Mülheim. Sie kennen Bunker, Bomben, Sirenen und Hunger. Drei Mülheimer haben als Kind den Zweiten Weltkrieg erlebt. Wie sie über die Ukraine-Lage denken.

„Als ich die Kriegsbilder aus der Ukraine gesehen habe, konnte ich es nicht fassen“, sagt Friedhelm Gründel. Er ist zehn Jahre alt, als der Zweite Weltkrieg anfängt und 16 Jahre alt, als er endet. Die Feuerbombe in seinem Kinderzimmer, die Sirene mitten in der Nacht, das Rasen zum Bunker im Pyjama - all diese Erinnerungen hat der bald 93-Jährige noch lebhaft vor Augen. Seit dem russischen Krieg gegen die Ukraine schaut er jeden Tag mit Entsetzen die Nachrichten. So wie ihm geht es auch zwei anderen Kriegskindern aus Mülheim.

Vieles eint sie: Sie kennen die Angst um das eigene Leben. Sie haben Mülheim mit ihren Kinderaugen gesehen, als die Stadt in Schutt und Trümmern lag und sie wünschen sich eine bessere, friedvolle Welt. Doch auf die aktuelle Lage blicken alle drei Senioren anders.

Friedhelm Gründel erinnert sich an die Fliegerbomben im Zweiten Weltkrieg in Mülheim

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„Mülheim war damals total kaputt. Wenn ich heute die Bilder der zerbombten Häuser in der Ukraine sehe“, sagt Friedhelm Gründel und führt fort: „So sah es hier auch aus.“ Ungläubig schüttelt er mit dem Kopf. Dass er in seinem Leben noch einen Krieg mitbekommt, hätte er nicht für möglich gehalten. Seine Kindheit ist gezeichnet vom Zweiten Weltkrieg. Fast jede Nacht springt er aus dem Bett und rennt mit dem Fliegeralarm im Nacken in den dunklen Bunker.

Wenn Gründel erzählt, wie er mit 16 Jahren verwundet worden ist, fasst er sich an die Wange. „Das habe ich damals auch gemacht. Meine ganze Hand war voller Blut. Mich hatte auf offener Straße ein Bombensplitter im Gesicht getroffen.“ Bei einem anderen Fliegeralarm bleibt er verschont, spürt aber die blanke Todesangst. Während er über einen Feldweg flüchtet, hört er, wie neben ihm die Abwehrraketen einschlagen. „Es machte kling, kling, kling. Mein ganzer Körper hat gezittert.“

„Mülheim war damals total kaputt“: Die Schwarz-weiß-Fotos von Leser Fritz Zorn zeigen zerstörte Häuser an der Eppinghofer Straße nach dem zweiten Weltkrieg. Ältere Mülheimer fühlen sich angesichts der erschreckenden Zerstörung in der Ukraine daran erinnert.
„Mülheim war damals total kaputt“: Die Schwarz-weiß-Fotos von Leser Fritz Zorn zeigen zerstörte Häuser an der Eppinghofer Straße nach dem zweiten Weltkrieg. Ältere Mülheimer fühlen sich angesichts der erschreckenden Zerstörung in der Ukraine daran erinnert. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Auch einen Bombeneinschlag im eigenen Zuhause erlebt der gebürtige Mülheimer. Der Dachstuhl brennt aus und die Feuerbombe fällt mitten in sein Kinderzimmer ins untere Geschoss. „Plötzlich hat alles vibriert. Ich bin in den Keller gerannt und habe die Konserven in den Garten geworfen. Wir hatten ja kaum Lebensmittel und haben gehungert.“

Während ein Mülheimer gelassen bleibt, hat ein anderer den Fluchtkoffer gepackt

Ukraine-Krieg- Was Mülheimer besorgt und was ihnen Mut macht

Ob diese Erinnerungen vor allem durch die aktuellen Nachrichten hochkommen? „Nein, ich weiß das alles noch, aber ich bin 92 Jahre alt und habe so viel in meinem Leben erlebt. Man muss immer im Moment leben“, sagt Gründel. Wenn er die beiden Kriege vergleicht, stellt er fest: „Heute gibt es Bodenkrieg und andere Waffen. Wir wurden damals von Fliegern gebombt und konnten nicht flüchten.“ Er nimmt an, dass der Krieg in der Ukraine bald aufhört.

Ganz anders sieht es Walter Neuhoff, der zur jüngeren Kriegsgeneration gehört. Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges ist er drei Jahre alt. Heute erinnert er sich vor allem an die Angst, die er damals verspürt hat und die ihn angesichts des Ukraine-Krieges besonders stark einholt. Sein Fluchtkoffer sei allzeit bereit. „Als ich die Kriegsnachricht gehört habe, dachte ich sofort: Das ist das Ende für Deutschland. Alles kribbelte in mir vor Aufregung und Angst.“

Kriegs-Zeitzeuge Walter Neuhoff zeigt, wie er als Kind in den Trümmern seiner Stadt Mülheim unterwegs war.
Kriegs-Zeitzeuge Walter Neuhoff zeigt, wie er als Kind in den Trümmern seiner Stadt Mülheim unterwegs war. © WAZ FotoPool | Oliver T. Mueller

Einen Dritten Weltkrieg halte der 85-Jährige für sehr wahrscheinlich und hofft, dass sich die Ukrainer weiterhin wehren. Auch in Deutschland halte er die Wehrpflicht für unabdingbar. Den jüngeren Generationen rät er: „Schaut die Nachrichten und seid wachsam, dass uns das Schicksal von 1939 nicht noch einmal passiert.

Eine 92-jährige Mülheimerin appelliert: „Zeigt Mitgefühl mit den Kriegsbetroffenen!“

Luise Graw aus Broich schaut unerschrocken auf die aktuelle Situation: „Die NATO und die EU haben noch enger zusammengefunden. Wenn wir Angst haben müssen, dann eher vor China. Aber Angst ist immer ein schlechter Berater“, sagt die 92-Jährige. Sie habe ihre Kriegserfahrungen längst verarbeitet und glaube nicht an einen Dritten Weltkrieg.

„Vielleicht bin ich zu naiv und vermessen. Aber die Russen werden langsam wach. Es gibt so viele Handys und Menschen, die ihnen die richtigen Nachrichten zeigen.“ Sie wirft der Bundesregierung aber vor, der Ukraine derzeit nicht genügend helfen zu können. „Wir sind wieder an Verträge gebunden und waren daran beteiligt, dass wir 2008 der Ukraine verweigert haben, der NATO beizutreten. Das sind Fehler, die Jahrzehnte später zum Tragen kommen.“

Die Seniorin hofft, dass „sich nicht nur schlaue Leute zu Gesprächen treffen, sondern dass sich jemand findet, der Putin das Zepter aus der Hand nimmt.“ Sie mache sich gerade vor allem Sorgen um die Kriegsbetroffenen. „Wenn sich die Leute aufregen, dass die Benzinpreise teurer werden, dann denke ich: Vielleicht muss jeder etwas durchgemacht haben, um Verständnis für andere aufzubringen.“

Ihr Ratschlag: „Es ist nicht immer alles Sonnenschein. Das Leben ist wie eine Schiffsschaukel, die nach oben und nach unten geht. Wichtig ist, dass wir daran nicht zerbrechen und Empathie zeigen.“