Mülheim. .
Auf der Zielgeraden zum Bildungsentwicklungsplan kommt nun doch reichlich Unmut auf: Oberbürgermeisterin Dagmar Mühlenfeld spricht von einer fatalen Fehlentwicklung in der Stadt. Der einst ambitionierte Bildungsentwicklungsplan verkümmere zu einer schlichten „Standortfestlegungsentscheidung“, die die Stadt zurück in die 80er Jahre werfe.
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Mülheim erhebt sogar schwere Vorwürfe gegen die Mehrheit des Rates: Der von CDU, FDP, Grünen und der MBI angeführte seit Jahren anhaltende Unterrichtsausfall gerade an kleineren Grundschulen sei schlicht die Unwahrheit, erklärt die Sprecherin der GEW, Rita Theelke. Das politische Bündnis bezeichnet sie als unglaubwürdig. „Die Schulen waren in den letzten Jahren immer gut mit Lehrkräften versorgt, auch Dank von zusätzlichen Lehrern für Integration und für Förderunterricht. “ Auch die kleineren Mülheimer Grundschulen erfüllten ihre Stundentafel, so Rita Theelke.
CDU hält an Argumenten fest
Der Streit entzündet sich an der Argumentation des Viererbündnisses, dass die Aufgabe von Schulstandorten und die Bildung von Teilstandorten vor allem damit begründet, den Unterrichtsausfall in Mülheim beenden zu wollen. Die Stundentafel werde an vielen Schulen eben nicht erfüllt, heißt es. Heiko Hendriks, schulpolitischer Sprecher der CDU, bleibt dabei, dass deshalb dringender Handlungsbedarf in Mülheim bestehe. „Wir wissen dies aus vielen Gesprächen vor Ort mit Schulleitern, Lehrern und Eltern, die sich wundern, wie wenig Unterricht an manchen Tagen gegeben werde. Es werde nicht an den Fächern Mathematik und Deutsch gekürzt, wohl aber in anderen Fächern.
Wie es heißt, sollen derzeit 15 der 24 Grundschulen in Mülheim Probleme in der Lehrerversorgung haben. Begründet wird dies mit dem Zuweisungsschlüssel: Danach gibt es vom Land für 24,1 Schüler eine Lehrerstelle. Heißt für die Praxis: Für drei kleine Klassen stehen keine drei Lehrer zur Verfügung. Auch Schuldezernent Peter Vermeulen hatte bei den öffentlichen Bürgerrunden in den Schulen stets betont: Viele Schulen haben eine Zweizügigkeit bei weniger als 48 Schülern, also zu wenige Lehrer für eine ausreichende Unterrichtsversorgung, geschweige denn für weitere Aufgaben von Schulen wie die aktive Einbringung in den Stadtteil. Vermeulen sagt aber auch, dass es dem Schulamt mit verschiedenen Mitteln in der Vergangenheit gelungen sei, Unterrichtsausfall zu vermeiden. Reduziert werden musste jedoch Sprachförderung, Eltern- wie Stadtteilarbeit dort, wo die Lehrerdecke zu dünn gewesen sei.
Kein Ausfall, dennoch Handlungsbedarf
Die für Mülheim zuständige Schulrätin, Christa Stocks, kann die aktuelle politische Argumentation nicht nachvollziehen. Der dargestellte Unterrichtsausfall stimme so nicht, betont sie. Wäre dies so, hätten die Schulleitungen längst laut aufgeschrien. „Es war immer unser Stolz, dass eben kein Unterricht an den Mülheimer Grundschulen ausfällt.“ Die Stadtkanzlei verteilte gestern Nachmittag noch einen Plan, der eine Überbesetzung der Mülheimer Grundschulen seit 2009 belegen soll.
Handlungsbedarf sieht jedoch auch die Schulrätin, gerade bei Teilstandorten: „Diese sind für Schulen logistisch schwer zu bewältigen.“ Doch Teilstandorte, etwa in Eppinghofen, soll es weiterhin geben.
Das Schulgesetz von NRW, darauf verweist die Gewerkschaft, sieht zweizügige Grundschulen vor, ausnahmsweise sogar einzügige Schulen. „Dies sehen die Mülheimer Fraktionen nun anders als das Schulgesetz. Schulen droht die Schließung, sobald die Anmeldezahlen nur zur Bildung einer Klasse reichen. Damit stehen viel Schulen permanent unter dem Druck einer drohenden Schließung“, kritisiert Rita Theelke.
Der Druck wächst auch auf das Viererbündnis und die Schulverwaltung, die die Hauptschule Eppinghofen schließen wollen. Jetzt sagen erste Politiker: „Das Schulgebäude in Eppinghofen ist eine Zumutung. Es müsste abgerissen und neu gebaut werden. Dazu fehlt das Geld.“ Zu hören ist auch, dass über ein Bürgerbegehren gesprochen wird.
Die Oberbürgermeisterin kontert
Wo ist die aktive Bildungspolitik als Schlüssel für eine positive Zukunftsentwicklung, vor allem in benachteiligten Stadtteilen? fragt Oberbürgermeisterin Dagmar Mühlenfeld angesichts des von CDU, FDP, Grünen und MBI vorgelegten Entwurfs zur Schullandschaft von morgen. Sie wirft den Fraktionen vor, Schule nur unter schlichten Standortgesichtspunkten zu betrachten, nicht auf Ungleichheiten, Benachteiligungen und Bildungsarmut zu reagieren. Damit, so die OB, würden die Erfolgsaussichten von Kindern weiter geschmälert, einer weiteren Belastung für den Wohlfahrtsstaat der Weg bereitet.
Lange hatte die OB zur Bildungsdebatte geschwiegen, gestern meldete sie sich zu Wort: Fatale Fehlentwicklung, das ist ihr Fazit zum vorliegenden Antrag des Viererbündnisses, der in der nächsten Woche mit Mehrheit im Rat verabschiedet werden dürfte. Längst geben in der Stadt CDU, FDP, Grüne und MBI den Takt in der Bildungslandschaft vor, und in der Stadtkanzlei ist man davon überzeugt, dass es nicht mehr um sachliche Bildungs-, sondern um Machtfragen geht. Die OB, die den Wahlkampf mit Schulpolitik bestritten hatte und Mülheim in Sachen Bildung zur Vorzeigestadt machen wollte, wird „kaltgestellt“. Vor allem um Eppinghofen macht sie sich große Sorgen: „Ich kann die Enttäuschung und den Unmut in der Bevölkerung gut verstehen.“
Zum Unterrichtsausfall sagt sie: „Wenn es tatsächlich so wäre, müsste das Problem empirisch aufgearbeitet und dargelegt werden, wie es beseitigt werden kann. Doch davon sei nichts zu hören.