Mülheim. Aus der Ukraine geflüchtet mit zwei trächtigen Hündinnen oder verletzter Katze: In Mülheim gab es solche Fälle – und sehr menschliche Lösungen.

Verzweifelte Menschen flüchten aus der Ukraine, mit dem Wenigen, das sie tragen können, und dem Liebsten, das sie haben. Viele bringen ihre Haustiere mit: Katzen auf dem Arm, Hunde an der Leine, Vögelchen im Käfig.

„Die Leute verlassen ihre Häuser, aber nicht ihre Tiere“, sagt Irina Borovaya, freiwillige Helferin bei der Mülheimer Initiative Tschernobyl-Kinder, die gerade viel damit zu tun hat, Geflüchtete mit dem Nötigsten zu versorgen und unterzubringen. Ihr geliebtes Tier mitzunehmen, sei für die Menschen „ein Stück Zuhause“. Es gibt ihnen Trost und Halt, bringt aber praktische Probleme mit sich.

Haustiere sind im Mülheimer Flüchtlingsdorf nicht erlaubt

Denn in den meisten Sammelunterkünften, wie dem großen Flüchtlingsdorf an der Mintarder Straße, sind Tiere nicht zugelassen. Theoretisch müssen mitgebrachte Hunde, Katzen oder Frettchen auch erst einmal in Quarantäne, weil die Ukraine als Tollwut-Gebiet gilt. Daher möchte die Stadt Mülheim Flüchtlinge, die Haustiere dabei haben, möglichst dezentral unterbringen, am liebsten in eigenen Wohnungen.

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Aktuell findet sich offenbar noch für jeden Fall eine Lösung: „Bislang sind ausreichend alternative Privatunterkünfte vorhanden, die Tiere aufnehmen“, heißt es vonseiten der Stadt. Bislang musste noch kein Hund, keine Katze aus der Ukraine ins Mülheimer Tierheim ziehen.

„Es sind Tränen geflossen, es war Herzschmerz und Katastrophe“

Doch es gab Härtefälle. Monika Schick-Jöres von der Caritas Mülheim berichtet, dass erste Anfragen vom Flüchtlingscamp an der Mintarder Straße kamen, wo Menschen mit Haustieren vor dem Tor standen, aber nicht untergebracht werden konnten. Die Caritas habe in ihrem großen Kreis von Ehrenamtlichen nachgefragt und sofort Freiwillige gefunden, die als Tierpaten eingesprungen wären.

Aber dann hätten sich die Geflüchteten von ihren Lieblingen trennen müssen. „In zwei Fällen haben wir es angeboten, aber es hat nicht funktioniert“, sagt Monika Schick-Jöres, „es sind Tränen geflossen, es war Herzschmerz und Katastrophe. Man musste eine andere Lösung finden.“ Mehrere Geflüchtete mit ihren Tieren habe die Caritas schon privat unterbringen können.

Mit zwei Katzen und einem Hund kamen beispielsweise auch Familienmitglieder des Badmintonspielers Dmytro Zavadsky nach Mülheim, der seinerseits in der Ukraine ausharren muss. In diesem Fall stellte die Mülheimer Wohnungsbaugenossenschaft MWB Wohnungen zur Verfügung.

Ukrainerin mit zwei trächtigen Hündinnen kam auf einem Bauernhof unter

Manchmal helfen nur persönliche Beziehungen und Improvisation. An einen „eklatanten Fall“ zu Beginn der Flüchtlingswelle erinnert sich Norbert Flör, Vorsitzender der Mülheimer Tschernobyl-Initiative: Eine Frau und ihre beiden Töchter hatten zwei trächtige Hündinnen dabei – die Aussicht auf bald vielfachen Welpennachwuchs erschwerte die Unterbringung erheblich. Die bereits zugesagte Wohnung sei zurückgezogen worden, berichtet Flör. „Daraufhin habe ich bei einem Bauern hier in der Gegend nachgefragt und dieser wiederum bei Verwandten im Münsterland.“ Das ganze Grüppchen kam dort unter.

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Generell seien sehr viele Geflüchtete in tierischer Begleitung, stellt der Vorsitzende der Tschernobyl-Initiative fest. Aus dem Kreis seiner Ehrenamtlichen höre er: „Außer Elefanten und Pferden war schon alles dabei.“

Drei Erwachsene, drei Kinder, einen Hund und eine Katze haben Andrea Demmler und ihre Familie aufgenommen. Die Mülheimerin berichtet: „Meine Eltern hatten eine freie Einliegerwohnung, und wir haben gesehen, wie viel Not da herrscht.“ Die Familie bot ihre Unterkunft auf einem speziellen Vermittlungsportal an, das der Tierschutzverein Tasso e.V. eingerichtet hat: Über help.tasso.net werden Tiere und Menschen aus der Ukraine mit Hilfsbereiten aus ganz Deutschland zusammengebracht.

Pflegestellen nur für Tiere funktionieren nicht: „Die Leute wollen sich nicht trennen“

Am Montag gab es hier acht Angebote allein aus Mülheim: Teilweise können Menschen und Tiere beherbergt werden, oft sind es aber nur Pflegestellen für die Tiere alleine. Andrea Demmler glaubt nicht, dass das funktioniert: „Die Leute wollen sich nicht trennen. Das schaffen sie nicht. Sie fliehen nicht 2000 Kilometer mit ihren Tieren, um sie dann irgendjemandem in die Hand zu drücken.“ Auf ihr eigenes Inserat hätten sich sofort sechs, sieben Geflüchtete gemeldet. Und bei der Familie neuen Kummer ausgelöst – „es ist schon belastend, dass man nicht allen helfen kann“.

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Die Stadtverwaltung Mülheim müsse sich etwas überlegen, meint Andrea Demmler. „Es werden immer mehr Menschen mit Haustieren kommen.“ Tatsächlich haben einige andere Städte, etwa Duisburg, schon städtische Flüchtlingsunterkünfte eingerichtet, in denen auch die Tiere bleiben können.

Tiertafel hilft mit Futterspenden: „Menschen und Tiere geben sich so viel Halt“

Die ersten Geflüchteten fanden auch schon den Weg zur Mülheimer Tiertafel, die jeden Samstagmittag von 12 bis 14 Uhr Futter in der Fünte ausgibt. Dies berichtet Sarah Martens, die dem Vereinsvorstand angehört. So erschien dort eine Frau mit Hund und Katze, die beide leicht verletzt waren und später von einer Mülheimer Tierärztin kostenlos behandelt wurden.

Irina Rozhnetskaya hatte bei ihrer gefährlichen Flucht aus Kiew nicht nur ihre beiden Töchter Arina (14, li.) und Varvara (10) dabei, sondern auch zwei Hunde, zwei Kaninchen und einen Papagei. Alle sind vorerst in Mülheim privat untergekommen.
Irina Rozhnetskaya hatte bei ihrer gefährlichen Flucht aus Kiew nicht nur ihre beiden Töchter Arina (14, li.) und Varvara (10) dabei, sondern auch zwei Hunde, zwei Kaninchen und einen Papagei. Alle sind vorerst in Mülheim privat untergekommen. © FUNKE FotoServices | Kerstin Bögeholz

Bereits vor drei Wochen kam ein ganzes gemischtes Grüppchen: Irina Rozhnetskaya, ihre beiden Töchter und zwei Bulldoggen, die allesamt eine panische, gefährliche Flucht aus Kiew hinter sich haben. Zwei Kaninchen wurden auch noch gerettet und ein „Papagei“, wie die Familie sagt – Sarah Martens meint allerdings, dass es sich wohl eher um einen Wellensittich handelt. Wie auch immer: „Wir haben uns auf Englisch, mit Händen und Füßen verständigt und ihnen die Futterspenden nach Hause gebracht.“

Das Tiertafel-Team habe sich schon einige wichtige Wörter auf Ukrainisch zurechtgelegt, berichtet die Ehrenamtliche: Hund, Katze, Futter … Die Hunde von Familie Rozhnetskaya seien „herzallerliebst und freundlich“ gewesen. „Menschen und Tiere geben sich gegenseitig so viel Halt.“

Einreisebedingungen für Ukrainer mit Haustieren wurden gelockert

Um die Flucht aus dem Kriegsgebiet nicht unnötig zu erschweren, haben alle EU-Mitgliedsstaaten die Bedingungen für die Einreise mit Haustieren aus der Ukraine vorübergehend gelockert. Auch in Deutschland wird auf die Genehmigung verzichtet, die normalerweise erforderlich wäre. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft hat hierzu aktuelle Hinweise auf seiner Website veröffentlicht: Die Geflüchteten sollen sich mit dem örtlichen Veterinäramt in Verbindung setzen, um ihr Tier auf Tollwut untersuchen zu lassen und ggf. weitere Maßnahmen zu ergreifen (Isolierung, Impfung, Mikrochipping, etc.). Insgesamt geht man aber davon aus, dass das Risiko einer Tollwuteinschleppung im Rahmen der Flüchtlingswelle gering ist.

Tollwutimpfung für Hunde, Katzen und Frettchen

Alle Hunde, Katzen und Frettchen müssen mittels Mikrochip gekennzeichnet und gegen Tollwut geimpft werden. Frühestens 30 Tage nach der Impfung muss das Blut auf Antikörper untersucht werden – all das wird in einem Heimtierausweis dokumentiert. Die Tierarztkosten muss im Normalfall der Halter bezahlen, über die sozialen Medien werden inzwischen aber Listen mit kostenlosen Anlaufstellen verbreitet.

Ganz auszuschließen ist es aber nicht, darauf weist auch das Mülheimer Veterinäramt hin. Aufgrund der speziellen Notsituation der Geflüchteten ist ausnahmsweise nur „häusliche Quarantäne“ angeordnet, bis die Haustiere einem Tierarzt vorgestellt und durch das Veterinäramt freigegeben wurden. Das bedeutet: „Hunde, Katzen oder Frettchen sind in der Wohnung zu halten, ohne Kontakt zu Menschen oder Tieren außerhalb des eigenen Haushaltes.“ Kurze, notwendige Hundespaziergänge sind erlaubt – ebenfalls ohne Kontakt. „Wir bitten darum, diesen eingeschränkten Kontakt sehr ernst zu nehmen“, heißt es vonseiten der Stadt. Schließlich sei es eine Maßnahme zur Verhinderung von Tollwutinfektionen.