Mülheim. Vor Jahrhunderten residierte sie auf Schloß Broich, noch immer ist sie allgegenwärtig in Mülheim: Prinzessin Luise, die spätere Königin Preußens.
In ihrer Amtszeit als NRW-Ministerpräsidentin reagierte die Mülheimerin Hannelore Kraft allergisch darauf, wenn sie als Landesmutter tituliert wurde. Das hatte seinen guten Grund. Denn der Begriff der Landesmutter stammt noch aus der Zeit des Absolutismus. Solch eine Monarchin war indes Prinzessin Luise, die zeitweise auf Schloß Broich residierte, und als „Königin der Herzen“ galt.
In der Zeit des Absolutismus wurde die Broicher Landesmutter Maria Luise Albertine von Hessen Darmstadt zur Regentin der mit 180 anderen Herrschaften zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation gehörenden Herrschaft Broich, weil sie deren Einwohner zu ihrer Regierenden gewählt hatten. Von Bürgerinnen und Bürgern war zu Maria Luise Albertines Zeiten ebenso wenig die Rede wie von Demokratie.
Broicher Herrschaft war Vorläuferin der Stadt Mülheim
Auch in der Broicher Herrschaft, der Vorläuferin der 1808 von Napoleons Gnaden gegründeten Stadt Mülheim an der Ruhr ging die Macht nicht von den Bürgerinnen und Bürgern aus, die man damals deshalb auch nur Untertanen nannte. Wie ihre fürstlichen Amtskolleginnen und Kollegen sah sich Maria Luise Albertine nicht durch das Volk, sondern von Gottes Gnaden zu ihrer Herrschaft berufen. Geboren wurde sie 1729 als Maria Luise Albertine von Leiningen-Dagsburg-Falkenburg im pfälzischen Heidesheim. Durch ihre Geburt, als Tochter des Grafen Karl Reinhard von Leiningen Dagsburg Falkenburg, erbte sie nach dessen Tod 1766 die Herrschaft Broich.
Auf Schloß Broich residierte sie jedoch nur zeitweise, wenn es für sie galt, an der Ruhr nach dem Rechten zu sehen. Denn seit ihrer Heirat mit dem Prinzen Georg-Wilhelm von Hessen-Darmstadt lebte sie ab 1748 als Landgräfin von Hessen-Darmstadt hauptsächlich in ihrer Darmstädter Residenz, wo sie auch die Erziehung ihrer Enkelin Prinzessin Luise von Mecklenburg-Strelitz übernahm. Denn die „tolle Luise“, wie sie in ihrer Familie genannt wurde, hatte bereits mit sechs Jahren ihre Mutter verloren.
Von der Großmutter aufgezogen
Die Großmutter, die von ihren Zeitgenossen als klug, fröhlich, warmherzig und liberal beschrieben wird, ließ ihre Enkelin in Englisch, Französisch, Deutsch, Religion, Musik und Kunst unterrichten. Denn sie sollte als künftige Monarchin neben ihrem regierenden Ehemann keine schlechte Figur machen. Doch als Prinzessin Luise in den Sommermonaten der Jahre 1787, 1789 und 1791 ihre Großmutter in Broich besuchte, war noch nicht absehbar, dass sie 1797 an der Seite ihres königlichen Ehemanns Friedrich Wilhelm III. als Königin den preußischen Thron besteigen würde.
Prinzessin Luise, die von ihren Zeitgenossen als klug und kokett, aber auch als verspielt und unbefangen beschrieben wird, blieb den Broichern als volksnahe, an den Menschen interessierte und hilfsbereite Prinzessin in Erinnerung. Die Prinzess-Luise-Straße, die marmorne Luisen-Büste im Schloß Broich, die Luisenschule und das Luisental erzählen uns bis heute davon.
Regentin Luise erhielt Einkünfte aus der Mülheimer Kohleförderung.
In die 40-jährige Regentschaft ihrer Großmutter fallen unter anderem der Beginn der Kohlenschifffahrt auf der Ruhr und der damit einhergehende Bau der ersten Ruhrschleuse (1780), der Bau der ersten Marienkirche (1786) und der ersten Synagoge (1792), aber auch die Herausgabe der ersten Mülheimer Zeitung (1796) und der Beginn des ersten Wochenmarktes an der Petrikirche im Jahr 1802.
Aus unserer Serie „Berühmte Mülheimer“:
- C.A. Kortum schrieb ein humorvolles Heldengedicht
- Mathias Stinnes: Vom Schiffsjungen zum Mülheimer Unternehmer
- Gerhard Tersteegen: Mystiker, Poet und Menschenfreund
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- Wie Mülheims Konzernlenker August Thyssen die Region prägte
- Mülheimer CDU-Politikerin Helga Wex kämpfte für Frauenrechte
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- Berühmte Mülheimer: Seine Kunst prägt Stadtbild bis heute
Dass die 1818 in Strelitz verstorbene Maria Luise Albertine von Hessen-Darmstadt 1806 in Broich ihre Macht abgegeben musste, hat nichts mit einer Revolution ihrer Untertanen, sondern mit den militärischen Eroberungen des napoleonischen Frankreichs und dem Ende des im 10. Jahrhundert begründeten Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation zu tun. Mit der Rheinbundakte wurde die Herrschaft Broich 1806 dem von Napoleons Schwager Joachim Murat regierten Großherzogtum Berg zugeschlagen. Der übernahm allerdings einen Teil ihrer Beamten und gewährte ihr noch bis 1813 Einkünfte aus der Mülheimer Kohleförderung.
In einem Rückblick des Mülheimer Geschichtsvereins heißt es 1908 über Maria Luise Albertine von Hessen-Darmstadt: „Es spricht für den Charakter der Fürstin, dass sie bei Ihrer Anwesenheit auf dem Broicher Schlosse ihren kirchlichen Bedürfnissen abwechselnd in der reformierten Petrikirche und in der lutherischen Kirche an der Delle nachkam. Daraus spricht eine selbstständige Geistesrichtung. Auch die Verordnungen, die sie über verschiedene Materien der inneren Verwaltung, besonders des Gerichtswesens und über allerlei wirtschaftliche Fragen erlassen hat, sind bemerkenswerte Denkmäler einer selbstständigen und pflichtbewussten Betätigung des aufgeklärten Absolutismus. Und doch liegt in allen diesen Beziehungen nicht eigentlich der Grund für ihr gutes Gedächtnis in Mülheim und seiner Umgegend. Denn auf das breitere Volk pflegen persönliche Verhältnisse oft stärker zu wirken als sachliche Verdienste.“