Essen. . In Brandenburg sorgt ein Suchtpräventionsprojekt für Aufsehen: Bei “Lieber Schlau als Blau“ trinken Zehntklässler unter Aufsicht Alkohol. Das “Trinkexperiment“ soll ihnen zeigen, dass schon kleine Mengen Alkohol dem Körper schaden können. In NRW ist dieses Projekt umstritten.

Vorglühen, Komasaufen, Flatrate-Partys: Für viele Jugendliche ist Alkohol ein Dauerthema. Viel zu früh testen manche ihre Grenzen aus, Trinken wird zur Gewohnheit und der Weg in eine Alkoholiker-Laufbahn scheint vorgezeichnet. Eltern, Lehrer und Sozialarbeiter stehen vor der Aufgabe, Jugendliche vor der schleichenden Alkoholsucht zu schützen. In Brandenburg schlägt man dabei einen äußerst progressiven Weg ein: Beim Projekt "Besser Schlau als Blau", das in der Suchtpräventionsklinik "Salus Lindow" entwickelt wurde, sollen Schüler unter Aufsicht trinken. Gemeinsam mit einem Lehrer werden nach dem Trinken Koordinationstests gemacht und Rechenaufgaben gestellt.

Weg von der Zeigefingerpädagogik

Das Trinkexperiment soll den Schülern zeigen, dass Alkohol schon in kleinen Mengen den Organismus beeinflusst. Übelkeit, Koordinationsschwierigkeiten, Schwindel, all das können die Folgen von Alkoholmissbrauch sein. In Brandenburg ist man sich sicher: Mit dem ungewöhnlichen Projekt begegnet man den Schülern auf Augenhöhe, weit weg von jeder Zeigefingerpädagogik.

Gefördert und legitimiert wird das Projekt vom brandenburgischen Gesundheitsministerium "Wir hoffen, dass wir die Jugendlichen damit erreichen. Mit diesem Weg wollen wir Schülern der Klassen 9 bis 12 zeigen, was Alkohol mit ihrem Körper anrichtet" , sagt ein Sprecher des Ministeriums. All dies geschehe natürlich nur in Zusammenarbeit mit den Eltern. Sie müssen dem Experiment zustimmen und festlegen, wie viel Alkohol ihr Kind bei der ungewöhnlichen Übung konsumieren darf.

Bislang wird "Besser schlau als Blau" nur in Brandenburg angewendet. In NRW steht man dem betreuten Trinken dagegen skeptisch gegenüber. "Unser Ziel ist es, den Alkoholkonsum so weit wie möglich nach hinten zu verschieben", sagt Dr. Hans-Jürgen Hallmann, Leiter der Ginko-Stiftung für Prävention, die mit vielen Schulen in Nordrhein-Westfalen zusammenarbeitet.

"Wir wollen und können auch keine Abstinenz predigen. Aber bei diesem Projekt kann es sein, dass Schüler, die nicht mittrinken wollen, bei ihren Klassenkameraden als Loser gelten und ausgeschlossen werden", meint Hallmann.

Ball spielen mit "Rauschbrillen"

Auch Frank Langer von der "Suchthilfe direkt Essen" weiß, das Jugendliche nicht zwingend trinken müssen, um die Wirkung von Alkohol zu testen. "Wir arbeiten viel mit sogenannten 'Rauschbrillen', die die veränderte Wahrnehmung simulieren." Mit diesen Brillen auf der Nase werfen die Schüler sich Bälle zu oder durchlaufen einen Hindernisparcours, um zu merken, welche Folgen Alkoholkonsum haben kann.

Der Erfolg gibt Ginko und den regionalen Suchtpräventionsstellen Recht: "Die Zahl der Jugendlichen, die wegen Alkoholkonsums ins Krankenhaus eingeliefert wurden, ist rückläufig", sagt Hallmann und beruft sich dabei auf die jüngste Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Besonders bei den jüngeren, den 10-15-Jährigen, seien die Zahlen deutlich zurückgegangen. Einen Grund zur Entwarnung sieht die BZgA dennoch nicht und setzt weiterhin auf gute Präventionsarbeit.

Auch Werner Hojenski, Schulsozialarbeiter an der Essener Hauptschule an der Wächterstraße, steht dem Brandenburger Projekt kritisch gegenüber: "Zwar kann ich den Ansatz verstehen, doch es kann auch sein, dass Jugendliche durch dieses Experiment erst recht auf den Geschmack kommen", betont er. Seit acht Jahren arbeitet Hojenski mit Hauptschülern, für sie ist er Vertrauensperson, Berater und Streitschlichter zugleich.

Alkohol sei zwar auch bei seinen Schülern ein Thema, über das man immer sprechen müsse. Viel schlimmer sie jedoch die Internet- und Computersucht vieler Kinder. "80 Prozent aller Streitigkeiten zwischen den Schülern entstehen auf Facebook", berichtet Hojenski. "Dieses Problem müssen wir unbedingt verstärkt angehen."