Spannender Wahlkampf in Mülheim: Acht Männer und zwei Frauen strecken sich nach dem OB-Amt. In der Freilichtbühne konnte man alle live erleben.
Mülheim. Für eine mittlere Großstadt legt Mülheim gerade einen beachtlichen Wahlkampf hin. Allein zehn Bewerber gibt es für das OB-Amt, etablierte Parteien und umtriebige Wählerbündnisse wollen im künftigen Stadtrat mitmischen. Ehe am Sonntag die Entscheidung fällt, haben wir ein großes Podium in der Freilichtbühne organisiert. Was motiviert diese Menschen, in einer Stadt mit 2,1 Milliarden Euro Schulden?
Die Beweggründe sind so gegensätzlich wie die Bewerber. Mit Extremen auf beiden Seiten, die auf dem Podium erneut deutlich wurden. Während die zerstrittenen Einzelkämpfer Jürgen Abeln und Horst Bilo ihre Batterien mit Frust aufgeladen haben, setzen Monika Griefahn (SPD) oder Andy Brings (Die Partei) auf Sympathiekundgebungen an Mülheim. Aber ganz gleich, wer letztlich an der Stadtspitze und im Rat mitreden darf: Mit den desolaten Finanzen müssen sich alle auseinandersetzen.
Kritik an Mülheimer Finanzpolitik: Gewinne landen immer in privaten Taschen
Bei der Frage, wie sich frische Geldquellen erschließen und Kosten verringern lassen, gehen die Meinungen auseinander. So kritisiert CDU-Kandidat Marc Buchholz: „Die Stadt lässt im Sozialbereich immer noch Mittel liegen.“ In der Verwaltung fehle ein Fördermanagement. Wilhelm Steitz, OB-Bewerber der Grünen, bemängelt, dass Profite - insbesondere aus Grundstücksgeschäften - stets in privaten Taschen landeten statt im kommunalen Haushalt. Andrea Mobini (Die Linke) formuliert es so: „Gewinne werden geteilt, Verluste gehen an die Stadt, das kann nicht sein.“
Die Teilnehmer auf dem Podium
Am großen Podium von WAZ und NRZ haben zehn OB-Kandidaten teilgenommen: Monika Griefahn (SPD), Marc Buchholz (CDU), Wilhelm Steitz (Grüne), Alexander von Wrese (AfD), Amrei Debatin (FDP), Martin Fritz (BAMH), Andy Brings (Die Partei), Jürgen Abeln, Jochen Hartmann und Horst Bilo (alle parteilos).
Außerdem waren vier Spitzenkandidaten bzw. Bewerber für den Stadtrat vertreten: Lothar Reinhard (MBI), Andrea Mobini (Linke), Cevat Bicici (Wir aus Mülheim) und Birgit Felderhoff (Bündnis für Bildung).
Moderiert wurde der Abend von Mirco Stodollick, Leiter der WAZ-Lokalredaktion, und Stellvertreterin Linda Heinrichkeit.
Wegen der Corona-Auflagen konnten in der Freilichtbühne Mülheim nur 150 Zuschauer dabei sein, diese Plätze wurden ausgelost.
Jürgen Abeln, OB-Bewerber und Unternehmer, empfiehlt detaillierte Kostenanalysen und Vergleiche mit anderen Städten: „Welche ist die Günstigste, was können wir tun?“ MBI-Sprecher Lothar Reinhard erlebt besonders die Ruhrbania-Beschlüsse als Ballast. Sie müssten beendet werden, „um nicht noch mehr Geld zu verballern“. Auch Arbeitsteilung mit den Nachbarstädten sei angeraten, um Kosten zu sparen.
Dass sich Mülheim aus eigener Kraft sanieren kann, glaubt indes niemand. Gemeinsam ist den politischen Akteuren in Mülheim die Forderung nach einem Schuldenerlass. OB-Kandidat Horst Bilo, der mit seiner betont hemdsärmeligen Art immer wieder für Lacher auf den Rängen sorgte, würde die Verhandlungen in Berlin gerne selber erledigen: „Das kann nur ein Parteiloser schaffen.“
VHS: Alle wollen den Bürgerentscheid umsetzen
Auch mit Blick auf das VHS-Gebäude, ein weiteres heißes Thema, findet man einen kleinsten gemeinsamen Nenner: Ja, versichern alle, der Bürgerentscheid soll umgesetzt werden. AfD-Frontmann Alexander von Wrese nennt es „einen Skandal“, dass seit einem Jahr nichts passiert sei, „und die gleichen Politiker reden hier über Politikverdrossenheit“. SPD-Kandidatin Monika Griefahn schaut nach Essen, schlägt das dortige „Unperfekthaus“ als Blaupause vor für eine preiswerte Lösung: „Es muss nicht alles piekfein sein. Wir haben keinen Raum in Mülheim, wo sich Bürger einfach treffen können.“ Zwischenruf aus dem Publikum: „Doch: die Freilichtbühne!“
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Mit geringer Aufenthaltsqualität ist nach einhelliger Ansicht die Mülheimer City gesegnet. Dabei, so Wilhelm Steitz, „ist die Ruhr mitten in der Stadt ein Pfund, das uns von anderen Ruhrgebietsstädten unterscheidet“. Gastronomie wünscht er sich hier, würde die Bahnbögen für Neueröffnungen sogar kostenlos zur Verfügung stellen. FDP-Kandidatin Amrei Debatin plädiert für eine neue Gesamtsicht: „Die Innenstadt muss Teil der Wirtschaftsförderung werden.“ Ob sie Menschen wie Martin Fritz (BAMH) damit zurückgewinnen kann? Der parteilose OB-Bewerber macht nach eigener Aussage einen Bogen um die City: „Außer für Zahnarzttermine und Ratssitzungen habe ich in der Innenstadt nichts verloren.“
„Abends nicht mehr auf die Straße trauen“ - wie sicher ist die Stadt?
Alexander von Wrese flaniert dort offenbar häufiger, er schätzt am Hafen die „schöne Atmosphäre“, sieht aber zugleich „Probleme mit der Sicherheit“, unter denen die Attraktivität der Innenstadt leide. „Keine Parallelgesellschaft“ dürfe es in Mülheim geben - das einzige Mal an diesem Abend vernimmt man hier Buhrufe aus dem Publikum.
Das Thema Sicherheit alleine könnte eine abendfüllende Diskussion auf der Bühne befeuern. Durch die Kriminalitätsstatistik werden wachsende Bedrohungen nämlich nicht belegt. Doch hier ist der parteilose Kandidat Jochen Hartmann in seinem Element: „Ich höre von vielen Mülheimern, dass sie sich abends nicht mehr auf die Straße trauen.“ Stadtteilwachen wären überfordert, „wenn es richtig knallt“, mobile Einsatztruppen der Polizei müssten her. Und Haftzellen, hier in der Stadt.
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OB-Bewerber Andy Brings (Die Partei) hält dagegen: Er fühle sich grundsätzlich nicht unsicher, „ich begegne dem Leben ganz anders“. Gefühlte Unsicherheit werde politisch benutzt, „um uns in eine bestimmte Richtung zu schieben“.
Faire und sachliche Runde auf der Freilichtbühne
Eines war vor dem Podium nicht unbedingt sicher: dass die Veranstaltung trotz vieler Streitpunkte, wie auch ÖPNV oder Gewerbeflächen, durchweg fair und sachlich ablaufen würde. So war es dann glücklicherweise, und manche hätten gerne noch lange weiter diskutiert und zugehört, aber in der Freilichtbühne wurde es dunkel und kühl. Nicht nur die Kommunalwahl, auch der Herbst steht unmittelbar bevor.