Mülheim. .
Mülheim, die alte Stadt, muss zurück in die Pubertät. Mit dieser Forderung tritt Designer Hermann Rokitta an. Pubertieren bedeutet für ihn: „Ich breche über die Wirklichkeit meiner Eltern hinaus. Ich bin risikofreudig. Ich will was schaffen.“ Querdenken ist denn auch seine Lösung für die Innenstadt – aber immer gemeinsam mit den Mülheimern.
Die Ideen Hermann Rokittas sind wahrhaft abgefahren: Einen ausrangierten ICE macht er zur „Geilen Meile“ mit Cafés, Treffpunkten, Läden und Raum für Existenzgründer. Aus Balkons alter Plattenbauten setzt er ein Restaurant zusammen, das nur über eine Kletterwand erreichbar ist. Auf die grüne Wiese setzt er ein Fünf-Sterne-Restaurant in alten Lkw-Anhängern inmitten eines Irrgartens. Und den Kaufhof macht er drei Etagen kürzer und setzt oben drauf Cafés und Skaterrampen.
Wohlweislich hat Hermann Rokitta die Entwürfe, deren Grundideen von ihm stammen, die er aber mit anderen Kreativen und teils mit Jugendlichen ausarbeitete, „Utopie“ genannt. Doch hinter den utopischen Ideen stecken durchdachte Überlegungen, die sich tatsächlich auf die Vergangenheit beziehen. „In alten Städten hat sich ihre Größe nicht über die Höhe der Gebäude definiert, sondern über die Größe der Plätze“, sagt Rokitta und verweist auf afrikanische Dörfer. Dort zeigt sich im Kleinen: Hütten gruppierten sich um einen zentralen Platz. „Der Stadtkern ist das Herz des Ortes. Es ist ein Kommunikationsort“, folgert der Designer und schlägt die Brücke ins Hier und Jetzt: Ihre Funktion als Einkaufsmeilen haben Stadtmitten verloren, so muss eine neue her. Und die findet Rokitta im afrikanischen Basismodell: Die City soll Treffpunkt für Menschen sein. Man brauche eine „neue Interpretation von sozialer Begegnung und sozialer Leistung“.
Kulturhauptstadt als Auslöser
Gemeinsam mit anderen Kreativen dieser Stadt arbeitet Hermann Rokitta daran, diese Überlegungen umzusetzen und zu den Mülheimern zu bringen. Unter dem Begriff „Gisti“ fasst er das zusammen. Das steht mal für „Gesellschaft interagierende Stadtinnovation“, mal für „Gesellschaft integrierende Stadtinnovation“, bedeutet aber letztlich, dass die Mülheimer bei der Utopie nicht außen vor gelassen, sondern eingebunden werden sollen, damit sie sich verbunden fühlen. Denn Hermann Rokitta, der seinen Lebensunterhalt mit Design und Markenästhetik verdient, behandelte auch Mülheim kurzerhand als Marke. Und bei der Entwicklung von Markenstrategien lautet eine Regel: „Es muss ein Gewohnheitswert generiert werden.“ Heißt: Die Marke muss den Menschen vertraut werden. Ist das geschafft, gilt für alle künftigen Weiterentwicklungen: „Sie dürfen nur 16 % Innovation enthalten.“ Sonst wird das Vertraute fremd. Rokitta: „Wenn wir das auf Städte übertragen, darf so etwas wie Stuttgart 21 nicht passieren.“ Schließlich gehören Emotionen dazu, bei Produkten wie bei Städten. Der Designer Hermann Rokitta baut gar darauf: „Wichtig ist nicht die perfekte Funktion, sondern dass man es so empfindet.“
Treffpunkte hat Hermann Rokitta mit seiner Utopie entworfen, aber eben auch „Alleinstellungsmerkmale“, die durch ihre Einzigartigkeit Strahlkraft weit über die Stadtgrenzen hinaus hervorbringen könnten. Darunter geht’s nicht, der Designer denkt nun mal gerne pubertär.
Die Kulturhauptstadt war für Hermann Rokitta der Auslöser, sich mit Mülheim zu befassen. Seitdem entwickelte er, teils in der Gruppe, verschiedene Projekte. Eine Auswahl:
KreativKraft-Preis
Die Gruppe „KreativKraft“, zu der Rokitta gehört, möchte im kommenden Jahr einen Kreativ-Kultur-Preis ausloben. Dieser soll an Unternehmer gehen, die sich mit kreativen Ideen mit ihrer Stadt auseinander- und sich für sie einsetzen. Als Beispiel nennt Rokitta das Unternehmen, das „Mölmsch“ wieder in die Biergläser der Stadt gebracht hat. Der interne Nominierungsprozess soll bald beginnen.
Pott-Rock
Ebenfalls in der Vorbereitung ist „Pott-Rock“, hinter dem sich Stoffumhüllungen für die Baumkübel auf der Schloßstraße verbergen. Statt graue Pötte sollen sie im jahreszeitlichen Wechsel Farbe in die City bringen.
Ofen Schlot
Eine gewagtere Idee ist „Ofen Schlot“, der „öffentlich offene Kamin“. In diesem Projekt-Entwurf stellt Rokitta einen alten Industrieschlot auf den Berliner Platz, malt ihn rot an, platziert würfelförmige Hocker darum herum und macht den Platz zu einem „gemütlich, wärmenden Ort“. In Rokittas Vorstellung sitzen Menschen um die Feuerstelle, entspannen und plaudern – im Sommer bei Wein, im Winter bei Glühwein.