Mülheim. .
Jugendliche, die abhauen, abstürzen, sich mit Rasierklingen ritzen oder Liebeskummer haben: Annette Weber ist nah dran an der jungen Generation. Dabei spricht die 55-jährige Lehrerin aus Bad Lippspringe besonders die Lesemuffel an. 23 Titel hat die Kinder- und Jugendbuchautorin bislang für den Verlag an der Ruhr geschrieben. Ihr Bestseller: „Im Chat war er noch so süß!“ mit über 120 000 verkauften Exemplaren.
Warum ist die Geschichte bei Jugendlichen so beliebt?
Annette Weber: Ja, das hat mich selbst überrascht. Ein Mädchen verliebt sich im Chat, vertraut ihm, macht auch alles richtig und läuft dann doch in eine Falle. Die Geschichte hat kein wirkliches Happy End. Darum ist noch Band zwei entstanden, weil die Jugendlichen den Verlag mit Briefen bombardiert haben. Sie wollten, dass es ein anderes Ende gibt.
Wie bekommt man lesefaule Jugendliche ans Buch?
Weber: Meine Idee ist, dass man Bücher wieder einfacher macht. Sie müssen dünner und die Schrift muss größer werden, damit die Schwelle leichter ist, die Schüler das Gefühl haben: Das Buch schaffe ich zu lesen. Die Sätze müssen leichter und die Seiten übersichtlicher werden. Die wörtliche Rede muss die Handlung tragen. Es muss schnell klar sein, wer die Figuren sind, und dann muss es schnell spannend werden.
Thematisch packen Sie Probleme an. Ums Trinken ging es bei Ihrem Erstling in der „K.L.A.R.-Reihe“.
Weber: Damit wollte ich Jugendlichen ein bisschen Hilfestellung geben, die mit Alkoholikern in ihrem Umfeld zu tun haben, die gar nicht mal selbst trinken, sondern in dieser Co-Situation sind.
Was sind die Hauptthemen, die Jugendliche heute beschäftigen?
Weber: Natürlich Liebe und Vertrauen. Die Pubertät ist meist eine Phase, wo man sich ein bisschen alleine fühlt. Wo man sich den Eltern nicht mehr mit allem anvertrauen möchte, aber die Probleme noch nicht allein lösen kann. Es ist eine schwierige Umbauphase, wo am meisten passiert.
Wie kommen Sie an die Jugendlichen so nah heran?
Weber: Einmal habe ich natürlich selbst drei Kinder, die glücklicherweise alle aus diesem Alter raus sind. Ich habe viel mit Jugendlichen tun, unterhalte mich gern mit ihnen. Der Kontakt kommt über meine Kinder, ehemalige Schüler und ich habe ganz viele Lesungen in Schulen, nach denen ich mit ihnen ins Gespräch komme.
Seit wann schreiben Sie Kinder- und Jugendbücher?
Weber: Seit fast 30 Jahren. Angefangen habe ich in der Unterhaltungsliteratur, wo ich für den Schneider-Verlag und die Bravo geschrieben habe.
Sie waren bei der Bravo aber nicht Dr. Sommer oder?
Weber: Nein, die Autorin kenne ich auch gar nicht. Ich habe für die Bravo Kurzgeschichten geschrieben, die Love-Storys, aber nicht die Foto-Love-Storys. Es gibt diese Kurzgeschichten heute nicht mehr in der Bravo, weil die Jugendlichen nicht mehr lesen. Daran konnte man die Entwicklung auch sehen.
In der „K.L.A.R.-reality-Reihe“ helfen Sie Jugendlichen, ihr Leben aufzuschreiben.
Weber: Ja, ich habe Jugendliche begleitet, die im Gefängnis saßen, oder Drogenabhängige. Mit ihnen habe ich mich alle 14 Tage getroffen, und wir sind jedes Kapitel durchgegangen. Die Idee für die beiden Reihen kam von mir. Den Anstoß dazu gab meine Freundin, die an einer Förderschule ist, meine Schneider-Bücher analysierte und dann befand: zu akademisch. Sie hat mir erklärt, was ein Förderschüler für ein Buch braucht. Dann habe ich Verlage gefragt. Der einzige Verlag, der wirklich Interesse zeigte, war der Verlag an der Ruhr.
Dann haben Sie dramatische junge Schicksale erlebt. Sind auch welche gut gegangen?
Weber: Bis auf einen habe ich zu allen Jugendlichen noch Kontakt. Zu einigen inniger, andere sind weiter weg, aber melden sich ab und zu bei mir. Bei solchen Biografien gibt es nicht immer ein gutes Ende. Aber der Rapper aus dem Knast ist auf einen guten Weg gekommen und auch das Mädchen, das „Abgestürzt“ geschrieben hat. Leider bleibt bei diesen Jugendlichen immer eine latente Traurigkeit vorhanden. Auf ihrem schweren Weg hat ihnen das Schreiben sehr geholfen. Das sagten alle: Endlich habe ich mal eine Sache fertig gekriegt. Es ist eine tolle Arbeit und die Schicksale beschäftigen mich doch sehr.
Was ist aus dem Mädchen geworden, das sich mit der Rasierklinge geritzt hat?
Weber: Sie hatte dazu Aids. Das war natürlich ganz schrecklich – auch für die Schule, die sie dann verlassen musste, als das rauskam. Mittlerweile hat sie ein Kind bekommen und lebt mit ihrem Freund im Ausland. Hin und wieder meldet sie sich bei mir. Ich habe schon ein Baby-Foto gesehen. Das ist dann immer sehr rührend.
Gibt’s ein neues Thema?
Weber: Im September schreibe ich einen neuen Roman zum Thema „Das erste Mal“. Das war ein Wunsch der Schüler, es müsste jetzt mal Liebe sein.