Selm. In Selm im Kreis Unna ist eine Stele errichtet worden, die an die Staufer und Kaiser Barbarossa erinnert. Der hatte tatsächlich Bezug zu Selm.
Wenn Professor Schaltenbrand das hört! Ein älteres Ehepaar umrundet die neue Staufer-Stele in der Innenstadt von Selm, liest die Inschriften, schaut auf die Darstellungen, unter anderem einer Taufschale. „Taufschale?“, sagt sie zum ihm im Weitergehen amüsiert: „Das sieht ja aus wie ein Bottich!“
Professor Ralf Schaltenbrand hat das nicht gehört, aber was er prinzipiell zu solcher Aufmerksamkeit sagt, ist dies: „Es ist eine der schönen Sachen, die jetzt passieren, dass man darüber spricht.“ Über die Geschichte von Selm im Nordosten des Ruhrgebiets. Es gehe „um die Zukunft der Vergangenheit in der Gegenwart“ - was für ein schöner bildungsbürgerlicher Satz.
Drei Meter hoch, 4,5 Tonnen schwer und massiv
Das wollten er und die anderen Rotarier mit ihrer Initiative ja nur: etwas tun für die kleine Stadt und den Umkreis und ein historisches Bewusstsein wecken, das hinter die Zeche Hermann zurückreicht. Ihre Schließung 1926 traumatisierte die Stadt dauerhaft, 90 Prozent der Männer waren plötzlich arbeitslos, Selm war jahrzehntelang eine Notstandsgemeinde.
Und so kommt es, dass auf einem großen, neu gestalteten Platz inmitten Selms Ende Februar ein Denkmal für etwas weit Älteres errichtet wurde: für die mittelalterliche Dynastie der Staufer und ihren bekanntesten Vertreter, den Kaiser Friedrich I. Barbarossa. Drei Meter hoch, 4,5 Tonnen schwer, massiv.
Es ist schon die 40. Staufer-Stele in Mitteleuropa
Schaltenbrand hat sie gespendet und der frühere Bundestagspräsidenten Norbert Lammert aus Bochum hat sie eingeweiht. Den Termin kannte er seit zwei Jahren, solange hatte Ralf Schaltenbrand ihn damit verfolgt. Lammert in seiner liebsten, seiner ironischen Art: „Ich sei schon gebucht, damit konnte ich so lange vorher plausibel nicht aufwarten.“
Es ist die erste Staufer-Stele im Ruhrgebiet, aber die vierzigste in Mitteleuropa. Das Projekt hat der Stuttgarter Bildhauer Markus Wolf im Jahr 2000 begonnen, und Orte oder Initiativen können sie dort aufstellen lassen, wo in der Geschichte der Staufer etwas Besonderes passiert ist. Da die Familie von 1138 bis 1268 die Kaiser und Könige des damaligen „Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation“ stellten, kommt da einiges zusammen.
Stadtrat diskutierte kontrovers über die Aufstellung
Freilich muss man auch sagen: Mancher Bezug schwächelt, etwa die Begründung einer solchen Stele in Klosterneuburg in Österreich: „Agnes von Waiblingen, Ehefrau des ersten Stauferherzogs, hat hier 1106 in zweiter Ehe den Babenberger Leopold III. geheiratet.“ Das klingt eher nach einer Babenberger-Stele, aber die gibt es ja wohl nicht.
Natürlich war die Aufstellung in Selm nicht unumstritten. Eine mittelalterliche Dynastie. Ein Kaiser, der Kriege führte. Und hieß der Überfall auf die Sowjetunion 1941 nicht „Unternehmen Barbarossa“? Doch, hieß so, aber dazu kann er nichts. Und Menschen aus dem 12. Jahrhundert an den moralischen Maßstäben des 21. zu messen - naja. Die Diskussion im Stadtrat endete jedenfalls so, wie es der Sprecher der Stadt beschreibt: „Die Stele steht.“
Im September zeigt Schloss Cappenberg eine große Barbarossa-Ausstellung
Den Selmer Bezug gibt es nämlich tatsächlich. Mehrfach. Auf Schloss Cappenberg, das zum Stadtgebiet gehört, lebte im 13. Jahrhundert Barbarossas Pate Otto von Cappenberg. Dort befindet sich auch ein Geschenk des Kaisers, der berühmte Barbarossa-Kopf, ein bedeutendes mittelalterliches Kunstwerk.
Lange hielt die Forschung ihn für eine Darstellung Barbarossas, aber die gewohnt knappe lateinische Inschrift kann auch bedeuten: „eines Kaisers.“ Und dann gibt es noch diesen Bottich . . . Verzeihung, die Taufschale, ebenso ein kaiserliches Geschenk an den Paten. Die Schale steht normalerweise in einem Berliner Museum, kommt aber im September zu einer großen Barbarossa-Ausstellung auch nach Cappenberg.
„Wir wollen mit der Geschichte auch junge Leute erreichen“
Auch der Standort der Stele in Selm ist kein Zufall. „Wir wollen mit der Geschichte auch junge Leute erreichen“, sagt Schaltenbrand, kein Historiker übrigens, sondern ein Professor der Pharmazie. Das Gymnasium ist ganz in der Nähe; eine Info-Säule neben der Stele lockt Interessierte zu Barbarossa ins Internet; und auf der anderen Seite liegt das Jugendzentrum „Sunshine“.
Man kann sich richtig vorstellen, wie die Mädchen und Jungen sich in die Aufschriften der Stele vertiefen: „Markus Wolf fecit MMXXII“ kriegt man ja noch hin (“Markus Wolf hat das 2022 geschaffen“), aber: „Caput argenteum ad imperatoris formatum effigiem“? Ganz klar ein Fall für die Oberstufe: „Silberner Kopf, der wie das Bild des/eines Kaisers geformt ist.“
Barbarossa ist jener Kaiser, der auf einem Kreuzzug in der heutigen Türkei ertrunken ist. Seine Gebeine sind verloren oder sein Grab dort ist bisher nicht gefunden: Jedenfalls entstand daraus die Legende, Barbarossa schlafe im Kyffhäuser in Thüringen und werde zurückkehren, wenn Deutschland in große Not gerate. Vielleicht wäre keine schlechte Idee: bald?