Mülheim. .

Die Haltung der Stadt und ihrer Gutachter, die Entscheidung über weitere Schadenersatzklagen wegen der millionenschweren Wettverluste weiter vor sich her zu schieben, stößt in ausgewiesenen Fachkreisen auf großes Unverständnis. Angesichts der fortentwickelten Rechtsprechung, vor allem wegen einer veröffentlichten Rechtsansicht des Bundesgerichtshofes in einer anderen Sache, sei an der jüngsten Rechtseinschätzung von Stadt und Gutachtern „mindestens zu zweifeln“, heißt es.

Die WAZ hat nach dem Finanzausschuss am Montag Fachjuristen des Kapitalmarktrechtes um eine zweite Meinung gebeten. Diese wundern sich, dass Mülheim und seine Gutachter von der Düsseldorfer Kanzlei Baum, Reiter & Co. in der Schadenersatzfrage „extrem defensiv“ agieren, insbesondere eine Konnexität der sogenannten Korridor-Swaps aus den Jahren 2004 bis 2006 sehen. Möglicherweise erkläre sich dies aus der Prozessniederlage, die Baum, Reiter & Co. Ende 2012 im Verfahren für die Stadt Remscheid eingefahren haben. Zahlreiche Siege anderer Kommunen zuletzt, insbesondere auch die veröffentlichte Rechtsauffassung des Bundesgerichtshofes zur Klageposition geschädigter Wettpartner von Banken lasse jedenfalls eine deutlich ausgeprägte Offensive von Geschädigten zu.

Banken treten als Wettgegenüber auf

In einer rechtswissenschaftlichen Kommentierung in der Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht hat die an den Gerichtshof abgeordnete Staatsanwältin Dr. Sandra Schmieder im Dezember 2012 aufgezeigt, wie der Bundesgerichtshof zur Weiterentwicklung der Swap-Rechtsprechung steht. Die Kommentierung geht weit über das hinaus, womit der Gerichtshof in einem Urteil von März 2011 wettgeplagten Kommunen landauf, landab schon große Hoffnung auf Schadenersatzansprüche gemacht hatte.

Schmieder stellt dort fest, dass Banken auch „bei einem verhältnismäßig einfach strukturiertem Swap“ die Pflicht hätten, ihre Wettpartner vor Vertragsabschluss ungefragt über einen anfänglich negativen Marktwert aufzuklären. Dies sei zwingende Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit eines Geschäftes, weil „die Berechnung des negativen Marktwertes eine mehr oder weniger komplizierte finanzmathematische Berechnung voraus(setzt), die der Kunde regelmäßig nicht leisten kann“. Der aufklärungsbedürftige Interessenkonflikt, so Schmieder, gründe sich vor allem darauf, dass die Banken die von ihnen empfohlenen Wetten nicht nur vertreiben, sondern auch als Wettgegenüber auftreten.

In ihrer aktuellen Einschätzung zu Klageaussichten Mülheims gehen die Gutachter von Baum, Reiter & Co. auf diese Kommentierung nicht mit einem Satz ein. Sie rieten dem Finanzausschuss am Montag, die weitere Rechtsprechung abzuwarten. Der Ausschuss folgte dem, auf Initiative von SPD-Ratsherr Wilfred Buß beschloss er aber, spätestens im Dezember eine Entscheidung über weitere Klagen zu treffen. Andere Städte sind da weiter.