Mülheim. Viele Mülheimer versuchen nach wie vor, einen Impf-Termin zu ergattern. Die Stadt kämpft derweil mit Falschaussagen aus dem Callcenter der KV.
Frustriert und wütend sind viele Mülheimer, die seit Tagen vergeblich versuchen, via Internet oder Telefon einen Termin für die COVID-19-Impfung zu ergattern. Volker Thien (80) gehört zu jenen, die sich zwar schon im Netz registrieren lassen konnten, die aber immer wieder an der konkreten Terminvergabe scheitern. Er hat für das Verfahren mittlerweile nur noch böse Worte übrig: "Es ist dilettantisch vorbereitet und wird chaotisch durchgeführt."
Der geballte Unmut trifft immer stärker auch die Mitarbeiter des städtischen Kommunikationscenters, wo laut Stadtsprecher Volker Wiebels zurzeit "rund 1000 Anrufe täglich mit Impf-Beschwerden eingehen". Das städtische Telefonnetz werde blockiert, "wichtige Arbeiten zur Eindämmung der Pandemie blieben liegen“, so Wiebels. Dabei ist die Stadt der falsche Ansprechpartner. Für die Terminvergabe ist allein die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Nordrhein zuständig.
Mülheimer Krisenstabsleiter ist sauer auf KV
Stadtdirektor Frank Steinfort spricht von "verstörenden Rückmeldungen aus der Bevölkerung". Dass viele Menschen beim städtischen Callcenter anrufen und ihre grundsätzlichen Nöte schildern, sei "noch verständlich". Doch wirklich "sauer" machen den Krisenstabsleiter Schilderungen von Bürgern, die darauf schließen lassen, dass Mitarbeiter der Impf-Hotline 116117 völlig falsche Auskünfte geben.
Es seien Sätze gefallen wie „Mülheim verweigert sich“ oder „Mülheim stellt keine Termine ein, deswegen kann ich Ihnen keinen Termin geben“. Er habe sogar von Callcenter-Agenten mit starkem ausländischen Akzent gehört, die direkt an die Telefonnummer 115 der Stadtverwaltung verwiesen hätten.
Krisenstabsleiter: "Wir als kreisfreie Stadt haben keinen Einfluss auf die Terminvergabe"
"Dabei haben wir als kreisfreie Stadt keinen Einfluss auf die Terminvergabe. Wir bekommen nicht einmal Rückmeldungen, für wann wie viele Termine vergeben wurden", so der Krisenstabsleiter. Man habe auch keinerlei Einfluss auf die Kontingente an Impfstoff, stelle nur das Gebäude des Impfzentrums und das Unterstützungspersonal.
In Richtung Kassenärztlicher Vereinigung sagt Steinfort unmissverständlich: "Es muss Schluss sein mit Äußerungen wie ,Die Stadt verweigert sich'." Die KV müsse dafür sorgen, dass die Mitarbeiter ihres Callcenters "keine unwahren und unhaltbaren Aussagen" treffen. Andernfalls trage die Stadt einen immensen Imageschaden davon: „Das, was aus meiner Sicht jetzt schon angerichtet worden ist, kann nur schwer wiedergutgemacht werden. Das Vertrauen der Bevölkerung wird verspielt.“
Laut Krisenstabsleiter hat die KV versprochen, die Probleme zu lösen
Der Leiter des Vorstandsbüros der KV Nordrhein habe der Stadt auf ihre Beschwerde Folgendes geantwortet: „Ich habe die Punkte intern an unsere entsprechende Stelle weitergeleitet. Auch sind wir dazu mit dem NRW-Gesundheitsministerium in Kontakt. Wir werden alle Maßnahmen einleiten, um diese Punkte abzustellen. Wir arbeiten daran, alle Problemstellungen so schnell wie möglich zu beheben.“
Im Gespräch mit dieser Zeitung sagte KV-Pressesprecher Christopher Schneider am Donnerstagnachmittag zu möglichen Kommunikationsfehlern: "Niemand will, dass so etwas passiert. Und dort, wo es passiert, bedauern wir es." Er könne aus der Ferne nicht abschätzen, wie schwerwiegend das Problem tatsächlich ist. Die rund 1200 Mitarbeiter des KV-Callcenters jedenfalls würden ständig geschult, um immer auf dem neuesten Stand zu sein. Rund 70.000 Anrufe gingen dort täglich ein, "dass da mal Sachen missverständlich ausgedrückt oder falsch verstanden werden, bliebt leider nicht aus".
Später hieß es noch seitens eines weiteren Sprechers der KV: "Die Äußerungen, die getätigt worden sein sollen, werden konsequent und zügig aufgearbeitet – da muss entsprechend reagiert, geschult, gebrieft und gecoacht werden, wobei ich mir einige völlig abwegige Äußerungen ad hoc nicht erklären kann."
Die Impfung eines ganzen Landes zu koordinieren, sei "zweifellos eine Herausforderung", sagt Stadtsprecher Wiebels. Man hoffe nun, "dass die KV Nordrhein mit Hochdruck an dem Thema Optimierung arbeitet".
"Abenteuerliche Auskünfte" am Telefon erhalten
Darüber würden sich auch viele Bürger freuen. Günter Tübben bemüht sich seit Tagen "gemeinsam mit einem 86-jährigen Herrn" um den Termin. "Ich will Ihnen ersparen, die abenteuerlichen Auskünfte alle zu wiederholen, die wir nach endlosen Wartezeiten erhalten haben", schreibt er. "Erschreckt sind wir jedoch darüber, dass uns mitgeteilt wurde, für Mülheim gebe es keine Termine mehr. Das kann doch wohl nicht wahr sein!"
Rolf Lehr (89) bezeichnet sich als "desillusioniert". Die Hoffnung, für seine Frau Marianne (86) und sich selbst zügig eine Bestätigung zu erhalten, wird klein und kleiner. Nach zahllosen Anrufen bei der 116117 und vielen Online-Versuchen sagt er: "Ich weiß nicht, was ich noch machen soll." Er glaubt, dass das Programm der KV "zusammengeschustert" wurde, "das sieht man schon daran, dass der Kalender für die Geburtsdaten nur zurückgeht bis ins Jahr 2000, alles andere händisch eingegeben werden muss". Das sei unlogisch, da sich doch nur Menschen, die 80 Jahre oder älter seien, anmelden könnten.
Mitten in der Nacht einen Termin erobert
Fast schon amüsiert ist derweil Jochen Hensel (80). Ihm wurde zwischenzeitlich ein Impftermin für Januar 2027 angeboten. Vielleicht setzten die Organisatoren darauf, "dass einige sterben, damit andere mehr haben". Der frühere Politiklehrer hat letztlich einen Termin Mitte März zugewiesen bekommen. "Mitten in der Nacht" sei das gelungen, "als wahrscheinlich kein anderer mehr Lust hatte". Dass so viele Menschen zurzeit laut auf den Staat schimpfen und den Verantwortlichen Vorwürfe machen, findet der ehemalige Politiklehrer übrigens nicht gut: Das sei eine Art Versorgungsmentalität, die ihm nicht gefalle. "Man kann nicht immer nur verlangen."
Eine 64-jährige Styrumerin, die ihre Mutter (86) anmelden wollte - "sie wartet sehnsüchtig auf die Impfung" - hat seit Montag endlose Stunden vor dem Rechner und am Telefon verbracht. "Ich hatte Frust ohne Ende, dachte, ich bin nah am Herzinfarkt. Und dann habe ich auch noch Herrn Laschet im Fernsehen gesehen, der von Erfolg gesprochen hat..." Mittlerweile ist die Mutter zum Glück versorgt.
Neue Termine gibt es, wenn neuer Impfstoff kalkulierbar ist
Justus Leemhui (84) notiert am 26. Januar um 16.30 Uhr: "Ich habe 67 Mal vergeblich versucht, einen Impftermin für mich und meine Frau zu bekommen. Ich bleibe am Ball, aber langsam geht meine Geduld zu Ende." Ähnlich ergeht es Renate Opitz und Birgit Lemke, die für Mann bzw. Mutter im Einsatz sind. Lemke glaubt, dass neue Termine immer nur dann vergeben werden, wenn neuer Impfstoff in Sicht ist. Sie hat Recht: Laut Christopher Schneider von der KV werden "immer dann neue Termine freigegeben, wenn neuer Impfstoff kalkulierbar ist". Mittlerweile sei man in Mülheim mit der Terminvergabe zur Erstimpfung im März angekommen.
INFO
Die Stadt verweist derweil auf zwei Internetseiten, die hilfreich sein könnten für Ratsuchende: Kassenärzliche Bundesvereinigung: 116117.de, Landesregierung NRW: land.nrw/corona/impfung.
Laut Sven Werner, Chef der Mülheimer Feuerwehr, werden ab 8. Februar "etwas weniger als 700 Impfdosen für Erstimpfungen pro Woche" zur Verfügung stehen. NRW-weit sollen es wöchentlich 70000 Dosen sein.