Mülheim. Den Wandel von Mülheim-Styrum erleichterten Tongruben und Ziegeleien. Noch heute stehen einige der steinernen Bauten neben den Industrieanlagen.

Der Hof der Familie Feldmann ist vielen alten Styrumern noch bekannt. Die Feldmanns sowie mehrere Nachbarlandwirte nutzten das Brennen von Tonziegeln als lukrativen Nebenerwerb. Mit der Industrialisierung des Stadtteils und der Zuwanderung zahlreicher Gastarbeiter brauchten diese auch Wohnungen. Ton bot der Untergrund genug. Holländer kamen nach Styrum, weil sie im Ziegelbrennen erfahrene Fachleute waren. Alte Karten von Styrum zeigen mehr als zehn Brennöfen beiderseits der Eisenbahnstrecke.



Den Bauboom im damals noch selbstständigen Styrum offenbaren die Kirchenbücher des 19. Jahrhunderts. Von 1810 bis 1870 verzehnfachte sich die Einwohnerzahl von 500 auf fast 5000. In Styrum ist vor 175 Jahren der Wandel vom Bauerndorf zum Wohngebiet für die Arbeiter der umliegenden Industriebetriebe unübersehbar.

Viele Styrumer leben immer noch nahe ihrer Arbeitsplätze

Der Styrumer Industriedom wurde mit Ziegeln der gemeindeeigenen Brennerei errichtet.
Der Styrumer Industriedom wurde mit Ziegeln der gemeindeeigenen Brennerei errichtet. © FUNKE Foto Services | Oliver MÜLLER


Dazu gehörten die Zeche Altstaden (im heutigen Oberhausen liegendes, ehemaliges Steinkohlebergwerk), das einstige Walzwerk Thyssen & Co. und die Friedrich-Wilhelms-Hütte. Letztere gründeten 1848/49 Franz Dinnendahl und der Ruhrorter Kaufmann Friedrich Wilhelm Liebrecht. Ein Teil der Belegschaft der Hütte und der früheren Mannesmannröhren-Werke lebt immer noch in der Nähe ihres Arbeitsplatzes.


Im damaligen Ober-Styrum begann die Seelsorgearbeit um 1885 in einer katholischen Notkirche. Die junge Gemeinde baute sofort
eine eigene Ziegelei.
Eine Industriestiftung machte den Bau einer Kirche nach den Plänen von Caspar Clemens Pickel möglich. Die Bauleitung übernahm der Architekt Franz Boegershausen.

Der Styrumer Industriedom ist weithin sichtbar

Die Kirche St. Maria Rosenkranz bildet mit ihrem scharfkantigen Glockenturm und dem großen Rosettenfenster am gegenüberliegenden Ende des neugotischen Mittelschiffes immer noch eine weithin sichtbare Landmarke in der Styrumer Industriekulisse. Es ist komplett mit Ziegeln aus dem Gemeindebrennofen errichtet worden.

Nachdem das Gebäude im Zweiten Weltkrieg beschädigt wurde, fielen die Bemalungen bei Renovierungen von 1946 bis 1970 ganz weg. Von der ehemaligen Ausstattung vor dem Krieg sind der Flügelaltar und die Kanzel erhalten. In der Nachbarschaft sind weitere Ziegelbauten zu sehen, die wahrscheinlich mit gebrannten Steinen aus Styrumer Produktion gebaut wurden.

Wanderroute führt zu historischen Orten


Die Ziegeleien auf Bauernhöfen beiderseits der Eisenbahn kennt auch Günter Fraßunke: „Ich bin von 1953 bis etwa 1970 an der Neustadtstraße aufgewachsen.“
Er kennt viele Ecken aus der früheren Zeit
und fährt immer wieder hin, um die Veränderungen nach längeren Zeitabständen zu sehen.

Die Karte zeigt die Styrumer Neustadt und ihre damaligen Ziegeleien.
Die Karte zeigt die Styrumer Neustadt und ihre damaligen Ziegeleien. © Günter Fraßunke | Mapfish Print


Dabei entstehen dann
auch Wandertouren
, die Günter Fraßunke für die Netzwerkgruppe der Evangelischen Kirche links der Ruhr vorbereitet und leitet. „Im letzten Jahr haben wir diesen Teil Styrums aufgesucht. Da waren auch die Ziegeleien und der ‚Zechenbach‘ ein Thema.“

In der Feldmannschen Tongrube führte die „Todesbahn“ hinab


Von den auf der Karte zu sehenden sechs Ziegeleien in der „Neustadt“ habe es nur noch die Tongrube bei Feldmann gegeben, wo sich heute die Sportanlage befindet. „Die Grube war im schneereichen Winter
für die Schlitten fahrende Jugend
die ‚Todesbahn‘“, erinnert sich der Leser.

„Dort – an der oberen Neustadtstraße – vereinigten sich die beiden Quellflüsse des Styrumer Bachs, an dem sich die Waldhufensiedlung Styrum im Mittelalter herausgebildet hatte. Die Quelle des nördlichen Zuflusses lag etwa an der Talstraße, die des südlichen am Hof Randenberg unweit der Zeche Sellerbeck.“

Wasserreiche Bäche sind aus der Stadtansicht verschwunden


Günter Fraßunke erinnert sich: „
Der Bau der Autobahn gab den Bächen den Rest
– von den einst wasserreichen Bächen ist nichts mehr zu sehen.“ Im Feldmannpark habe es vor einigen Jahren noch einige Kopfweiden gegeben, die den Bachlauf säumten. „Es gibt noch einige Fotos, die die Bachunterführung an der heutigen Willy-Brandt-Schule und den gemauerten offenen Lauf entlang der Schwerinstraße zeigen.“

An der Alsenstraße stand bis etwa 1960 der Rest einer Wassermühle. „Die Neustadtstraße erhielt ihren Namen am 1. Februar 1900. Sie sollte das damals geplante Neubaugebiet an die heutige Oberhausener und die Dümptener Straße anschließen“, fügt Fraßunke hinzu. „Diese Wegeverbindung zur Lipperheide (heute Oberhausen) gab es wohl schon im Mittelalter.“