Mülheim. Das Coronavirus verunsichert die Mülheimer wie nie etwas zuvor. Doch anders als in Nachbarstädten zeigt niemand Gesicht, steht ihnen niemand bei.
Zweimal am Tag meldet sich der Essener Stadtdirektor und Gesundheitsdezernent Peter Renzel umfänglich bei Facebook zu Wort: Am Morgen mit den neusten Entwicklungen zum Coronavirus, am Abend mit einem Überblick des Tages. In Bochum, Duisburg und Essen wenden sich die Oberbürgermeister in Videos mit warmen Worten an die Bürger ihrer Stadt, in Gelsenkirchen ermahnt Stadtoberhaupt Frank Baranowski scharf zu sozialer Distanz. Und in Mülheim? Herrscht Stille in Zeiten der Corona-Krise.
Oberbürgermeister Ulrich Scholten ist seit Oktober vergangenen Jahres krankgeschrieben, hat sich Anfang dieses Jahres einer Herz-Operation unterzogen. Sein letzter Facebook-Post datiert vom 10. Februar, darin verabschiedet er sich zu Reha-Maßnahmen, die Ende Februar beendet sein sollten. Er ist aber weiter bis Ende März krankgeschrieben.
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Coronavirus in Mülheim: In der Krise braucht es jemanden, der beisteht
Während ihn die Krankschreibung vergangenen Herbst nicht daran hinderte, vereinzelt Termine wahrzunehmen, Fotos bei Facebook zu posten, wie er Kindern in der Vorweihnachtszeit Geschenke überreicht, oder ein Video zu teilen, in dem er mit Franky’s-Chef Richard Reichenbach durch Mülheim flanierend „White Christmas“ singt, hat er sich in der aktuellen Krise noch nicht einmal zu Wort gemeldet – auch nicht schriftlich in sozialen Medien.
Jemand, der krankgeschrieben ist, soll sich erholen, sich keinem Stress aussetzen, soll nicht eingreifen in das tägliche nervenzehrende Geschehen. Doch ist dies eine außergewöhnliche Notlage. Nie hat ein Ausnahmezustand Menschen so bewegt, so verunsichert wie das um sich greifende Coronavirus. Da braucht es nicht nur Regeln und Informationen, es bedarf auch mentaler Unterstützung, jemanden, der danke sagt an all diejenigen, die uns durch die Krise helfen, ein Gesicht der Stadt, das den Bürgern beisteht in diesen schweren Zeiten.
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Hoher Krankenstand in der Mülheimer Verwaltungsspitze
Scholten könnte derjenige sein, der zwar wegen seines Gesundheitszustands nicht real präsent sein kann, doch aber mit mitfühlenden, schriftlichen Worten der Mülheimer Gesellschaft zur Seite stehen könnte. Oder er könnte jemanden beauftragen, diese Aufgabe statt seiner zu erledigen.
Doch die Reihen im Rathaus waren zeitweise geleert. Stadtdirektor und Krisenstabs-Chef Frank Steinfort flog nach der ersten Krisenstabssitzung in einen lange geplanten Urlaub, war kurz darauf einige Tage aus gesundheitlichen Gründen außer Gefecht. Bleiben sein Krisenstabsvertreter und Kämmerer Frank Mendack sowie Marc Buchholz, Dezernent für Bildung, Soziales und Gesundheit – alles von Corona stark tangierte Ressorts.
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Mülheimer Feuerwehr zeigt, dass es anders geht
Zwar teilt Buchholz auf seiner Facebook-Seite zahlreiche wichtige Beiträge und Informationen, eigene Worte findet er nicht. Ebensowenig Mendack, der Facebook nicht nutzt. Man kann über die Dynamiken in sozialen Netzwerken streiten, kann durchaus vertreten, dort nicht mitzutun. Aber Mendack findet auch keine anderen Wege, sich der Sorgen der Mülheimer anzunehmen.
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Hier bleiben es die nüchternen Nachrichten der Verwaltung, gesichtslos verteilt bei Facebook & Co. mit dem Logo der Stadt, die die Bürger auf dem Laufenden halten. Erst am Sonntag will sich Stadtdirektor Frank Steinfort nun doch mit einer ersten Videobotschaft an die Bürger wenden. Die Feuerwehr hat bislang gezeigt, wie es geht: Sie wendet sich mit persönlichen Worten, mit Bildern ihrer Einsatzkräfte an die Mülheimer. Sie zeigen Gesicht, halten ein Plakat in die Kamera „Wir bleiben für euch da“, erfahren dadurch Wertschätzung für ihre grandiose Arbeit. Die Verwaltung hat diese Gelegenheit verpasst, sich von der menschlichen Seite zu zeigen.