Mülheim. Wie der aktuelle Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern Mülheimer, die als Christen, Juden und Muslime in Mülheim leben, berührt.

Wieder Krieg im Nahen Osten. Wie bewegt und berührt der aktuelle Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern Mülheimer, die als Christen, Juden und Muslime in Mülheim und als Akteure der internationalen Friedens- und Versöhnungsarbeit aktiv sind?

Mülheim hat mit Kfar Saba (seit 1993) eine Partnerstadt, die nördlich von Tel Aviv und unmittelbar an der Grenze zum vom palästinensisch verwalteten Westjordanland liegt. Der Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde Duisburg-Mülheim-Oberhausen, Alexander Drehmann sagt angesichts der aktuellen Krise: „Die Sicherheitsmaßnahmen am Gemeindezentrum sind verstärkt worden. Wir haben glücklicherweise sehr gute Beziehungen zur örtlichen Polizei. Wir haben keine Angst. Aber die Gefühlslage ist schon bescheiden. Ich ärgere mich sehr darüber, dass der Nahost-Konflikt, der mit Deutschland nichts zu tun hat, durch Demonstranten, die zum Teil aus dem Ausland kommen, nach Deutschland importiert wird. Wer sein Gastrecht auf diese Weise missbraucht, sollte konsequent bestraft und abgeschoben werden.“

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Mülheimer Heiner Schmitz hilft palästinensischen Familie im Westjordanland

Der Fotograf Heiner Schmitz hat gute Kontakte in die israelische Partnerstadt Kfar Saba und deren palästinensische Nachbargemeinde Qalqilya im Westjordanland. Zurzeit bereitet er mit Künstler-Kollegen eine Ausstellung in Kfar Saba vor, die er im Dezember 2021 auch vor Ort besuchen möchte. Er engagiert sich in einem deutsch-palästinensischen Arbeitskreis, der auch Qalqilya in die Städtepartnerschaft mit Mülheim einbeziehen und so den Frieden fördern möchte. Zuletzt hat Schmitz humanitäre Hilfe für eine palästinensische Familie im Westjordanland organisiert, die Opfer eines israelischen Übergriffs geworden war.

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Er sagt: „Die Situation ist grauenvoll. Man weiß nicht, wo man anfangen soll. Die palästinensischen Raketenangriffe auf die israelische Zivilbevölkerung sind völlig inakzeptabel. Aber man muss sehen, was dem vorausgegangen ist. Die Palästinenser leben perspektivlos und eingesperrt seit 54 Jahren unter israelischer Besatzung im eigenen Land. Ich habe selbst erlebt, wie schlecht Palästinenser an den verschiedenen Checkpoints behandelt werden. Frieden im Nahen Osten kann es nur geben, wenn sich beide Seiten gleichwertige Lebensverhältnisse und Rechte zugestehen und junge Israelis wie junge Palästinenser eine echte Perspektive für ihr Leben bekommen. Das Problem ist die Besatzung, die völkerrechtswidrige Besiedlung und es sind die Radikalen auf beiden Seiten, die mit Gewalt immer neue Gegengewalt provozieren. Das löst den Konflikt nicht, sondern heizt ihn nur an.“

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Vorsitzender des Integrationsrates: „Was aber in unserem Land überhaupt nicht geht, ist der pure Judenhass“

Hasan Tuncer ist Alevit. Der ehemalige Gemeindevorsitzende ist inzwischen Vorsitzender des Integrationsrates. Er betont: „Man kann die Politik der Regierung Israels sehr wohl kritisieren. Damit habe ich kein Problem. Allerdings ist der Nahost-Konflikt so komplex, dass ich mir kein abschließendes Urteil darüber erlaube. Was aber in unserem Land überhaupt nicht geht, ist der pure Judenhass, der jetzt bei einigen Demonstrationen gezeigt und ausgelebt worden ist. Da müssen wir in Deutschland besonders sensibel sein. Da muss der Staatsschutz gegen alle Verantwortlichen ermitteln. Ich war erschrocken, dort auch junge Demonstranten zu sehen, die antisemitische Parolen riefen, obwohl sie es besser wissen müssten, da sie doch in Deutschland die Schule besuchen. Da gibt es wohl noch Nachholbedarf, vor allem bei den Jugendlichen, die vielleicht in einem arabischen Umfeld sozialisiert worden sind, in dem Antisemitismus aus politischen Gründen zumindest weit verbreitet ist. Man darf auch nicht vergessen, dass die im Gaza-Streifen regierende Hamas eine Terrororganisation ist. Wir müssen jüdisches Leben in Deutschland schützen! Frieden braucht Kommunikation und keine Waffen.“

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Partnerstädte in allen Himmelsrichtungen. Seit Mai 2018 zeigt ein Wegweiser am Essener Rathaus die Richtung und Entfernung aller Partnerstädte an.
Von Madeleine Hesse und Simon Gerich

Peter Wolfmeyer leitet das Kompetenzteam Kfar Saba im Förderverein Mülheimer Städtepartnerschaften. Er hat aus der Partnerstadt, die durch eine Mauer von der palästinensischen Nachbargemeinde Qalqilya getrennt ist, erfahren, dass man auch dort aufgrund von Raketenalarm Schutzräume aufsuchen musste. „Das ist nicht der erste Konflikt dieser Art, den wir miterleben müssen und der unsere für Oktober geplante Bürgerfahrt nach Kfar Saba infrage stellt. Aber noch hoffe ich, dass der Konflikt bis dahin wieder entschärft werden kann. In Kfar Saba hat man nicht von ungefähr eine Mauer errichtet, weil man dort nicht zum ersten Mal mit der Bedrohung durch palästinensische Angriffe leben muss. Ich erinnere mich noch gut an einen Jugendaustausch, den wir als Förderverein 1999 mit Jugendlichen aus Mülheim, Kfar Saba und Qalqilya durchgeführt haben. Das war eine großartige Sache. Der palästinensische Bürgermeister von Qalqilya hat damals auch seinen Sohn mit nach Mülheim geschickt. Leider war man damals im Rathaus von Kfar Saba an der Fortsetzung solcher Begegnungen nicht interessiert.“

Gerhard Bennertz, Pfarrer im Ruhestand, hat das Kompetenzteam Kfar Saba im Förderverein Mülheimer Städtepartnerschaften eine Zeit lang geleitet und bedauert die Tatsache, „dass dieser aktuelle Konflikt völlig unnötig aus nichtigen Gründen begonnen worden ist.“
Gerhard Bennertz, Pfarrer im Ruhestand, hat das Kompetenzteam Kfar Saba im Förderverein Mülheimer Städtepartnerschaften eine Zeit lang geleitet und bedauert die Tatsache, „dass dieser aktuelle Konflikt völlig unnötig aus nichtigen Gründen begonnen worden ist.“ © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Wolfmeyers Vorgänger als Kompetenzteamleiter Kfar Saba, der evangelische Religionspädagoge Gerhard Bennertz, Ein Funke, der das Pulverfass explodieren ließ, war der Streit zwischen jüdischen und arabischen Israelis um ihr Wohnrecht in Häusern im Grenzbereich zwischen West- und Ost-Jerusalem.“

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Von Cäcilia Tiemann

Mülheimer Ehrenbürger Jaques Marx: „Eine furchtbare Situation für uns Juden.“

Der vormalige Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde und Mülheimer Ehrenbürger, Jaques Marx, der zur Generation der Holocaust-Überlebenden gehört, sagt: „Das ist eine furchtbare Situation für uns Juden. Tatsache ist, dass wir unschuldig sind und nichts dafür können, dass in Israel Krieg ist. Krieg ist eine schlimme Sache. Ich bin Mülheimer mit einem deutschen und einem französischen Pass. Wir bringen als jüdische Bürger in Deutschland unsere Leistung und wollen dafür toleriert werden. Ich möchte in den Nahost-Konflikt nicht hineingezogen werden. Ich bin Europäer. Aber ich möchte mich auf die Seite Israels stellen. Ich tue dies nicht, weil Israel mein Land ist, sondern weil ich ein vernünftig denkender Mensch bin. Denn das, was die Hamas und die Hisbollah wollen, ist für mich einfach nicht logisch und macht keinen Sinn. Sie haben tausende von Raketen. Woher kommen die? Die Israelis haben einen großartigen Staat aufgebaut und das neiden ihnen manche. Sie provozieren, weil sie besser sind. Auch den Palästinensern, die in Israel leben, geht es besser. Sie haben dort auch ihre eigene Partei, sind aber, zugegeben, gesellschaftlich nicht ganz gleichberechtigt.“

Die Tochter der Mülheimerin Angelika Romeik lebt im Gazastreifen

Die unter anderem im Mülheimer Friedensforum und für das Mülheimer Friedensgebet engagierte Angelika Romeik ist unmittelbar vom Krieg im Nahen Osten betroffen. Denn ihre Tochter lebt mit ihrem palästinensischen Ehemann und den gemeinsamen sechs Kindern seit 2011 im Gazastreifen. Sie hält via Telefon und Internet Kontakt zu ihrer Familie im Kriegsgebiet.

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Sie sieht den Konflikt so: „Man darf nicht vergessen, dass auch den Palästinensern 1947 von den Vereinten Nationen ein eigener Staat im Nahen Osten versprochen worden ist. Und man darf auch nicht glauben, dass alle Einwohner des Gazastreifens Anhänger der Hamas sind. Ich habe dort viele Menschen kennengelernt, die wissen, dass dieser Konflikt nur gewaltfrei für alle Menschen zu beenden ist. Doch die anderen werden immer lauter und uns fehlen zurzeit die Machthaber, die daran interessiert wären. Das hat auch viel mit den wirtschaftlichen Interessen des internationalen Waffenhandels zu tun. Wir hören von unseren Kindern, dass sie nachts nicht schlafen können, weil die Erde bebt und wackelt. Wasser und Strom sind rationiert. Die Fensterscheiben zerbrechen durch die Druckwellen der Luftangriffe. Unsere Kinder und ihre Nachbarn können nicht vor der Gefahr fliehen, morgen nicht mehr wach zu werden. Sie haben keinen sicheren Ort. Sie wissen nicht, wo die nächste Bombe einschlägt. Es gibt keine Bunker und die UNO-Schulen sind überfüllt, weil viele Häuser unter den Bomben zusammenbrechen und die Menschen obdachlos sind.“

Forderung: „Die internationale Gemeinschaft muss Druck auf Israel ausüben“

Dr. Yousef Ribhi, Vizepräsident der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft meint: „Der Konflikt ist bedauerlicherweise eskaliert. Und ich fürchte, dass er weiter eskalieren wird. Die internationale Gemeinschaft muss Druck auf Israel ausüben, um diesen Krieg zu beenden. Die Haltung der deutschen Regierung ist in diesem Konflikt sehr passiv. Sie kann nicht nur das Selbstverteidigungsrecht Israels unterstützen. Sie muss auch das Recht der Palästinenser unterstützen, in Frieden und Gerechtigkeit zu leben.“

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Und Bürgermeister Markus Püll, der als Vorsitzender der Deutsch-Israelischen Gesellschaft schon mehrfach Schülergruppen durch Israel begleitet hat, resümiert: „Es ist traurig, dass der Nahost-Konflikt jetzt wieder eskaliert ist und so viele Menschen ihr Leben verlieren. Dieser Konflikt wäre nur zu beenden, wenn beide Seiten ein Stück ihrer Identität aufgeben. Aber dazu wird es nicht kommen, wenn Extremisten auf beiden Seiten auf ihren Maximalforderungen bestehen. Man kann nur Shalom sagen und auf Frieden und Vernunft hoffen.“