Mülheim. Seit einem Jahr leben die Mülheimer Bürger mit der Corona-Krise. Ein Blick auf die Stärken und Schwächen des Krisenmanagements der Stadt.

Corona hat Mülheim noch gar nicht erreicht, da nimmt das Virus schon Einfluss auf das städtische Leben. Am 10. März 2020 sagt die Stadt die Medl-Nacht der Sieger ab, die im Vorjahr über 4000 Zuschauer angezogen hat. Am nächsten Tag bestätigt das Gesundheitsamt die ersten vier Infektionen der Stadt, die fünfte folgt tags darauf. Seit nun einem Jahr befindet sich Mülheim im Krisenzustand. Eine Analyse, was seitdem gut gelaufen ist und was nicht.

Diagnosezentrum in Saarn: Früher Anlaufpunkt für Verdachtsfälle

„Vor der Lage sein“, lautet das Credo zu Beginn der Pandemie. Schon Ende Februar beruft Stadtdirektor Frank Steinfort den Krisenstab ein, der früh auf die anrollende Viruswelle reagiert: Bereits am 10. März nimmt das Diagnosezentrum in Saarn seinen Betrieb auf. Klug nutzt der Krisenstab zusammen mit der Kassenärztlichen Vereinigung die leerstehenden Holzhäuser, die früher als Flüchtlingsunterkunft gedient haben, und bietet Menschen mit Indikation eine unkomplizierte Testmöglichkeit.

Bisweilen gerät das Diagnosezentrum allerdings an seine Kapazitätsgrenzen. Nach Ausbrüchen in mehreren Kitas warten Bürger im Spätsommer bis zu drei Stunden auf ihren Test. Mittlerweile ist der Andrang auf das Testzentrum stark zurückgegangen, die Öffnungszeiten sind reduziert. Aufrechterhalten wird das Angebot trotzdem, um auf möglicherweise steigende Infektionszahlen zügig reagieren zu können.

Krisen-Kommunikation der Stadt Mülheim: Holpriger Start

Als die Corona-Krise im Frühjahr auf Mülheim trifft, mangelt es an einer entscheidenden Person: dem Oberbürgermeister. Ulrich Scholten ist zu diesem Zeitpunkt seit Monaten krankgeschrieben, hat seit Beginn des Jahres nach einer Herz-Operation keine Termine mehr wahrgenommen und war gänzlich abwesend im Stadtleben.

Während sich die Oberhäupter der Nachbarstädte schon früh in sozialen Medien an die Bürger wenden, bleibt es in Mülheim in den ersten Wochen der Pandemie still. Doch der Stadt gelingt es etwas später, mit Krisenstabsleiter Frank Steinfort einen Repräsentanten zu finden, der die Bürger regelmäßig anspricht, der auch den emotionalen Part der Krisenbewältigung übernimmt. Auch nach der Wahl von Marc Buchholz zum neuen Oberbürgermeister ist Frank Steinfort das Gesicht in der Krise geblieben.

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Mülheimer Lehrer ärgern sich über Oberbürgermeister Buchholz

Buchholz hingegen äußert sich kaum zur aktuellen Corona-Lage, vermeidet die Kommentierung der Landes- oder Bundes-Anordnungen, stellt öffentlich keine Forderungen nach Öffnungsstrategien. Die Devise scheint zu lauten: Mülheim hält sich an alle Regeln, interpretiert sie weder strenger noch flexibler, wie beispielsweise die Stadt Essen, die nie eine Maskenpflicht unter freiem Himmel angeordnet hat.

Bemerkenswert unaufgeregt ist dabei stets die Einschätzung von Frank Pisani, der als Abteilungsleiter für Infektionsschutz und Umweltmedizin plötzlich im Fokus stand und – sicherlich auch wegen seines gelungenen Krisenmanagements – zum Gesundheitsamtsleiter ernannt worden ist, als erster Nicht-Mediziner in diesem Amt.

Hinterher hängt Mülheim allerdings bei der digitalen Ausstattung der Schulen. Mindestens unglücklich ist Buchholz’ Kommunikation im Herbst zur Bestellung von Tablets für Schüler. Während andere Städte längst geordert haben, bringt der Mülheimer Rat die Ausschreibung für die Endgeräte erst im Dezember auf den Weg. Buchholz schiebt die Verantwortung für die Verzögerung auch auf die Schulen: Von dort seien die Rückmeldungen zum Bedarf erst spät eingegangen. Der Lehrerpersonalrat wirft dem Oberbürgermeister vor, sich nicht an Absprachen zu halten. Erst Ende Februar meldet die Stadt, dass die Telekom knapp 5000 Tablets liefern werde – allerdings von Samsung und nicht, wie von den Lehrern gewünscht, von Apple.

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Mülheim veröffentlicht keine Stadtteil-Zahlen und keine täglichen Impf-Zahlen

Grundsätzlich bleibt die Kommunikation der Stadt in einigen Bereichen schmal. Während andere Städte wie Duisburg und Essen Infektionszahlen nach Stadtteilen oder -bezirken veröffentlichen, weigert sich Mülheim weiterhin, diese Transparenz zu bieten. Zu groß sei die Gefahr, dass sich einige Stadtteile in trügerischer Sicherheit wähnten, während andere stigmatisiert würden.

Die Impfzahlen werden, anders als in den meisten Ruhrgebietsstädten, nicht täglich, sondern nur wöchentlich kommuniziert. Auch differenziert Mülheim nicht nach Erst- und Zweitimpfung, weil das für Verwirrung sorgen könne aufgrund der unterschiedlichen Impfrhythmen – die zweite Biontech-Impfung erfolgt nach drei, die zweite Astrazeneca-Impfung nach mindestens neun Wochen. Andere Städte und auch Land und Bund hindert dies nicht daran, regelmäßig ausdifferenziert zu informieren.

Die Männer in der Krise: Stephan von Lackum, Mülheimer Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung, Stadtdirektor und Krisenstabschef Frank Steinfort und Frank Pisani, der während der Krise zum Leiter des Gesundheitsamtes wurde.
Die Männer in der Krise: Stephan von Lackum, Mülheimer Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung, Stadtdirektor und Krisenstabschef Frank Steinfort und Frank Pisani, der während der Krise zum Leiter des Gesundheitsamtes wurde. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Soziale Medien: Social-Media-Team informiert umfassend

In einem anderen Kommunikationsbereichen legt die Stadt während der Corona-Krise hingegen deutlich zu: Die städtische Facebook-Seite, früher noch mit recht drögen Kurzinfos gefüllt, hält die Nutzer regelmäßig auf dem Laufenden, hat seine Gefolgschaft etwa verdoppelt, hat charmante Aktionen gestartet wie „Gesichter dieser Stadt“, in der Menschen gezeigt wurden, die in der Pandemie besondere Arbeit leisten.

14 Mitarbeiter hat das „Social Media Command Center“ im Frühjahr vergangenen Jahres. Unter der Leitung von Thomas Nienhaus wird nicht nur nach außen kommuniziert, sondern auch die Kommunikation unter den Nutzern beobachtet, werden Stimmungen analysiert und wird entsprechend reagiert. „Virtual-Operations-Support-Team“ (VOST) nennt sich diese moderne Methode – Mülheim ist nur eine von wenigen Städten, die sie anwendet.

Impfungen: Chaos bei der Terminvergabe, gut organisiertes Impfzentrum

Nicht nur in Mülheim ist der Ärger über die schleppende Impfstrategie groß, aber gerade hier häufen sich weiterhin die Beschwerden über fehlende Termine und schlechte Kommunikation. Verantwortlich ist nicht die Stadt, sondern die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein.

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Von „verstörenden Rückmeldungen“ der Bürger sprach Krisenstabsleiter Frank Steinfort schon zu Beginn der Terminvergabe. Wütend reagierte er darauf, dass das Call Center falsche Auskünfte gebe. Und beklagt auch jetzt wieder Fehlinformationen, weil angeblich neue Termine nur über die Stadt gebucht werden können.

Unverständlich bleibt weiterhin, wie es sein kann, dass Über-80-Jährige, die mühsam um einen Impftermin kämpfen, immer wieder abgewimmelt werden mit den Worten, sie sollten es einfach weiter versuchen. Dass die KV technisch nicht in der Lage ist, eine digitale Warteliste zu führen, ist frappierend.

Wer es erst mal ins Impfzentrum auf dem ehemaligen Tengelmann-Areal geschafft hat, erlebt dort allerdings gute Organisation. Geimpfte Bürger berichten von schnellen Abläufen, freundlichem Personal und guter Planung. Bleibt nun abzuwarten, wie die erhöhten Impfstofflieferungen gestemmt werden.