Mülheim. Montag soll die sechste Corona-Demo in Mülheim starten. Mit dabei sind Rechtsextreme. Warum der OB trotzdem mit dem Organisator sprechen wird.
Am Montag wollen sie in Mülheim wieder zu Hunderten auf die Straße gehen: Menschen, die die Coronaschutzmaßnahmen ablehnen oder strikte Impfgegner sind. Vor der sechsten Demo dieser Art mehren sich Anzeichen dafür, dass sich Menschen aus dem rechtsextremen Milieu längst unter den Protest gemischt haben. Die Stadtspitze ist in Sorge, aber zeigt sich bereit für ein Gespräch mit dem Organisator des Protests, der öffentlichkeitswirksam vorneweg marschiert in seinem Coronasaurus-Kostüm.
Demo-Organisator Christian Garcia Diaz hatte sich mit einem Schreiben Mitte Dezember an OB Marc Buchholz gewandt und ein Gespräch angefragt. Buchholz sagte in Abstimmung mit Stadtdirektor, Krisenstabsleiter und Ordnungsdezernent Frank Steinfort zu: Ein Termin im Rathaus ist für den 11. Januar angeboten.
Mülheims OB: „In der Pflicht, sich auch mit Minderheiten auszutauschen“
Buchholz zeigte sich nun im Gespräch mit dieser Redaktion irritiert ob der Darstellungen im Netz, er sei von sich aus auf Garcia Diaz zugegangen. Der OB betont, dass Garcia Diaz ihn mit der Bitte um ein Gespräch angeschrieben habe.
Er wolle sich einem Dialog nicht versperren, sagte Buchholz. Ihm daran gelegen sei, die noch mal mehr durch die Corona-Krise entstandenen Risse in der Stadtgesellschaft für die Zukunft zu kitten. Die gesellschaftliche Spaltung sei auf Dauer nicht gut für das Zusammenleben in der Stadt. „Es gibt ja hoffentlich irgendwann mal eine Zeit nach dem Streit ,Impfen ja oder nein’. Vielleicht ist da hilfreich, im Blick zurück sagen zu können, wir haben den Gesprächsfaden schon aufgenommen und nicht verloren.“ Die Rathaus-Spitze sieht er „in der Pflicht, sich auch mit Minderheiten auszutauschen“.
Ziel von Mülheims Stadtspitze: „Eine Konfrontation, eine Eskalation vermeiden“
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Klar grenzt sich der OB derweil von der Meinung der Demonstranten ab. Die Impfkampagne sei zentral für die Bekämpfung der Pandemie. So werde er sich beim Gespräch am 11. Januar mit Garcia Diaz auch „nicht instrumentalisieren, nicht vor den Karren spannen lassen“. Ihm und Steinfort gehe es im Kern auch darum, „eine Konfrontation, eine Eskalation der bis dato friedlichen Demonstrationen zu vermeiden“. Dazu verspricht sich Buchholz am 11. Januar Antworten von Garcia Diaz.
In Erklärungsnot gerät Garcia Diaz auch hinsichtlich der Erkenntnis, dass sich Personen aus dem Neonazi-Milieu unter die „Montagsspaziergänger“ gemischt haben. Etwa ist Kevin Gabbe dabei, ein dem Verfassungsschutz sehr gut bekannter Rechtsextremist. Gabbe hat sich für seinen Youtube-Kanal, in dem er Videos allerlei ähnlicher, quer über NRW verteilter Querdenker- und Pegida-Veranstaltungen veröffentlicht, schon frühzeitig unter das Demonstrationsvolk gemischt.
Rechtsextremistischer Aktivist ist bei Mülheimer Aktionen schon länger dabei
Schon im Oktober bei einem von Garcia Diaz organisierten Autokorso zum Protest gegen die staatliche Corona-Politik war Gabbe dabei. Im Youtube-Video dazu grüßen sich beide freundlich, Garcia Diaz beugt sich vor die Kamera und wirbt da für seine Coronasaurus-Webseite. Gabbe selbst sagt von sich, „patriotische und nationale Aktivitäten und Aktionen“ dokumentieren zu wollen. Er wird dem Umfeld der rechtsextremen Partei „Die Rechte“ zugeordnet, ebenso wird im Netz über eine Nähe zu den Steeler Jungs oder den Identitären berichtet. Er zeigt sich mit Reichsflagge oder im Profilbild auch schon mal mit dem Spruch „Wehrmacht denn sowas?“. Sein Facebook-Profil ist ebenso eindeutig.
In Gabbes Live-Mitschnitten wird deutlich, dass sich ein Protest-Tourismus in die Städte des Umfelds organisiert hat, der überall dort sich unters Volk mischt, wo Kritik am staatlichen Handeln laut wird, wo es nach Destabilisierung riecht. Eine von Gabbes Kommentatoren nennt da den Mülheimer Montagsspaziergang mit vielen Kindern und Luftballons „zum Fremdschämen“, Gabbe hält dagegen: „Es wurde bewusst auf Parolen oder sonstigen Krach verzichtet“, das sei „bei der Bevölkerung recht positiv angenommen“ worden. Auch die Polizei habe sich bei den Demos in Mülheim sehr zurückhaltend gezeigt. Die Mülheimer Demo sei „ein anderes Konzept, und das funktioniert auch“, so Gabbe.
Telegram-Gruppe: Auch Anhängerin von „SS Siggi“ als Mitglied dabei
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In einer Gruppe des Nachrichtendienstes Telegram, die Garcia Diaz für die Mülheimer Protestaktionen ins Leben gerufen hat und die mehr als 500 Mitglieder zählt, tauchen auch Personen auf, die schon in der Vergangenheit in Mülheim versucht hatten, rechtsextremen Protest auf der Straße zu etablieren.
So etwa eine Frau, die sich unter einem Alibi-Namen in ihrem Profilbild Arm in Arm mit der jüngst verstorbenen Ikone der Dortmunder Neonazi-Szene, „SS Siggi“ alias Siegfried Borchardt“, präsentiert. Sie hatte schon mitgemischt bei den Mahnwachen der „Mütter gegen Gewalt“. Jene sich insbesondere aus anderen Ruhrgebietsstädten zusammengefundene Gruppe war im Sommer 2019 nach der Gruppenvergewaltigung, für die bulgarischstämmige Jugendliche verantwortlich gemacht worden waren, nach Mülheim „gepilgert“, um unter dem Deckmantel besorgter Eltern rechtsextremen Protest in der Stadt zu etablieren. Damals blieb es beim Versuch.
Wortkarge Polizeibehörde zum Mülheimer Protest: „Wir haben ein Augenmerk darauf“
Zur Unterwanderung des Mülheimer Corona-Protestes von Rechtsextremen wollte sich die Polizeibehörde Essen-Mülheim aktuell nicht weiter äußern. Man kenne Gabbe, habe „Kenntnis“ und „ein Augenmerk darauf“. Zu mehr öffentlicher Information war die Behörde nicht zu ermutigen.
OB Buchholz zeigt sich der „Gratwanderung“ bewusst, auf die er sich mit einem Gespräch mit Demo-Organisator Garcia Diaz begibt. Sind Garcia Diaz Mitstreiter und Mitläufer aus dem rechtsextremen Milieu willkommen? Wie nah steht er den Wölfen im Schafspelz, die sich da im Protest für „ein liebevolles Miteinander, eine freie Impfentscheidung und gegen Diskriminierung“ einreihen?
„Er muss sich da erklären“, fordert der OB. „Er muss die Geister, die er rief, auch bändigen.“ Buchholz stellt vor einem Treffen mit Garcia Diaz am 11. Januar klar, dass Rechtsextreme „natürlich nicht diejenigen sind, die ich hier im Rathaus empfangen möchte“.