Die Russen antworteten: „Auf Wettersohle von Zeche Sterkrade, da liegen noch Wäsche, Schuhe, Bestecke von Hitler seine Bonzen! Wir Russkis haben das gefunden, als wir wochenlang Untertage waren, ohne Sonne und Licht.“ Iwan sagte: „Wir brauchen Licht, wenn wir nach Wettersohle runtersteigen, um neues Fett zu holen. Mit einer Kerze sind russische Kameraden nach Wettersohle gestiegen, Kerze ging aus, Kameraden liegen tot im Schacht.“
Nachdem Willi bei seinem Nachbarn Heinrich eine Benzinlampe organisiert hatte, machte man sich auf den Weg zur Schachtanlage Sterkrade. Am Schacht angekommen, wurde mit zwei Mann die Einstiegsluke hochgehoben. Heinrich steckte seine alte Bergmannbenzinlampe an, und Willi leuchtete mit seiner Taschenlampe so gut es ging. Die Schachtleitern waren in steiler Form in Längen 6 m übereinander angelegt.“
Schlägerei mit einigen Landsleuten
„Ein Fehltritt, ein Straucheln, ein Handausrutscher bedeuteten im Wetterschacht den sicheren Tod. Willi mit seiner Taschenlampe kletterte als Erster, hinter ihm Wladimir, dann kam Heinrich mit seiner Benzinlampe und als letzter Iwan.
Die Wettersohle selbst lag bei 300 Metern Tiefe, hier war schon seit Jahrzehnten die Kohlenförderung eingestellt. Hier glaubte man den sichersten Platz für das Butterschmalz und die anderen Dinge (Textilien, Schuhe usw.) gefunden zu haben. Nur besonders eingeweihte Schachthauer wußten über diese Schätze Bescheid.
Willi und Heinrich deckten sich nur mit Butterschmalz ein, während Iwan und Wladimir noch Textilien und Schuhe in ihre Säcke stopften. Jetzt begann der nicht weniger gefahrvolle Aufstieg mit der Last auf dem Rücken. Es dauerte eine Stunde, bis die Männer erschöpft die Einstiegsluke verlassen konnten.
Aber Übertage waren sie noch nicht in Sicherheit. Hier stand eine Gruppe Zivilverschleppter, die Heinrichs Benzinlampe wollten. Auch sonst wollten sie sich Heinrichs und Willis Rucksäcke aneignen. Iwan und Wladimir führten eine harte Diskussion mit ihren Landsleuten, es entstand sogar eine Schlägerei. Iwan schlug um sich, da ließen sie die vier ziehen.
In Willis Wohnung wuschen sich Iwan und Wladimir und zogen saubere Hemden an. Willis Frau hatte Reibeplätzchen gebacken, dann spendierte Willi noch eine halbe Flasche Schnaps.“
>>> Vier Häuser unter einem Dach
Johann Grohnke war im Widerstand gegen die Nationalsozialisten aktiv gewesen. Später wurde er Betriebsrat der Kokerei Jacobi (1946 - 1968). Von 1951 bis 1981 war er Vorsitzender der IGBE-Ortsgruppe Sterkrade-Mitte.
Die Dunkelschlagkolonie ist in den Jahren 1903 bis 1904 erbaut worden. Sie war für die Bergleute der Zeche Sterkrade gedacht. Menschen aus allen Gegenden kamen, um dort Arbeit zu finden. Die Familien waren sehr kinderreich. Die Häuser der Kolonie waren nach dem Prinzip „vier Häuser unter einem Dach“ gebaut. Jede eineinhalb stöckige Wohnung hat einen eigenen Hauseingang. Die Mietfamilie hatte das Gefühl, als wenn sie in ihrem Eigentum wohnte mit den vier Räumen, unten Küche und Wohnzimmer, oben zwei Schlafzimmer. Die Toilette war ein Plumpsklo im Stall, hinter dem Haus. Mitunter schliefen vier Kinder in einem Bett. (Quelle: Kalender, Alfred-Ulrich Lindemann, 6. Juni 2005)