Mülheim. Kritik am Umgang der Stadt Mülheim mit Ukraine-Flüchtlingen gipfelte in einer Demo. Wie Beteiligte die unübersichtliche Situation sehen.

Auf dem Rathausmarkt gab es dieser Tage eine Kundgebung im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg, doch diese hatte nicht den Charakter einer großen Friedensdemonstration. Vielmehr ging eine Gruppe auf die Straße für „schnellere und flexiblere“ Unterbringung von Geflüchteten durch die Stadt. Motto der Kundgebung: „Solidarität vs. Bürokratie in Mülheim“.

Initiatorin des Protestes ist Anna Liberzon, die vor drei Jahrzehnten selber aus der damaligen Sowjetunion flüchtete und jetzt Ankommenden aus der Ukraine ehrenamtlich hilft. Mit gelb-blauen Flyern, zweisprachig verfasst, hatte sie für ihre Kundgebung geworben. Die wichtigsten Kritikpunkte: Langsame, „chaotische“ Registrierung der Geflüchteten bei Sozialamt und Ausländerbehörden, zu starre Vorgaben der Verwaltung.

Kritik: Mülheimer Behörden schlecht erreichbar, Kontaktaufnahme „frustrierend“

Die Mülheimer Behörden seien schlecht erreichbar, Informationen uneinheitlich, die Kontaktaufnahme „frustrierend und kräftezehrend“. Und ehrenamtliches Engagement werde zu wenig einbezogen, heißt es im Aufruf zur Kundgebung. Ähnliche Vorwürfe hatte Anna Liberzon, die Russisch und Ukrainisch spricht, kürzlich im Gespräch mit dieser Redaktion erhoben. Seit Kriegsausbruch unterstützt sie Geflüchtete bei Behördengängen, versucht auch Unterkünfte zu organisieren.

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Bei ihrer Demo gegen Bürokratie hatte die Mülheimerin offenbar mit größerem Zuspruch gerechnet, denn die Kundgebung war laut Polizei für 200 Teilnehmende angemeldet. Letztlich versammelten sich maximal 30 Menschen, doch die persönliche Aufmerksamkeit des Mülheimer Oberbürgermeisters hat Anna Liberzon auch so gewonnen.

Mülheims OB Buchholz: Viele Kritikpunkte konnten ausgeräumt werden

Im Sozialausschuss, der am Nachmittag nach der Kundgebung tagte, berichtete OB Marc Buchholz, er habe im Vorfeld der Demo anderthalb Stunden lang mit der Initiatorin gesprochen. Er bezeichnete sie als „sehr engagierte Dame“, die nach seinen Informationen bislang 65 Personen aus der Ukraine in Eigenregie nach Mülheim geholt habe.

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Buchholz nannte es „eine große Herausforderung“, für eine solche Personenzahl Termine bei der Ausländerbehörde zu bekommen und zeitnah die Unterbringung zu organisieren. Er machte deutlich, dass privates Engagement aus seiner Sicht Grenzen habe - „gut gemeint ist nicht gut gemacht“. Ratsamer sei der Weg über Hilfsorganisationen. „Viele der Punkte, die zu der Demo geführt haben, konnten aber ausgeräumt werden“, erklärte der OB.

Kritik auch von Institutionen und Politik: „Eine Demo ist aber der falsche Weg“

Kritik an einer schleppenden Organisation der Flüchtlingsaufnahme kommt allerdings aus mehreren Richtungen, so etwa von Institutionen, die eng mit der Flüchtlingsbewegung nach Mülheim zu tun haben. Ebenso in Teilen der Politik wird vorsichtig kritisch angemerkt, dass Nachbarstädte bereits effektivere Strukturen aufgebaut hätten als Mülheims Verwaltung. Doch, so die einhellige Meinung der Kritiker: „Eine Demo ist der falsche Weg. Die Verwaltung ist schon am Anschlag. Ob mehr Druck hilft, ist zu bezweifeln.“ Es sei durchaus festzustellen, „dass sich die Stadt redlich Mühe gibt“.

Gelegentlich habe man allerdings den Eindruck, der Fokus werde zu sehr darauf gelegt, Probleme aufzuzeigen, anstatt die Problemlösung zu diskutieren. So wird etwa ein Beispiel aus dem Krisenstab benannt, wo ein Vertreter des Immobilienservices in langer Präsentation aufgezeigt haben soll, warum die entkernten Holzhäuser an der Holzstraße nicht kurzfristig für eine Unterbringung zu aktivieren seien. 15 Minuten habe sich der Krisenstab mit der Präsentation beschäftigt – Zeit, die für die Suche nach Lösungen fehle. Auch sei festzustellen, dass in der Verwaltung neue Informationen nur schleppend die Sachbearbeiter-Ebene oder das Callcenter erreichten und Bürger von dort falsche oder gar keine sachdienlichen Informationen erhielten.

Stadt Duisburg hat Behörden-Hilfe für Ukrainer bereits vor Wochen gebündelt

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Kritik ist zu vernehmen, dass die Stadt bei Registrierung, Leistungsgewährung und Wohnungsvermittlung noch nicht schlagkräftig aufgestellt sei. Erst am Montag etwa hatte die Stadt angekündigt, wie bei der Flüchtlingskrise 2015/16 ein Team aus verschiedenen Fachbereichen zusammenzustellen, das eine Rundum-Versorgung für alle nötigen Behördengänge bündeln will. Duisburg etwa hat längst ein „Welcome to Duisburg-Center“ in der Sammelunterkunft für Geflüchtete eingerichtet. Dort gibt es eine medizinische Erstversorgung. Auch werden die Geflüchteten dort registriert, wird der Weg in die Sozialsysteme geebnet, werden Behandlungsscheine ausgestellt und Notunterkünfte zugeteilt. Ukrainer erhalten dort eine Informationsmappe in ukrainischer Sprache und – falls notwendig – Care-Pakete, Hygiene-Artikel und Kleidung.

Auch für Oberhausen, erklärt ein Stadtsprecher, habe die Verwaltung sich so organisiert, dass Menschen im Sozialrathaus behördliche Angelegenheiten möglichst umfassend „aus einer Hand“ klären könnten. „Neben allgemeinen Fragestellungen werden hier Beratungen durch die Ausländerbehörde, sozialpädagogische Angebote, Gesundheitsfürsorge, Unterbringungs- und Wohnraumfragen sowie leistungsrelevante Thematiken besprochen und geklärt.“

Mülheims Sozialdezernentin räumt ein, im Hintertreffen zu sein

Für Mülheim räumte Sozialdezernentin Daniela Grobe im Gespräch mit dieser Redaktion ein, dass die Stadtverwaltung nicht so weit sei wie Nachbarstädte, etwa die Registrierung nicht so schnell vonstatten-gehe. „Wir haben aber auch eine andere Personaldecke“, verweist Grobe etwa darauf, dass aktuell nur vier Mitarbeiter (einer davon im Urlaub) für die gewaltige Aufgabe zur Verfügung stünden, die Leistungsgewährung für rund 1000 Geflüchtete, dazu aber auch für Rentner mit Grundsicherungsanspruch zu managen.

Um die Bearbeitungszeiten zu verkürzen, habe sie nun angeordnet, dass vier Mitarbeitende aus dem Jobcenter fürs Sozialamt abgestellt würden. „Wir versuchen alles“, sagt Grobe, weist aber darauf hin, dass das Fachkräfteproblem nicht neu sei. Auf Stellenausschreibungen für Sozialamt und Jobcenter meldeten sich keine geeigneten Bewerber. Neue Mitarbeiter, die erst angelernt werden müssten, könnten den Bearbeitungsstau auch nicht kurzfristig auflösen.

SPD-Chef: Mülheimer Behörden haben schon vorher am Anschlag gearbeitet

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Vertreter von Mülheimer Institutionen der Flüchtlingshilfe zeigen durchaus Verständnis für die prekäre Lage der Stadtverwaltung, die mit Ausbruch des Krieges auch noch einen zweiten Krisenstab ins Leben rufen musste. Einhellig wird von einer Herausforderung ganz neuen Ausmaßes gesprochen. Die Flüchtlingsbewegung jetzt sei eine ganz andere als 2015/16, weil Flüchtlinge aus der Ukraine über viele Wege, ohne an den Grenzen registriert zu werden, in die Stadt kommen. „Eine Monsteraufgabe“ sei das für die Stadt und ihre Netzwerk-Partner der Flüchtlingshilfe. „Wir müssen einen langen Atem haben.“ Der Krisenstab sei dabei, Problem für Problem zu lösen.

Auch SPD-Parteichef Rodion Bakum sieht „die Verwaltungsmitarbeitenden als sehr engagiert. Sie tun ihr Bestes für die Geflüchteten aus der Ukraine. Doch die Ausländerbehörde, das Sozialamt und das Kommunale Integrationszentrum haben schon vor dem Krieg in der Ukraine am Anschlag gearbeitet. Die Situation verschärft sich.“

Bakum fordert zentrale Anlaufstelle, Info-Nummer und Kommunikation

Bakum erachtet in der aktuellen Situation vor allem eine „Krisenkommunikation, die Sicherheit schafft“, für wichtig. Eine zentrale Anlaufstelle, eine zentrale Info-Nummer, eine zentrale Kommunikation - das wäre aus seiner Sicht sinnvoll. Das habe die Verwaltung auch während der Corona-Pandemie geschafft. Lange schon werde auch über ein kommunales Integrationsmanagement aus einer Hand gesprochen, um einen Ämterparcours zu vermeiden. „Die Verwaltungsspitze kann es jetzt umsetzen, das schafft Zufriedenheit bei den Mitarbeitenden, den Ehrenamtlern, aber vor allem bei den Geflüchteten“, so Bakum.

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