Mülheim. Oksana Shekhanina ist aus der Ukraine geflohen und fand in Mülheim Unterschlupf. Wie es dazu kam, dass sie an der VHS Mülheims Yoga-Stunden gibt.
Sieben Monate ist es nun her, dass sie entschieden hat: „In Charkiw, meiner Heimat, ist es zu gefährlich, hier kann ich nicht bleiben.“ Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine machte das Leben für die 54-Jährige und ihre Familie in ihrem Zuhause unmöglich. Nun hat Oksana Shekhanina in Mülheim ein Zuhause auf Zeit gefunden und zudem eine berufliche Perspektive: Sie unterrichtet Yoga an der Volkshochschule (VHS) und in einem Sportverein.
Konzentriert richtet sie ihre Füße am Mattenende aus, bringt Spannung in ihre Muskeln, atmet tief ein, hebt dann den Kopf und strahlt die Kursteilnehmer an. Man spürt gleich, hier – auf der Yoga-Matte – ist Oksana Shekhanina in ihrem Element. „Arme hoch, einatmen“, führt sie die drei Frauen, die an diesem Abend teilnehmen, routiniert durch die Übungen, die sie gekonnt vormacht.
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Da kreisen zu Beginn Handgelenke, wippen Füße und dehnen sich Muskeln. Später dann tauchen die Praktizierenden in die Asanas ab, die Haltungen aus dem Yoga, die Krieger, herabschauender Hund oder Dreieck heißen. Manches ist kniffelig für den Körper, Balance und Muskelspannung sind gefordert. „Ich mache so mit, wie ich kann“, sagt die 74-jährige Christine Reitz und muss sich nicht hinter ihrer 20 Jahre jüngeren Lehrerin verstecken.
„Alles ok“, fragt die Yoga-Lehrerin in die Runde. Nickende Köpfe, warmherziges Lächeln. In solchen Momenten, da ist für Oksana Shekhanina selbst „alles ok“, sie geht voll auf in ihrer Aufgabe, liebt es, die Übungen anzuleiten und die Teilnehmenden durch die Atempraxis zu führen. Dann, so scheint es, ist ihre Sorge um die Heimat, die Angst um ihre beiden Söhne und die alte Mutter, die noch in der Ukraine ausharren, für einen Moment weit weg. Zusammen mit ihrem Mann, der ausreisen durfte, weil er an einer Krankheit leidet, flüchtete die 54-Jährige vor sieben Monaten nach Mülheim. „Wir haben Freunde hier“, erzählt Oksana Shekhanina, ein Zuhause haben sie am Hingberg gefunden.
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Ihre Söhne aber, 32 und 28 Jahre alt, durften die Ukraine nicht verlassen: „Noch müssen sie nicht kämpfen, weil die Armee noch genug Leute hat, aber sie stehen auf einer Liste.“ Zurzeit befänden sich ihre Söhne gemeinsam mit ihrer Mutter im Westen ihres Heimatlandes, die drei seien ebenso wie sie aus dem östlich gelegenen Charkiw geflohen, das durch russische Truppen heftig angegriffen wird. „Mein Haus ist noch nicht kaputt“, hat sie in Erfahrung gebracht. Per Handy und Internet hält Oksana Shekhanina Kontakt zu Freunden und Bekannten. „Ich möchte gerne zurück“, sagt sie auf Deutsch. Wann aber das sein kann, steht in den Sternen.
Mülheim gefällt ihr gut, sagt die Ukrainerin – es sei deutlich überschaubarer als die Millionenstadt Charkiw. Dass sie nun als Yoga-Dozentin an der Volkshochschule (VHS) arbeitet und zudem beim Mülheimer Amateur Sport-Club Yoga-Stunden gibt, hat sie dem Zufall zu verdanken – oder vielmehr einer aufmerksamen Kursleiterin an der VHS. Dort besucht Oksana Shekhanina seit fünf Monaten den Integrationskurs „Ich will Deutsch lernen“, betont sie. Also büffelt sie an der Aktienstraße Vokabeln und Grammatik – und macht in den Pausen ein paar Yoga-Übungen, um ihrem Körper Entlastung fürs lange Sitzen zu bieten. „Das ist meiner Kursleiterin aufgefallen und sie hat mich darauf angesprochen.“
Für eine Ukrainerin, die in Mülheim lebt, wurde Yoga vom Hobby zum Beruf
Bei der VHS war man gerade auf der Suche nach einer weiteren Dozentin für Yoga-Stunden, und so nahm Henrike Donner, die Programmbereichsleiterin Gesundheit, Natur und Umwelt, den Kurs mit Oksana Shekhanina ins Programm auf. Im kommenden Jahr wird die Ukrainerin einen zweiten Kurs neben den Hatha Yoga-Stunden unterrichten: Power Yoga. Das neue Kursprogramm der VHS geht am 11. November online.
Klar sei sie zu Beginn aufgeregt gewesen, ihr Deutsch sei schließlich noch nicht so gut, schildert die Ukrainerin – die Perspektive aber, nicht tatenlos abwarten zu müssen, sondern eine Beschäftigung zu haben, sogar mit ihrer Liebe Yoga, sei stärker gewesen als die Bedenken, nicht verstanden zu werden.
Geflüchtete Yoga-Lehrerin unterrichtet in Mülheim auch auf Ukrainisch
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„Seit über zehn Jahren unterrichte ich Balance-Yoga, habe viele Zertifikate erworben. Yoga war zuerst mein Hobby, später dann mein Job. Wenn ich auf Ukrainisch unterrichte, dann spreche ich mehr, viel mehr“, sagt die Ukrainerin und grinst. Außer an der VHS gibt sie auch Yoga-Stunden beim Amateur-Sport-Club, dort dann in ukrainischer Sprache. Zahlreiche Menschen in Mülheim machten von diesem Angebot inzwischen Gebrauch, erzählt die drahtige Frau mit den blonden kurzen Haaren.
Dass hier im Yoga-Kurs in der VHS nicht so viel, nur das Nötigste gesprochen wird, stört die Teilnehmenden nicht. „Man versteht alles, sie macht es ja prima vor“, sagt Gaby Jessen. Die 72-Jährige besucht schon lange Sport-Kurse, auch an der VHS, erzählt sie und findet: „Mit Oksana macht es richtig Spaß.“
Yoga wirke auf vielen verschiedenen Ebenen und sei für sie wie ein Anker, beschreibt Oksana Shekhanina: Die Körperübungen, die Atempraxis und das In-sich-Gehen helfen ihr, Momente der Ruhe zu finden, beschreibt sie, auch wenn die Welt drumherum im Chaos zu versinken drohe. „Yoga hilft mir, die Krise durchzustehen.“