Mülheim.
Nach der Einsicht in die Akten zur millionenschweren Pleite mit Zinswetten wächst in der Politik das Misstrauen in die verwaltungsinterne Bewertung, weder Banken noch verantwortliche (Ex-)Beamte seien für den entstandenen Schaden von 6,1 Mio Euro haftbar zu machen. Die Politik wird Anfang Juni aller Voraussicht nach im Finanzausschuss ein externes Spezialistengutachten zur Klärung der Klageaussichten einfordern.
Rechtsdezernent Dr. Frank Steinfort hatte der Politik, anders als der WAZ, eine allumfassende Akteneinsicht zu den Geschäften der Stadt mit Derivaten (Swaps) gewährt. Zwei Stunden Zeit sollten Vertreter der Fraktionen haben, um sich durch zahlreiche Akten und schwierige Thematik zu ackern. Es sei eine „mühselige Suche nach der Nadel im Heuhaufen“ gewesen, kommt Kritik aus der Politik. Den Ordnern habe es an Chronologie gefehlt, manches sei „irreführend aufgebaut“ gewesen.
„Politisch unklug“
„Wie soll ich in zwei Stunden acht Ordner gewissenhaft durcharbeiten und die Sachlage erfassen?“, beklagte Peter Beitz (FDP). Erst nach Intervention habe ihm die Verwaltung mehr Zeit eingeräumt. Beitz brütete fünfeinhalb Stunden über den Ordnern. Beitz hält es nun für sinnvoll, die Frage von etwaigen Haftungsansprüchen noch einmal von einem Fachmann für Kapitalmarktrecht beantworten zu lassen. Bislang gibt es nur ein internes Gutachten des Rechtsamtes. Es schließt eine Klage aus. Sie sei nicht erfolgversprechend. Zum einen sehen die städtischen Juristen etwa keine Fehlberatung durch die Banken. Zum anderen könne man dem damaligen Kämmerer Gerd Bultmann zwar fahrlässiges, aber eben nicht – und erst dies begründet nach Beamtenrecht Haftungsansprüche – grob fahrlässiges Handeln nachweisen. Noch mal Beitz: „Dass die Verwaltung ein Gutachten zum eigenen Verhalten schreibt, kann ein Geschmäckle haben.“
SPD-Fraktionschef Dieter Wiechering will seinen Parteikollegen ebenfalls empfehlen, die Initiative für ein externes Gutachten zu unterstützen. Er persönlich rechne zwar nicht mit einem anderslautenden Ergebnis, doch wolle sich die SPD nicht sagen lassen, „dass wir was behindern wollen“. Es sei von Steinfort „politisch unklug“ gewesen, eine Klage schnell und kategorisch auszuschließen.
Interessenkonflikt
Nach Studium der Akten wirft Wiechering der Verwaltung vor, die Geschäfte mit Zinswetten nicht so protokolliert zu haben, „wie es sein müsste“. Auch Beitz vermisst Beratungsprotokolle. Ferner wird bemängelt, dass nirgends die damalige Zinsmeinung der Verwaltung dokumentiert sei. „Der Kämmerer hatte in meinen Augen gar keine eigene Zinsmeinung, sondern hat nur auf die der Banken zurückgegriffen“, so Beitz. Dabei bestand ein Interessenkonflikt: Die Bank konnte nur gewinnen, wenn die Stadt die Zinsentwicklung falsch prognostizierte.
Eckart Capitain, finanzpolitischer Sprecher der CDU, kritisiert nach der Akteneinsicht gar, dass das Handeln der Verwaltung nicht durch den politischen Beschluss aus Oktober 2003 gedeckt sei, derivate Geschäfte mit dem Ziel der Zinssicherung abzuschließen. Wer ein solches Ziel verfolge, dürfe nicht, wie es die Kämmerei getan habe, nur auf einseitige Geschäfte setzen, sondern müsse zur Absicherung „Gegenpapiere“ halten. Ohnehin, so Capitain, sei er bei der Akteneinsicht auf manche Sachverhalte gestoßen, „mit denen wir uns sicher noch befassen müssen“. Auch die CDU denkt an ein externes Gutachten. Parteichef Andreas Schmidt hatte es bereits gefordert.
„Es fehlen Unterlagen.“
MBI-Ratsherr Hans-Georg Hötger sieht gar „ein paar Hinweise“ darauf, dass Ex-Kämmerer Bultmann in Regress zu nehmen sei: „Jeder holt alternative Angebote rein, wenn er seine Wohnung streichen lässt. Herr Bultmann hat keine Alternativen prüfen wollen.“ Doch habe er, so Hötger, auch den Verdacht gewonnen, dass die Verwaltung bemüht sei, „alle Schuld auf Bultmann abzuladen“. Ob dem tatsächlich so sei, sei noch zu klären.
Eva Weber (Grüne) sieht ebenfalls die Erfordernis eines externes Rechtsgutachtens; ein entsprechender Antrag ist gestellt. Eine Aufklärung, stellt sie nach der Akteneinsicht fest, sei „ganz schwierig“. Schließlich habe sich selbst in den Akten den Vermerk gefunden: „Es fehlen Unterlagen.“