Mülheim. Bis zu 4000 Flüchtlinge aus der Ukraine werden Mülheim womöglich erreichen. Da zählt jede Unterkunft. Doch es hakt bei der Wohnungsvermittlung.
Hochrechnungen gehen davon aus, dass Mülheim bis zu 4000 Flüchtlinge aus der Ukraine aufnehmen wird. Da zählt jede Unterkunft. Doch es hakt.
Ende vergangener Woche hatten sich Sozialdezernentin Daniela Grobe und Sozialamtsleiter Thomas Konietzka mit einem Appell an die Bürgerinnen und Bürger gerichtet, privaten Wohnraum für Kriegsflüchtlinge zur Verfügung zu stellen, weil längst allen klar ist, dass die städtischen Unterkünfte eher früher als später voll belegt sein dürften, so sehr sich die Verwaltung auch streckt.
Stadt Mülheim sieht sich nicht in der Lage, private Wohnungen zu vermitteln
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Doch es hakt in der Kommunikation. Hieß es in der Vorwoche noch, die Stadt könne es nicht leisten, in die Rolle einer Wohnungsvermittlerin zu schlüpfen und nehme nur Angebote von Wohnungen in nennenswertem Umfang entgegen, hieß es schließlich Anfang der Woche nach der Sitzung des Krisenstabs: Auch einzelne Wohnungen können der Zentralen Wohnungsfachstelle gemeldet werden. Eine Prüfung auf Eignung werde aber Zeit beanspruchen – und als Vermittlerin komme die Verwaltung weiterhin nicht in Frage.
Andere Städte leisten dieses. Die Stadt Duisburg etwa sammelt private Angebote über eine eigens eingerichtete Mailadresse. In enger Absprache mit dem Feuerwehr-Stab werde verfügbarer Wohnraum, ob gewerblich oder privat, an Geflüchtete aus den Sammelunterkünften verteilt – nach vorheriger Prüfung. Bei Bedarf würden entsprechende Wohnungen von Partnerunternehmen auch ausgestattet, heißt es.
Nachbarstädte sammeln Wohnungsangebote ein, prüfen und vermitteln
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Auch Oberhausen vermittelt nach Auskunft eines Sprechers über die kommunale Sozialarbeit von privat angebotene Wohnungen. Auch hier ist eine zentrale Mailadresse zur Meldung von Wohnungen eingerichtet, auch überprüfe die Stadt die Angebote auf ihre Tauglichkeit und führe Anbieter und Geflüchtete zusammen. Essen hat Mitte März eine Taskforce „Wohnen“ gestartet, die angebotene Mietwohnungen vermittelt. „In einem Matching-Verfahren werden Bedarf und Angebote geprüft und zusammengeführt“, heißt es dazu.
Stadt Mülheim schließt derzeit (noch) aus, eine Wohnungsbörse zu starten
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Eine zentrale Mailadresse für Wohnungsangebote muss es auch in Mülheim geben“, heißt es nun aus Kreisen der örtlichen Institutionen der Flüchtlingshilfe. Es müsse ja nicht gleich bei der Stadtverwaltung angedockt sein, Wohlfahrts- oder auch zivilgesellschaftliche Organisationen könnten womöglich einsteigen. Etwa der Kirchenkreis oder die Caritas sind in Mülheim schon eigeninitiativ geworden, um ukrainische Geflüchtete in Wohnraum zu vermitteln.
Sozialdezernentin Daniele Grobe sieht für eine städtische Wohnungsvermittlung derzeit keine Kapazitäten in der Verwaltung, will aber nicht ausschließen, dass eine Wohnungsbörse doch noch geschaffen werde. Man nehme aber sehr wohl über die Zentrale Wohnungsfachstelle private Angebote entgegen.
Widersprüchliche Aussagen der Verwaltung sorgten zuletzt für Verwunderung
Jutta Heßeln aus Saarn ist eine der vielen Mülheimerinnen und Mülheimer, die eine Unterkunft für Geflüchtete angeboten haben. Familie Heßeln hatte eine Ferienwohnung frei und will nicht einmal Geld dafür haben. Über die Antwort der Stadtverwaltung von Donnerstag vergangener Woche wunderte sich die Familie denn doch. Darin teilte die Wohnungsfachstelle mit, dass Ukrainer aktuell weder Mietverträge abschließen könnten noch eine Mietkostenübernahme möglich sei.
Sozialdezernentin Grobe korrigierte diese Aussage zwischenzeitlich und verwies nochmals auf ihre Aussagen vom Ende vergangener Woche dazu: Kosten für die Unterkunft würden bis zu den festgelegten Mülheimer Mietobergrenzen vom Sozialstaat übernommen. Hierfür sei es notwendig der Stadt eine ausgefüllte Mietbescheinigung (unter muelheim-ruhr.de unter dem Stichwort „Mietobergrenze“ zu finden) einzureichen. Wenn die Rückantwort vom Amt vorliege, sei auch bedenkenlos ein Mietvertrag abzuschließen.
Saarner Familie wartete nicht aufs Amt: Sie gab ihre Wohnung an ukrainische Familie
Jutta Heßeln hat diese Klarstellung nicht mehr abgewartet. Sie hat ihre Saarner Ferienwohnung privat vermittelt und an eine ukrainische Mutter mit ihrem Säugling, ihrem zehnjährigen Jungen und der Oma vergeben – „unbefristet, so lange, wie es nötig ist“.
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