Mülheim. Wie Mülheim die erste Gegendemo zum „Spaziergang“ der Impfskeptiker erlebte. Es kamen mehr Menschen als vom Veranstalter erwartet.

Deutlichen Gegenwind bekamen die Teilnehmer des siebten „Spaziergangs für ein liebevolles Miteinander, eine freie Impfentscheidung und gegen Diskriminierung“ zu spüren. Erstmals hatte sich eine Gegendemonstration aus Menschen formiert, die das Auflaufen des selbst ernannten Coronasaurus und seiner Anhänger – unter ihnen mutmaßlich auch vereinzelte Rechtsextreme – nicht mehr länger dulden wollen.

In der Spitze bis zu 190 Gegendemonstranten, so die Polizei, waren dem Aufruf der Linken und der SPD gefolgt und positionierten sich vor dem Ruhrquartier, wo sie auf den Demo-Zug warteten, der sich um 18.40 Uhr vom Parkplatz hinter der Stadthalle aus in Bewegung setzte.

Polizei hatte Bereiche in der Mülheimer Innenstadt mit Absperrgittern getrennt

Als die „Spaziergänger“ schließlich vor dem Rathaus eintrafen, fuhr fast wie bestellt ein Bus der Ruhrbahn auf der Friedrich-Ebert-Straße vor und bildete einen Sichtschutz zwischen den beiden Parteien. Auch die Polizei setzte alles daran, dass niemand auf die jeweils andere Seite wechselte, Absperrgitter taten ihr Übriges. Zeitweise wurden nicht einmal Passanten hindurchgelassen. Es machte aber niemand Anstalten, die Gegenseite zu stürmen. Die Polizei zog am Abend Bilanz: „Alles friedlich.“

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Die Giftpfeile blieben verbaler Natur – und flogen weitestgehend aus der Richtung der Gegendemonstranten. „Wir impfen euch alle“, mit diesem Schlachtruf wurden der „Corona-Dino“ und seine 500-köpfige Gefolgschaft am Marktplatz empfangen. „Schwurbler verpisst euch, keiner vermisst euch“, hieß es später. Bei den „Nazis raus“-Rufen stimmten sogar viele der Spaziergänger ein.

Mülheimer Politprominenz nimmt an Gegendemonstration teil

„Das mitzurufen, aber gleichzeitig mit Leuten, die undemokratische Werte vertreten, gemeinsam zu marschieren, sind zwei verschiedene paar Schuhe“, kritisierte Bürgermeisterin Ann-Kathrin Allekotte von den Grünen. Daher war es ihrer Meinung nach an der Zeit, ein Zeichen zu setzen. „Ich kann das verstehen, wenn man eine gewisse Skepsis hat und finde es auch interessant, warum manche diese Meinung haben“, so Allekotte.

Der selbst ernannte Coronasaurus führte seine Anhängerschaft ein weiteres Mal vom Stadthallen-Parkplatz über die Schloßbrücke in die City. Rund 500 Menschen – erneut mehr als bei den vorangegangenen Veranstaltungen – folgten ihm.
Der selbst ernannte Coronasaurus führte seine Anhängerschaft ein weiteres Mal vom Stadthallen-Parkplatz über die Schloßbrücke in die City. Rund 500 Menschen – erneut mehr als bei den vorangegangenen Veranstaltungen – folgten ihm. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Daher unterstützt die Bürgermeisterin auch den Ansatz, unter bestimmten Voraussetzungen das Gespräch mit den Initiatoren der Spaziergänge zu suchen. „Man kann versuchen, bei anderen Leuten an die Vernunft zu appellieren oder Missverständnisse aufzuklären“, sagte sie. Es müsse aber ein Dialog werden und kein Monolog, bei dem ohnehin nur eine Meinung zähle. Eine etwas striktere Haltung nimmt die örtliche SPD ein, bei der sich noch am Montag der stets als Dinosaurier verkleidete Christian Garcia Diaz gemeldet hatte.

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„Solange er sich nicht klar und deutlich von den Rechten distanziert, die nachweislich mitmarschieren, wird es mit uns keine Gespräche geben“, sagte die SPD-Parteivorsitzende Nadia Khalaf. Dies sei für die Genossinnen und Genossen auch der Grund gewesen, die Gegendemo zu unterstützen. „Es wurde jahrzehntelang in Deutschland so gesehen, dass man gegen Rechts nicht auf die Straße geht und wozu das führt, sehen wir jetzt“, so Khalaf.

Mülheimer Zivilgesellschaft tritt gegen Coronasauarus und Co. auf

Es war nicht die breite Demonstration wie noch 2019 gegen die AfD. Dennoch hatte sich die Mülheimer Zivilgesellschaft zur Gegendemo gegen Impfskeptiker und Verschwörungstheoretiker in unerwartet großer Zahl gegenüber des Rathausmarkts versammelt. Deutlich mehr als die angekündigten 100 Demonstranten waren dem Aufruf gefolgt und zeigten, dass sie einer lautstarken, aber gesellschaftlichen Minderheit nicht das Feld überlassen wollen.

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Der Rezitator Wolfgang Hausmann kam aus Heimaterde in die Stadtmitte, „weil ich der 101 unter den Gegendemonstranten sein wollte“, sagt er mit Augenzwinkern. Erich Bocklenberg, Denkmalschützer und Aktivist für die VHS, bringt das, was nicht wenige hierhin bewegt hat, auf den Punkt: „Hier wird das demokratische Recht auf Meinungsäußerung von einigen wenigen missbraucht, um mit Falschinformation und lauter Stimmung die Demokratie zu untergraben.“

Veranstalter von der Linksjugend Mülheim wollen weitere Gegenproteste starten

Kurz entschlossen hatten sich auch gut 20 Grüne dem Aufruf von Linke und SPD angeschlossen. So ist Mülheimer Politprominenz von Margarete Wietelmann, Franziska Krumwiede-Steiner, Timo Spors, Sebastian Fiedler sichtbar vertreten. Bis auf die CDU, die ihre Solidarität für die Gegendemonstranten per Pressemitteilung bekundet hatte. Doch offenbar hatte sich nur CDUlerin Laura Pastowski auf den Weg gemacht, denn „mir ist es wichtig, ein friedliches Signal zu setzen, dass die Mehrheit eine echte Mehrheit ist, die etwas dafür tut, Menschen zu schützen.“ Eliseo Maugeri von der Linksjugend Mülheim, der die Veranstaltung bei der Polizei angemeldet hatte, zieht am Abend eine positive Bilanz: „Die Stimmung war gut, wir konnten die Bündnisse mobilisieren.“

Da auch der selbst ernannte Coronasaurus seine Spaziergänge bereits bis Ende Februar bei der Polizei angemeldet hat, wollen auch die Organisatoren der Gegendemo dran bleiben. „Das wird was Längerfristiges. Wir wollen denen das so ungemütlich wie möglich machen“, kündigt Maugeri an.