Mülheim. . Laut eines Urteils des Verwaltungsgerichts Düsseldorf muss die Stadt Mülheim der WAZ Einsicht in das Rechtsgutachten gewähren, das nach dem millionenschweren Debakel mit Zinswetten entstand. Doch die Stadt verweigert die Einsicht - und hat Berufung eingelegt.

Die Stadt hält ihr Rechtsgutachten, mit dem sie nach dem millionenschweren Debakel mit Zinswetten Haftungsansprüche gegenüber der sie beratenden WestLB und leitenden Beamten ihrer eigenen Behörde geprüft hat, weiter unter Verschluss. Ein Urteil des Verwaltungsgerichtes Düsseldorf, das der WAZ das Recht auf Akeneinsicht nach dem Informationsfreiheitsgesetz zugesprochen hat, akzeptiert die Stadt nicht. Sie hat Berufung eingelegt – und sich dafür einer politischen Mehrheit vergewissert.

Wie berichtet, hatte die WAZ auf Einsichtnahme des Gutachtens geklagt, nachdem die Stadt ihr dies im Frühjahr 2011 verwehrt hatte. Das Verwaltungsgericht gab dem berichtenden Redakteur Recht. Das Gutachten sei für ihn zugänglich zu machen, da es nicht als Bestandteil der Willensbildung zu gelten habe, lediglich als deren Grundlage. Damit wäre das Gutachten nicht schützenswert im Sinne des Informationsfreiheitsgesetzes. Das Gesetz soll Bürgern Zugang zu behördlichen Informationen sichern.

Andere Städte klagten

Die Stadt hat alleine in den Jahren 2005 bis 2008 mit sogenannten Derivatgeschäften 6,083 Mio. Euro in den Sand gesetzt. Sie hatte unter Ex-Kämmerer Gerd Bultmann und politisch abgesegnet mit der WestLB auf die Entwicklung von Zinssätzen gewettet. Ein unheilvolles Geschäft, zumal schon das Grundgerüst äußerst wackelig für die Stadt war. Denn die Wetten waren so konstruiert, dass a) die WestLB nur gewinnen konnte, wenn die Stadt verlor, und b) das Verlustrisiko der Stadt um ein Vielfaches höher lag als das der Landesbank. Die Geschichte ist bekannt: Millionen gingen verloren, in immer rasanterem Tempo.

Andere Städte, etwa Remscheid, klagen nach ihren Wettverlusten gegen die WestLB. Mülheim schloss dies aus – auf Basis des besagten Rechtsgutachtens, erstellt vom eigenen Rechtsamt der Stadt. Als die Verwaltung Mülheims Politik im Juni 2008 die vorläufige Bilanz des Wettdesasters präsentierte, fand das Gutachten in nur zwei knappen, und doch nebulösen Sätzen Erwähnung: „Die Frage einer eventuellen Beraterhaftung (Haftung der Banken)“, hieß es dort, „wurde juristisch geprüft und verneint. Es sind keine Anhaltspunkte für eine nachweisbare Falschberatung ersichtlich.“

Falschberatung sei der WestLB nicht nachzuweisen

Gründe für diese Einschätzung wurden nicht dargelegt, ebenso wenig wurde auf die Frage eingegangen, ob möglicherweise auch Ex-Kämmerer Bultmann und die Leitung des Finanzmanagements für die Millionen-Pleite zur Rechenschaft zu ziehen wären. Nachfragen aus der Politik gab es seinerzeit keine.

Erst nach anhaltender Berichterstattung der WAZ im Vorjahr legte das Rechtsamt nach. Eine Falschberatung sei der WestLB nicht nachzuweisen, hieß es da wiederholt. Haben sich also Ex-Kämmerer und Leitung des Finanzmanagements im vollen Bewusstsein des Interessenkonfliktes und des ungemein zu Lasten der Stadt verteilten Risikos auf die Wettgeschäfte eingelassen? Wäre das nicht grob fahrlässig und daher beamtenrechtlich relevant? Laut Rechtsdezernent Dr. Frank Steinfort geht das Gutachten seines Amtes auch dieser Frage nach – allerdings habe man nur ein fahrlässiges, aber nicht grob fahrlässiges Handeln erkannt.

Zweites Gutachten gefordert

Die Rechtseinschätzung der Stadt ist, als sie im Vorjahr auf Drängen der WAZ überhaupt erst publik geworden war, von Experten des Kapitalmarktrechts scharf kritisiert worden. Mülheims Politik forderte schließlich ein zweites, diesmal extern vergebenes Gutachten ein. Dessen Ergebnisse sollen am 30. April im Finanzausschuss Thema sein. Die WAZ wird aus der Prüfung herausgehalten. Bis das Oberverwaltungsgericht über die Berufung entscheidet, wird reichlich Zeit vergehen.

Derweil macht die Stadt im Ausstiegsszenario für die Bultmann-Wetten weiter kräftig Wettmiese, unter anderem mit einer aus dem Ruder gelaufenen Wette auf den Schweizer Franken. Die letzte Wette läuft möglicherweise erst 2026 aus. Völlig unklar, weil bisher weder von der Kämmerei transparent dargestellt noch von der Politik eingefordert, bleibt eine aktualisierte Zwischenbilanz für das seit 2005 geschaufelte Millionengrab der Zinswetten.

Grüne und MBI hatten sich bis zuletzt dafür ausgesprochen, dass der WAZ Einsicht gewährt wird in das Rechtsgutachten. Die Grünen hatten ihre Forderung gar mit einem Antrag an den Hauptausschuss untermauert. Doch wenn der Ausschuss am 26. April tagt, ist die Frist für den Eingang einer Berufung abgelaufen. Das Rechtsamt hat nun Berufung eingelegt, weil es nach eigener Darstellung die Verpflichtung zur Freigabe weiterer Gutachten fürchtet. Man habe sich einer politischen Mehrheit vergewissert, bestehend aus SPD und CDU.