Mülheim. Mülheimer Bürger zeigen große Hilfsbereitschaft für Flüchtlinge aus der Ukraine. Doch
Aus gegebenem Anlass appellieren Stadtverwaltung und Institutionen der Mülheimer Flüchtlingshilfe an hilfsbereite Bürgerinnen und Bürger, die ukrainischen Flüchtlinge, die im „Ukraine-Dorf“ auf dem Saarner Kirmesplatz angekommen sind, in Ruhe ankommen zu lassen. Teilweise herrschten Zustände einer „freundlichen Belagerung“, heißt es.
Die Hilfsbereitschaft in Mülheim, den Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine mit allem Möglichen zu helfen und auf diese Weise in schwerster Zeit ein herzliches Willkommen zu signalisieren, ist enorm. Bei der Gemeindecaritas etwa liefen die Telefone in den vergangenen Wochen heiß, berichtet Monika Schick-Jöres von „Hilfsbereitschaft ohne Ende“. Die Helfer von 2015 stünden in großer Zahl wieder parat, 150 weitere hätten sich gemeldet, teilweise mit professionellen Qualifikationen als Übersetzer etwa oder Mediziner.
Mülheims Stadtsprecher: Bitte keine Sachspenden ins „Ukraine-Dorf“ bringen
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Doch, so stellen die Beteiligten der Mülheimer Flüchtlingshilfe unisono fest: Aktuell ist der Bedarf an Hilfen noch gar nicht so groß. Bereits vor dem vergangenen Wochenende hatte die Stadtverwaltung die Bürger eindringlich gebeten, nicht einfach den Kofferraum mit Sachspenden vollzupacken und zur Mintarder Straße zu fahren. Auch Möbel seien dort nicht zu gebrauchen.
Mit ihrem Partner vor Ort, dem Deutschen Roten Kreuz, das vor Ort die Betreuung der Menschen übernommen hat, besorge man in Eigenregie all das, was von den Menschen gebraucht werde, hatte Stadtsprecher Volker Wiebels gesagt. „Wir kümmern uns. Das ungeordnete Abladen von Sachspenden ist kontraproduktiv, bei allem guten Willen.“ Die Helfer vor Ort seien nicht in der Lage, Sachspenden-Logistik zu betreiben. Wer die Flüchtlingshilfe vor Ort unterstützen wolle, möge besser an das DRK Mülheim Geld spenden (DRK Mülheim, IBAN: DE 51 3625 0000 0175 1367 54, Verwendungszweck: Flüchtlingshilfe MH). So könnten bei Bedarf Dinge beschafft werden, die über den Sozialhilfe-Regelsatz nicht abgedeckt seien.
Hilfsbereite Menschen belagerten Mülheims Flüchtlingsdorf - Wachdienst eingeschaltet
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Die Stadt bittet Bürger eindringlich noch mal darum, das „Ukraine-Dorf“ nicht einfach anzusteuern. Es gibt mehrere Berichte darüber, dass hilfsbereite Mülheimer mit Sachspenden auf die Anlage gekommen sind und gar an die Türen der Unterkünfte geklopft hätten, um eigenständig Kontakt zu Ukrainern aufzunehmen. Von einer „freundlichen Belagerung“ spricht Saskia Trittmann, Flüchtlingsreferentin bei Evangelischen Kirchenkreis. Von Distanzlosigkeit ist die Rede. Die Stadt hat reagiert, den Zugang versperrt. Ein Wachdienst ist jetzt am Haupteingang präsent.
Wie die Stadt mahnt Trittmann, die Geflüchteten erst einmal in Ruhe ankommen zu lassen. Es gebe leider viele „übergriffige Handlungen“ von Menschen, die helfen wollten, aber wohl nicht sähen, in welcher Situation sich die Geflüchteten momentan befänden, so die Flüchtlingsreferentin. Es sei eine andere Situation als 2015, als Menschen in der Stadt angekommen seien, die eine mitunter sehr lange Flucht hinter sich gehabt hätten und dabei auch Tag für Tag ihre Heimat bewusst hinter sich gelassen hätten.
Flüchtlingsreferentin: Ukrainer „müssen erst mal durchatmen, Kraft schöpfen. . .“
Die Menschen aus der Ukraine, überwiegend ja Frauen und Kinder, bräuchten Zeit, um anzukommen. „Sie müssen weinen, müssen realisieren, dass sie hier sind, dass in ihrer Heimat Krieg ist, ihre Männer und Söhne dort kämpfen. Sie wissen nicht, ob ihr Land in Zukunft noch existieren wird. Sie müssen erst mal durchatmen, Kraft schöpfen. . .“ Auch Stadtsprecher Wiebels weist darauf hin, dass der Fokus im Moment im Kern auf die Grundversorgung und auch die Betreuung traumatisierter Menschen zu richten sei.
Auch Monika Schick-Jöres von der Caritas bittet darum, den Geflüchteten Ruhe zu gewähren. Viele sähen sich weiter gar nicht als Flüchtlinge, sondern als Reisende, die auf baldige Rückkehr in ihre Heimat hofften. Es gebe Rückmeldungen von ukrainischen Frauen, dass sie sich schon zurechtfänden für Erste. Noch sei es zu früh, Frauen- oder Kindergruppen zu organisieren oder Integrationskurse aufzulegen, wenn auch im Hintergrund viel besprochen werde. „Im Moment“, so Schick-Jöres, gehe es für viele ukrainische Familien nur um eins: „erst mal in Ruhe anzukommen“.
„. . . dann habe ich in kürzester Zeit das Fünffache von dem, was benötigt wird“
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Es gibt es Stellen in der Stadt, die Sachspenden sammeln. Etwa Rolli Rocker mit seinem eigens eingerichteten Ladenlokal am Löhberg 4 in der Innenstadt, aber auch Awo, Caritas oder Diakoniewerk Arbeit & Kultur. Doch für alle gilt, die große Empathie in der Bevölkerung und die enorme Hilfsbereitschaft in geregelte Bahnen zu lenken.
Für die Caritas macht Monika Schick-Jöres etwa deutlich, dass man derzeit gar keine Spendenaufrufe mehr starte, um nicht überhäuft zu werden auch mit Dingen, die am Ende gar nicht benötigt würden. Die Caritas frage einmal wöchentlich bei den Sozialarbeitern im Saarner „Ukraine-Dorf“ nach, was gerade benötigt werde. „Wenn ich dann in unserem Mailverteiler um Spenden bitte, habe ich in kürzester Zeit das Fünffache von dem, was benötigt wird.“ Die Caritas-Kleiderkammern stünden darüber hinaus natürlich weiter offen für Kleiderspenden.
Diakoniewerk freut sich über Lebensmittel- und Sachspenden
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Das Diakoniewerk an der Georgstraße 28 steht als Anlaufstelle für bedürftige Menschen auch aus der Ukraine offen. „Bisher haben wir noch alle gut versorgt bekommen“, sagt Dominik Schreyer. „Es hat aber schon geknirscht in dieser Woche“, weist er darauf hin, dass seine Einrichtung aktuell auch viele Ukrainer etwa an der Tafel versorge, die noch ohne Sozialleistungen, ohne Geld und Lebensmittel dastünden.
Das Diakoniewerk freut sich weiterhin über Lebensmittel-Spenden, Aldi habe etwa Gutscheine gespendet. Auch Möbel, Matratzen oder Elektrogeräte seien gefragt für Wohnungseinrichtungen, Schulmaterial, ebenso dringend: Frauen- und Kinderkleidung für den Frühling. „Spielzeug verschenken wir meist“, sagt Schreyer. Sachspenden nimmt das Diakoniewerk montags bis freitags von 8 bis 16 Uhr sowie samstags von 10 bis 14 Uhr entgegen.
Mülheims Awo plant Eröffnung eines „Geschenkladens“ am Dickswall
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Auch die Awo sammelt nur gezielt Sachspenden, will dazu in Kürze auch noch einen „Geschenkladen“ mit Sachspenden am Dickswall eröffnen. Geschäftsführerin Michaela Rosenbaum nennt den aktuellen Bedarf: Insbesondere sei der Bedarf groß an gut erhaltener Kinderkleidung, an Kinder-Plastikgeschirr, Trinkflaschen und Besteck, an Erste-Hilfe-Material wie Pflaster oder auch Badeschlappen und Flip-Flops zur Nutzung der gemeinschaftlichen Sanitäreinrichtungen im Flüchtlingsdorf. Wer etwas abzugeben habe von diesen Dingen, könne sich unter 0151 18 24 18 36 melden. „Bitte nicht einfach bei uns Sachen abstellen“, sagt Rosenbaum nicht ohne Anlass.
Experten der Mülheimer Flüchtlingshilfe werten dies auch als den Versuch vieler Menschen, der eigenen Hilflosigkeit, als Bürger nichts gegen den grausamen Krieg in der Ukrainer bewegen zu können, etwas entgegenzustellen. Viele wollen unbedingt etwas beitragen, um das Leid der Menschen aus der Ukraine zumindest ein wenig zu lindern.
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