Mülheim. .

Die Zeitung mit den vier großen Buchstaben finden sie zu tendenziös, von der Politik fühlen sie sich zu wenig ernst genommen und beim Zusammenleben der Kulturen sind sie ihren Eltern oft einen Schritt voraus. Jugendliche sind weitaus kritischer als sie von Erwachsenen gemeinhin beurteilt werden. Das NRW-Projekt „Jugenddialog 2020“ kommt am Ende seiner dreijährigen Phase zum Ergebnis: Jugend an die Macht.

Gut 240 junge Menschen meldeten sich 2009 zum Start des Projekts, das die katholische Akademie Die Wolfsburg, die Mercator-Stiftung und die NRW-Landezentrale für politische Bildung ins Leben rief. In 22 Dialoggruppen diskutierten sie die Themen, die Jugendlichen am Herzen liegen, stellten unbequeme Fragen, entwarfen Alternativen, stellten Forderungen auf. Einige davon stellten sie am Montag zur Projektabschlussfeier in der Wolfsburg vor.

Glück soll Unterrichtsfach werden

Komasaufen, prügeln, Facebook-Partys feiern – mit guten Nachrichten kommen junge Menschen kaum in die Schlagzeilen. Wohl aber mit Negativmeldungen. Aus einem Unfall zwischen jugendlichem Krad- und jungem Autofahrer wird in manchen Medien sogar nicht selten ein fremdenfeindliches Hetz-Stück über angebliche Sozialschmarotzer mit Migrationshintergrund gebastelt – so fand die Gruppe „Aktion gegenBILD“ heraus.

„Tendenziös und skandalisierend“, urteilte sie und knallte ihre Analysen dem Chefreporter der NRW-BILD, Damian Imöhl, auf den Tisch. Ergebnis: „Er war erst cool, wurde aber immer roter im Gesicht“, fühlt sich Duygu Alagöz (24), die die Gruppe moderierte, bestätigt.

Damit aber nicht genug: Dem Zerrbild setzten sie eigene positive Selbstbilder entgegen und veröffentlichten sie auf Facebook und Youtube.

Nicht nur einige Jugendliche haben es verlernt, glücklich zu sein, auch Erwachsene. Aber junge Leute stehen stärker unter Stress denn je, „die Fälle von Burnout nehmen zu“. In der Laborschule Bielefeld informierten sich Jugendliche über die Schule der Zukunft und Möglichkeiten des selbstbestimmten Lernens. Sie dokumentierten die eigenen Erfahrungen mit Unterrichtsformen und diskutierten sie.

Ergebnis: Nicht nur Naturwissenschaft, auch Glück soll ein Unterrichtsfach werden. Ihre Ideen und Konzepte reichten sie im NRW-Landtag ein. Und hoffen, dass man sie dort beachtet.

Jugendliche stellen Fragen

Doch wie begründet ist diese Hoffnung? Gemessen an der Alltagserfahrung von Jugendlichen mit der Politik, nicht allzu groß: „Parteipolitik ist für junge Menschen wenig greifbar“, räumte Maria Springenberg-Eich, Leiterin der NRW-Landeszentrale, ein. Doch Jugendliche seien nicht politikverdrossen – der Zulauf der Piratenpartei zeige, glaubt Springenberg-Eich, dass sie sich interessieren – sofern Parteien offen für sie sind.

Mehr Beteiligung forderten junge Menschen auch bei Stadtentwicklungsprojekten und der Gestaltung ihrer Lebenswelt. Ein satirisches Quiz „Wer wird Essen-Werdener“, das Jugendliche veranstalteten, sollte deutlich machen, dass Kinder in wohlhabenden Vierteln bessere Zukunftschancen haben.

„Der jugendliche Verstand ist unverbraucht“, lobte Prof. Ronald Kurt vom Kulturwissenschaftlichen Institut die kreativen Ideen der Gruppen. Die Essener Einrichtung begleitete das Projekt und kam zu dem Ergebnis: Jugendliche stellen Fragen, die Erwachsene sich im Alltag nicht zu stellen trauen. Die Offenheit gelte besonders für den jugendlichen Umgang mit anderen Kulturen und Religionen, „sie sind interessiert, die meisten älteren Menschen hingegen vermeiden den Kontakt zu Fremden“, so Kurt. Junge Leute sind in Sachen Integration bereits einen Schritt weiter als die öffentliche Debatte. Statt eines „Deutschland schafft sich ab“ stellen sie die Frage: „Was ist überhaupt deutsch?“

Und sie überlegen neue Aktionsformen, wie man die Gesellschaft zu mehr Zivilcourage motivieren kann. Zum Beispiel mit „Flashmob“-Aktionen: Integration 2.0.