Mülheim. Die Zahl der Geflüchteten steigt wieder, auch in Mülheim. Die Stadt ächzt unter der Belastung, will sich aber mit drastischen Maßnahmen behelfen.
Angesichts der steigenden Flüchtlingszahlen fordern Gemeinden seit Wochen bei der Versorgung von Geflüchteten mehr Unterstützung vom Bund. Am Dienstag hatte Bundesinnenministerin Nancy Faeser Länder und Kommunen zu einem „Flüchtlingsgipfel“ in Berlin geladen, dort allerdings kaum die Sorgen der Anwesenden nehmen können.
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Bei der Mülheimer Stadtverwaltung ist die Enttäuschung über den Ausgang der Bund-Länder-Gespräche groß. In Abstimmung mit dem Krisenstab und dem Verwaltungsvorstand hat Sozialdezernentin und Krisenstableiterin Dr. Daniela Grobe nun entschieden, „Ukrainerinnen und Ukrainer, die ohne Zuweisung nach Mülheim kommen, künftig dann aufzunehmen, wenn hier bereits Familienangehörige leben, sie einen Miet- oder Arbeitsvertrag haben oder bei Ankunft akut medizinische Hilfe benötigen.“ Alle weiteren Geflüchteten aus der Ukraine sollen an die Landeserstaufnahmestelle in Bochum weitergeleitet werden – diese Möglichkeit habe das Land seit Kurzem für besonders belastete Kommunen eröffnet.
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Mit der „gesteuerten Aufnahme“ solle vor allem gewährleistet werden, dass die im Moment noch freien Restplätze in den Unterkünften ausreichen, bis eine neue, größere Notunterkunft eingerichtet werden kann. „Wir tun nach wie vor unser Möglichstes, um zu verhindern, dass wir eine weitere Sporthalle in Beschlag nehmen müssen – versprechen kann ich das zum jetzigen Zeitpunkt allerdings ehrlich gesagt leider nicht“, so die Krisenstabsleiterin.
Geflüchtete in Mülheim: Zahlen ändern sich täglich
Ein Blick auf die aktuellen Geflüchtetenzahlen in Mülheim verdeutlicht, wie ausgereizt die Kapazitäten sind: Angaben der Stadt zufolge befinden sich derzeit 763 Menschen aus der Ukraine in städtischer Unterbringung. Tagesaktuell seien davon 131 Menschen in der Notunterkunft Harbecke-Sporthalle untergebracht, weitere 357 Personen in der Unterkunft Mintarder Straße. Unterm Strich blieben damit derzeit 100 Plätze zur Unterbringung übrig, einen gewissen Puffer müsse man für Quarantäneplätze einrechnen. „Das klingt jetzt vielleicht erst einmal noch ganz komfortabel“, so Grobe. Allerdings änderten sich die Zahlen täglich.
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Zu den Geflüchteten aus der Ukraine kommen laut der Dezernentin noch Menschen aus anderen Herkunftsländern hinzu. „Man muss wissen, dass wir derzeit in Mülheim insgesamt 1.613 Geflüchtete, also aus der Ukraine und aus weiteren Krisengebieten der Welt, wie Syrien, Afghanistan, Iran, Irak und anderen, städtisch untergebracht haben“, erklärt Daniela Grobe. 927 davon lebten in Unterkünften wie der Mintarder Straße, dem Klöttschen oder der Oberheidstraße, 686 weitere in städtisch angemieteten Wohnungen in ganz Mülheim verteilt. Das alles sei in den zuständigen Ämtern in den vergangenen Monaten „ziemlich geräuschlos und effektiv umgesetzt“ worden. „Damit sind die aktuell städtischerseits verfügbaren Kapazitäten aber auch erschöpft“, so die Krisenstabsleiterin. Übrig blieben die täglich variierenden Plätze in der Harbecke-Halle und an der Mintarder Straße.
Zahl der Zuweisungen in Mülheim hat sich versechzehnfacht
Laut Grobe rechnet das Land mit rund 40.000 Asylanträgen bis Jahresende – der Anstieg ließe sich auch an den Zuweisungen in Mülheim ablesen. Waren es im Juni noch fünf Personen, stieg die Zahl im August auf 69 und im September auf 80 Personen an. Von Januar bis September 2022 seien insgesamt 403 Personen zugewiesen worden. Zum Vergleich: Im Vorjahreszeitraum lag die Zahl mit 133 Personen bei knapp einem Drittel des aktuellen Wertes.
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Aus Daniela Grobes Sicht Anlass genug, Kritik an der Verteilungslogik zu üben: „Die aktuell vorhandenen Aufnahmekapazitäten vor Ort werden bei den Zuweisungen nicht berücksichtigt.“ Ausgehend von der jeweils zu verteilenden Geflüchtetenzahl nach dem sogenannten Königsteiner Schlüssel werde jeder Kommune die entsprechende Personenzahl immer wieder neu zugewiesen. „Und die Kommunen sind verpflichtet, sich um die entsprechende Unterbringung und Versorgung zu kümmern.“ Die Stadt wolle sich auch weiterhin der „humanitären Verantwortung“ stellen: „Wir sichten seit Wochen alle möglichen Optionen bis hin zur Gewerbeimmobilie und Industriehalle. Aber gerade solche Gebäude müssen natürlich mehr oder weniger umgerüstet werden“, so Grobe.
Deshalb habe der Krisenstab als weitere Maßnahme die Reaktivierung des schon ab 2015 kurzzeitig als Geflüchtetenunterkunft genutzten Gebäudes an der Eltener Straße beschlossen. Die Herrichtung habe bereits begonnen. „Derzeit sind wir außerdem mit Eigentümerinnen und Eigentümern weiterer Gebäude im konkreten Gespräch und prüfen hier die Möglichkeiten einer Umnutzung für die Unterbringung von Geflüchteten“, sagt die Sozialdezernentin. „Können diese erfolgreich abgeschlossen werden, werden wir im Dezember dem Rat einen Lösungsvorschlag zur Entscheidung vorlegen.“