Mülheim. Die Stadt Mülheim muss der WAZ nun Einsicht in alte Gutachten gewähren, die Aufschluss über millionenschwere Zinswetten-Verluste von 2008 und 2009 geben. So entschied nun das Oberverwaltungsgericht Münster, nachdem die Stadt eine Einsicht durch die Zeitung im April 2011 abgelehnt hatte.

Jetzt hat das Oberverwaltungsgericht entschieden: Die Stadt muss der WAZ Einsicht in deren alte Gutachten gewähren, mit denen sie sich 2008 und 2009 nach einer ersten Bilanz ihrer millionenschweren Zinswetten-Verluste selbst bescheinigt hatte: Haftungsansprüche gegenüber Banken, aber auch eigenen leitenden Beamten bestehen nicht. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster schmetterte die Berufung der Stadt gegen ein entsprechendes Urteil aus erster Instanz ab. Eine Revision ließ es nicht zu.

Der berichtende WAZ-Redakteur hatte im April 2011 Einsicht in die vom stadteigenen Rechtsamt ausgearbeitete rechtliche Bewertung der Haftungsfragen beantragt. Berufen hatte er sich dafür auf das Informationsfreiheitsgesetz. Die Stadt lehnte ab, die Sache ging vor das Verwaltungsgericht. Gegen den WAZ-Erfolg dort legte die Stadt Berufung ein. Nun entschied das OVG: Die Gutachten sind offenzulegen.

Um ein zügiges Verfahren nicht zu gefährden, billigte die WAZ-Seite der Stadt zu, etwaige Personenangaben in den Gutachten zu schwärzen. Außerdem verzichtet sie auf die Einsichtnahme in Anlagen der Gutachten (Verträge und Schriftverkehr mit Banken, verwaltungsinterne Aktenvermerke).

Nebelkerze zündete nicht

Noch kurz vor der mündlichen Verhandlung hatte die Stadt versucht, Nebelkerzen zu zünden. So hatte ihr Rechtsamt dem OVG erst Ende vergangener Woche mitgeteilt, dass seinerzeit offenbar zwei separate Gutachten angefertigt worden sind – eines habe die Haftungsansprüche gegen die Banken geprüft, ein anderes beamtenrechtlich das Handeln der Kämmerer und leitenden Beamten der Finanzverwaltung kritisch gewürdigt. Letzteres Gutachten datiere von 2009, so der Hinweis der Stadt. Die WAZ hatte die Einsicht in eine gutachterliche Bewertung aller möglichen Haftungsansprüche aus dem Jahr 2008 gefordert.

Das OVG ließ sich darauf nicht ein, der Vorsitzende Richter rügte die Stadt vielmehr dafür, erst auf den letzten Drücker mit dieser Information rübergekommen zu sein, obwohl die WAZ bereits 2011 klar beantragt habe, dass sie Gutachten zu beiden Haftungsfragen (Banken, eigene Mitarbeiter) einsehen wolle. „Wir sind völlig verblüfft, wenn nicht gar verärgert, wie Sie den Prozess führen“, so der Vorsitzende Richter zu Beginn der Verhandlung.

Inhaltlich konnte sich das OVG in der Folge nicht mit den Argumenten der Stadt anfreunden. Einzeln sezierte der Vorsitzende Richter drei Normen des Informationsfreiheitsgesetzes. Weder erkannte das Gericht die Gutachten als Teil eines schützenswerten Willensbildungsprozesses an noch teilte es die Befürchtung der Stadt, die Einsichtnahme der WAZ könne den Erfolg der Stadt bei anstehenden Schadenersatzklagen gegen Banken erheblich gefährden. Erstens, so der Vorsitzende Richter, seien ja auch Teile der später extern eingeholten Gutachten öffentlich gemacht worden, zweitens sei zum heutigen Zeitpunkt offensichtlich auch festzustellen, dass sich die vier, fünf Jahre alte Rechtseinschätzung des städtischen Rechtsamtes zumindest in Teilen überholt habe.

OVG bestätigte am Ende das Urteil

Das OVG bestätigte am Ende das Urteil aus erster Instanz. Es machte aber auch deutlich, dass sein verschriftlichtes Urteil nicht die Aussage treffen wird, dass Bürger mit Verweis auf das Informationsfreiheitsgesetz künftig Einsicht in jedwedes Rechtsgutachten öffentlicher Stellen verlangen können.

Es bleibe immer eine Abwägung im Einzelfall nötig, um auszuschließen, dass schutzwürdige Interessen von Behörden verletzt werden. Gleichwohl werde dieses Urteil sicher Bürgern fortan als Begründung dienen, um ihre Informationsansprüche geltend zu machen.