Napoleons Siegeszug durch Europa veränderte die Herrschaftsverhältnisse und formte neue Verwaltungsstrukturen. Mülheim war groß genug für einen Munizipalrat. Den beschäftigten früh die Finanzen und gleich aus Affären.

Wie lange die 24 Herren getagt haben, ist nicht überliefert. Was sie vor 200 Jahren beschäftigte, schon: Am 18. Februar 1808 trat erstmals die Stadtvertretung zusammen. Wenige Tage zuvor waren die Herrschaften, darunter auffalend viele „Kaufhändler”, aber auch Apotheker und Advokaten” als Munizipalräte vereidigt worden. In der Sitzung ging es – geradezu zeitlos – um die Unbillen der Verwaltungsarbeit und das liebe Geld. Zunächst, hält das Protokoll fest, beschäftigte die Suche nach einem „schicklichen Local” die „Raths”-Versammlung”. Hier sah die Vertretung durchaus Bedarf für „weitläufigere Rücksprache”. Zweiter Punkt: Besoldungs-Fragen. Das Salär für die „Secretairen” und die „Polizen-Diener” wurde erörtert. Gerade mal drei Polizeikräfte waren zusätzlich zum bisherigen Gemeinde-Diener verpflichtet worden. Ferner berieten die Stadtvertreter die Quartalskosten fürs „Bureau” und die Aufschlüsselung derselben. Wer zahlt was? Die Frage war damals schon hochbrisant. Denn Mülheim, der einschließlich Holthausen „zur municipal-Stadt erhobene Flecken” war nur der „siebente Theil” der alten Herrschaft Broich. Und zur Finanzierung der Aufgaben, fanden die Munizipalräte, sollten die sechs Honnschaften, also die Dörfer der Umgebung beitragen. Die „förmliche Installierung der allergnädigst zu Mitgliedern der hiesiegen Municipal- und Polizen-Verwaltung ernannten Individuen” hatte seine „Excellenz”, der Provinizial-Rat Graf von Spee verfügt. Erst fünf Tage zuvor war das Gremium vereidigt worden, sich mit „Fleiß, Treue und Redlichkeit” einzusetzen. Mülheim war nicht viel mehr als ein Dorf. A´ber immerhin ein so großes Dorf, das es 1807 zusammen mit Holthausen auf 6017 Seelen brachte und damit die Voraussetzung für eine eigenständige Munizipalverwaltung erfüllte. Duisburg hatte damals gerade einmal rund 4100 Einwohner, Düsseldorf immerhin schon über 13 430, hat Kurt Wickrath für seinen Beitrag im Mülheimer Jahrbuch 1983 recherchiert. Stiche aus der Zeit zeigen ein verschlafenes Nest. Auf dem Kirchenhügel thront über allem die Petrikirche, rundum formen die Häuser dicht gedrängt den Kern der Stadt. Die Delle ist die Hauptstraße, am heutigen Alten Friedhof ist es schon wieder vorbei mit der Bebauung. Bis Stinnes, Dinnendahl und Thyssen, die Vosters oder Troosts die Weichen Richtung Industriealisierung stellen, werden noch ein paar Jahre vergehen. Am Fluss gibt es ein paar Bootsbau-Plätze, Mühlen arbeiten entlang des Rumbachs. Den Pendelverkehr zur Broicher Seite leistet die Scholl'sche Fähre. Das einstige Herrschaftszentrum dort ist schon ein wenig herunter gekommen. Die Landesherrin Marie Luise Albertine von Hessen-Darmstadt hatte ihrem Anwesen noch ein wenig neuen Glanz verpasst. Hochherrschaftlich erlebten die Broicher 1787 und 1791 die Besuche von Prinzessin Luise, der späteren Königin von Preußen. Das Schloss hatte länngst als Residenz an Stellenwert verloren. Mülheim lag fern der großen Politik. Die überrolte Europa 1805. Die Grande Nation und Napoleon schrieben Geschichte. Kriegsgeschichte. Nach dem Sieg des kleinen Feldherrn bei Austerlitz änderten sich die Machtverhältnisse nachhaltig: Preußen und Bayern traten ihre Besitzungen im Westen an Frankreich ab. Napoleon verlieh die Länder seinem Schwager Joachim Murat, der am 25. März 1806 in seine Residenzstadt Düsseldorf einzog. Die Franzosen hoben die alten unterherrschaftlichen Vorrechte in Broich auf und schworen die Beamten auf sich ein. Bereits am 3. August 1806 wurden die neuen Verwaltungsbezirke für die alten Herrschaften Broich-Styrum gebildet. Der Wechsel war zunächst zumindest mit einer personellen Konstante verbunden. Hofrat Müller, zuletzt hessen-darmstädtischer Sachwalter in Broich, wurde auch Amtmann für die neuen Herren und erledigte wie gehabt in seiner Broicher Kanzlei seine Aufgaben – von der Kontrolle des Jagdrechts bis zur Armenversorgung. Seine Chancen als Direktor, also Bürgermeister der neuen Stadt eingesetzt zu werden, beendete eine blutige Auseinandersetzung Ende 1807. Wohl in Notwehr feuerte er mit der Flinte auf einen Angreifer. Der Mann starb neun Tage nach dem Schuss in den Oberschenkel. Ihn der neuen „Municipalverwaltung als Director” vorzusetzen, empfand Graf Spee anlässlich der Ereignisse, „würde in meinen Augen eine sehr große Inconsequenz seyn”. Müller blieb Amtmann in Broich. An seiner Stelle wurde der Essig-Fabrikant Hermann Vörster am 28. Januar 1808 Direktor. Offenbar keine glückliche Wahl: Mitte 1813 verschwand er aus Mülheim. Die Überprüfung des Gemeindevermögens stand an – und der Vorwurf der Bilanzfälschung im Raum.