Mülheim. Martin Fritz ist OB-Kandidat vom Bürgerlichen Aufbruch Mülheim. Im Wahl-Interview bezieht der Heißener auch Position zu seiner AfD-Vergangenheit.

Mit seinem Bürgerlichen Aufbruch Mülheim (BAMH) stellt sich Martin Fritz erstmals bei der Kommunalwahl am 13. September dem Wahlvolk. Wir trafen den OB-Kandidaten zum großen Wahl-Interview.

2014 sind Sie für die AfD in den Stadtrat gewählt worden. Dann waren Sie den AfD-Abspaltungen „Alfa“ und „Liberal-Konservative Reformer“ nah, begründeten mit Ihrem AfD-Vertrauten Lutz-Zimmermann die Ratsgruppe „Mülheim 5 vor 12“. Auch dies ging auseinander: Sie schlossen sich dem Bürgerlichen Aufbruch an. Ist es so schwer, eine politische Heimat zu finden?

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Dr. Martin Fritz: Meine politischen Ansichten haben sich ja nicht geändert. Ich war damals Euro-, nicht Europa-Gegner, und bin das geblieben. Ich hätte auch mein Mandat niedergelegt, wenn ich mich gewandelt hätte. Damals haben sehr viele Leute die AfD aus dem gleichen Grund gewählt. Ich denke, dass ich deren Meinung immer noch vertrete – egal in welcher Partei.

Mülheimer OB-Kandidat Fritz: „Die AfD ist ziemlich weit entfernt von mir

Die AfD definiert sich heute insbesondere durch eine kritische Haltung zur Zuwanderung, mit bisweilen rechtsextremen, fremdenfeindlichen Auswüchsen. Wie weit entfernt ist die heutige AfD von Ihnen?

Die AfD ist ziemlich weit entfernt von mir, wenn ich mir anschaue, wer da im Augenblick das Ruder führt. Deren Motive sind nicht meine, warum ich mich mit Politik beschäftige. Zu ihrer kritischen Haltung zur Zuwanderung muss ich aber auch sagen: Sie haben nicht mit allem Unrecht. Jeder, der tatsächlich vor Krieg, Verfolgung usw. flüchtet, sollte in Deutschland Asyl erhalten. Aber wir können nicht die ganze Welt retten. Die Probleme sind immens: Unsere Sozialsysteme werden über Gebühr belastet, die Integration scheitert. Aber wo ich nicht mitgehen kann mit der AfD, ist, die Leute zu diskriminieren.

Zur Person: Martin Fritz

Dr. Martin Fritz, der Diplom-Ingenieurwesen/Ökonomie studiert hat, stammt aus dem sachsen-anhaltinischen Merseburg und ist noch vor der Maueröffnung 1989 über die tschechische Grenze nach Westdeutschland gekommen. Seither lebt der 64-Jährige in Mülheim. Er wohnt in zweiter Ehe in Heißen. Fritz hat drei erwachsene Kinder.

Fritz ist seit dem Jahr 2000 selbstständiger Unternehmer mit einem kleinen EDV-Systemhaus.

Infos: wg.bamh.ruhr und facebook.com/DrMartinFritz

Wie stehen Sie und der 2016 gegründete BAMH heute zur Frage, wie das Zusammenleben der vielen Nationen hier in Mülheim gestaltet werden sollte?

Wenn ich noch jünger wäre und sich die Gelegenheit ergeben würde, nach Südafrika, Australien oder Neuseeland zu gehen, würde ich das vielleicht auch tun. Nur würde ich mit anderen Motiven dahingehen: Ich würde als erstes die Sprache lernen und versuchen, mich in die Gesellschaft zu integrieren. Und nicht versuchen, meine Lebensauffassungen der Gesellschaft dort aufzuzwingen. Und das passiert ja leider bei denen hier ein bisschen. Da brauchen wir nur über die Clankriminalität zu reden oder die Problemviertel in Duisburg. Das muss man einfach kritisch sehen: Die Leute müssen sich hier integrieren.

Kann man das nur von den Zugewanderten verlangen? Ist es nicht auch Politikversagen, zu wenig für die Integration getan zu haben?

Ich sehe das Versagen ganz woanders. Man hat viel zu wenig unternommen, ihr Leben in ihrem Land lebenswert zu gestalten. Es müsste Konjunkturprogramme geben für die Länder in Afrika, die es ermöglichen, dort Infrastruktur und Beschäftigung aufzubauen. Aber es muss schon eine große Not sein, dass die Leute dort wegwollen.

„Jeder zugewanderte Mensch soll diese Chance zur Integration bekommen“

Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet: Die zugewanderten Menschen leben aber nun hier. Wie wollen Sie das Zusammenleben der vielen Nationen in Mülheim gestalten?

Martin Fritz: „Jeder zugewanderte Mensch soll diese Chance zur Integration in unsere Gesellschaft bekommen. Wenn er sie wahrnimmt, dann ist er willkommen, wenn nicht, dann sollte er sich eine andere Heimat suchen.“
Martin Fritz: „Jeder zugewanderte Mensch soll diese Chance zur Integration in unsere Gesellschaft bekommen. Wenn er sie wahrnimmt, dann ist er willkommen, wenn nicht, dann sollte er sich eine andere Heimat suchen.“ © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Jedenfalls nicht so, dass ein Teil der in Mülheim lebenden Menschen dauerhaft auf Kosten anderer lebt. Eine Kommune ist eine Gemeinschaft, in der jeder seinen Beitrag zur Weiterentwicklung dieser Gemeinschaft leisten muss. Integration dieser Menschen bedeutet, dass sie als erstes die deutsche Sprache beherrschen, ohne die eine Integration äußerst kompliziert ist.

Ein Zusammenleben der Menschen aus unterschiedlichen Nationen in Mülheim muss darauf beruhen, dass die zugewanderten Menschen unser Grundgesetz und die darin verankerten Grundrechte akzeptieren, dass diese Menschen die Bereitschaft zur Integration in unsere Gesellschaft zeigen und danach handeln. Jeder zugewanderte Mensch soll diese Chance zur Integration in unsere Gesellschaft bekommen. Wenn er sie wahrnimmt, dann ist er willkommen, wenn nicht, dann sollte er sich eine andere Heimat suchen.

Im Frühjahr hat der BAMH mit Fraktionschef Jochen Hartmann demjenigen sein Misstrauen offenbart, der in den vier Jahren zuvor mit seiner Omnipräsenz öffentlich der Spiritus Rector des BAMH war. Selbst der aktuelle Wahlslogan „Aufräumen. Zupacken. Gestalten“ stammt noch von ihm, er ist aus Hartmanns Etatrede. Befreiung oder Bedauern?

Erst mal zum Slogan. Der ist auf unserer ersten Wahlkampfsitzung entstanden, das war vor der Etatrede.

Befreiung oder Bedauern?

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Ich habe viel versucht, auch im Nachhinein, diesen Verlust zu verhindern. Aber erfolglos. Politik ist sein Hobby. Sein Spielzeug. Er war dadurch ein unheimlich produktiver Mensch, da ist die Lücke schwer zu schließen. Das andere ist, dass der BAMH dadurch ein anderes Antlitz bekommen hat. Er hat ab und zu daneben getreten, was bei uns nicht gut angekommen ist. Ich sag’s jetzt mal etwas anrüchig: Dieser rechte Part Hartmann ist nun weg. Vielleicht ist der BAMH jetzt für einen Teil der Menschen wählbar, die sich vorher am Hartmann gestört haben.

Wie soll es gelingen, dem BAMH in der kurzen Zeit bis zur Wahl so viel Profilschärfe zu geben, dass der erste Antritt bei einer Wahl nicht ein Reinfall wird?

Da gibt es keine Garantie. Die Hoffnung ist, dass die Menschen erkennen, dass das, was die Altparteien in den vergangenen Jahren abgeliefert haben, so nicht weitergehen kann. Bestes Beispiel ist doch, dass erst beteuert wird, dass erst einmal bestehende Gewerbeflächen entwickelt werden sollen – und dann lässt man Wohnen auf dem Tengelmann-Gelände zu.

„Dieses unwohle Gefühl braucht es es in Mülheim nicht“

Zu Ihren kommunalpolitischen Inhalten: Ihr Programm ist mit „Sechs Richtige für Mülheim“ überschrieben. Punkt 1: die Sicherheit. Was muss sich Ihrer Meinung nach tun?

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Die Stadt muss wieder sicher werden für jeden Bürger, zu jeder Zeit, an jedem Ort. Es darf nicht irgendwelche Gebiete geben, wo die Leute lieber einen Umweg gehen. Ich selbst habe es erlebt an der Ruhrpromenade. Da kam mir eine Ansammlung an Menschen entgegen, wo ich lieber in Deckung gegangen bin. Die haben mir nichts getan, aber ich habe mich unwohl gefühlt. Dieses unwohle Gefühl braucht es in Mülheim nicht.

Die Punkte im BAMH-Wahlprogramm ähneln doch sehr dem AfD-Kommunalwahlprogramm von 2014. Finden Sie nicht?

Ja, die hießen auch „Sechs Richtige“. Man hätte daraus auch vier oder zehn Richtige machen können. Aber von der Struktur her ist es ein Zufall. Ich hätte die Sicherheit auch nicht als ersten Punkt gewählt.

Dann kommen wir jetzt dazu: die städtischen Finanzen. Der BAMH bestreitet als eine der wenigen Kräfte im Rat, dass nichts mehr an Einsparungen möglich ist. Dass Sie die Theater-Subvention mindestens kürzen wollen, ist bekannt. Wo sehen Sie noch Sparpotenzial?

Man muss alles über Bord schmeißen, was sich in den vergangenen 20 Jahren entwickelt hat. Man muss alles kritisch auf den Prüfstand stellen. Ich würde als OB die Stadt wie einen Betrieb führen. Wir müssen dafür sorgen, dass in der Bilanz am Ende des Jahres was Positives rauskommt. Ich will Ihnen nur ein Beispiel geben: Mülheim gibt etwas weniger als ein Prozent, wie viele andere Städte auch, für die EDV aus. Das sind ungefähr sechs Millionen Euro. Im Kommunalen Rechenzentrum Niederrhein sind Kommunen angeschlossen, die zwar jetzt mehr ausgeben, aber damit Effekte erheischen, die ihnen an anderer Stelle in der Verwaltung Millionenbeträge sparen. Diese Zusammenhänge werden in der Mülheimer Verwaltung bei den Führungskräften nicht hergestellt.

Die Gemeindeprüfungsanstalt hat auch zahlreiche Bereiche ausgemacht, in denen Mülheim mehr ausgibt als andere Städte.

Die GPA hat der Stadt im Vergleich mit fünf anderen Städten mit ähnlicher Größe und Struktur bescheinigt, dass wir bei fast allen Aufgaben schlechtere Parameter haben. Das wird hier erklärt mit irgendwelchen Sonderwegen, oder der Kämmerer sagt, wie gut hier doch manches sei. Ich kann aber keinen Unterschied feststellen, ob ich nun durch Bottrop, Essen oder Gelsenkirchen fahre. Wir wollen jetzt mal den Kontakt zu Hamm aufnehmen, die haben sich innerhalb von zehn Jahren fast entschuldet. Die haben eine Pro-Kopf-Verschuldung von circa 2000 Euro. Das ist der zweitniedrigste Wert nach Düsseldorf in NRW. Wir haben eine von über 10.000. Hamm war früher als wir im Stärkungspakt, aber ich sehe ein Problem: Wir kriegen zwar bis 2023 157 Millionen Euro aus dem Stärkungspakt, aber die stopfen Löcher. Sie werden nicht produktiv eingesetzt. Es fehlt ein Konzept, sowohl für die Ansiedlung von Gewerbe als auch für den ÖPNV.

Der ÖPNV ist ein wesentlicher Schuldentreiber in der Stadt, gleichwohl für die Klimawende wichtig. Wie wollen Sie das Dilemma auflösen?

OB-Kandidat Martin Fritz fordert eine Kultur, bei der die Subventionen „im Rahmen bleiben“. Das Theater täglich mit rund 10.000 Euro zu bezuschussen, sprenge diesen Rahmen.
OB-Kandidat Martin Fritz fordert eine Kultur, bei der die Subventionen „im Rahmen bleiben“. Das Theater täglich mit rund 10.000 Euro zu bezuschussen, sprenge diesen Rahmen. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Mit einem vollkommen anderen Konzept dafür, wie Menschen von A nach B transportiert werden. Die Zeit der gummi- oder stahlbereiften großen Blechkisten ist vorbei. Es gibt Städte, die zeigen, wie man das machen kann. In einer App, die in Vilnius entwickelt wurde, werden alle Möglichkeiten erfasst, wie ich mich von A nach B bewegen kann – ob nun mit dem eigenen oder einem Leihfahrrad, mit einem Mietauto, mit dem Bus, mit der Straßenbahn. Oder warum nicht Haltepunkte schaffen, wo Mitfahrwillige einfach einsteigen können? Man muss so etwas mal angehen. Hier oben in Heißen fährt die Buslinie 138 lang. Die ist rappelvoll, wenn die Kinder in die Schule fahren, am Rest des Tages sitzen vier oder fünf Leute drin. Da muss ich ja nicht mit so einer großen Kiste fahren, da kann ich auch Bus „on demand“ [auf Bestellung] machen.

Was ist für Sie ein „sinnvolles Kulturangebot unter ökonomischen Gesichtspunkten“, wie der BAMH es in seinem Wahlprogramm fordert? Argumentieren Sie bitte mal nicht mit dem Theater.

Kultur ist ein weites Feld, aber wichtig ist, dass die Subventionen im Rahmen bleiben.

Was ist denn im Land der Dichter und Denker der Rahmen für Subventionen?

Wenn ich mir überlege, dass wir Probleme haben, eine Kinderberatungsstelle zu finanzieren, der 40.000 Euro im Jahr fehlen, und das Theater an der Ruhr jeden Tag 10.000 Euro Subvention erhält, ist das ein unverhältnismäßiger Rahmen. Klar ist: Es muss Subventionen geben, weil es kompliziert ist, Kultur kostendeckend zu organisieren. Aber nicht in dem Maße wie am Theater an der Ruhr.

In der Gewerbeflächen-Debatte sind Sie nah bei Wirtschaftsförderer Hendrik Dönnebrink, der die Ausweisung neuer Flächen fordert. Wo sollen diese entstehen?

Zunächst sollten existierende Gewerbeflächen genutzt werden. Aber wenn Mannesmann nicht verkauft, kann man nichts machen. Man kann ihn ja nicht enteignen. Wenn ich keine Flächen habe, muss ich eine Grünfläche zum Gewerbegebiet machen, um innovative Unternehmen hierher zu holen, die gewerbesteuerträchtig sind. So viel Fläche brauchen wir gar nicht. Man kann Grünflächen sogar ökologisch aufwerten, wenn man sie zu einem Gewerbegebiet umwandelt. Man kann Teiche anlegen, Totholzhaufen in die Ecke packen. Es gibt Bücher darüber, wie man ein glyphosatbepflastertes Feld in diese Richtung umwandeln kann. Selbst Kaltluftschneisen kann man berücksichtigen, wenn man die Gebäude platziert. Am Flughafen etwa.

Ein Thema in Ihrem Wahlprogramm ist die umweltgerechte Stadtentwicklung. Was kann Mülheim da aus eigener Kraft tun?

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Ich kämpfe seit drei Jahren im Umweltausschuss gegen Windmühlen, dass hier mehr Grünflächen in Blühwiesen umgewandelt werden. Das ist ein wichtiger Punkt, denn wenn die Insekten kaputtgehen, gibt es keine Vögel mehr. Das ist ein riesiges Problem, vielleicht sogar größer als das Problem des Klimawandels und der Erderwärmung. Das ist ein Standbein, auf dem wir hier leben. Der Rat hat ja jetzt auf unser Beharren hin beschlossen, zehn Prozent, 10.000 Quadratmeter, umzuwandeln in solche Wiesenflächen. Es gibt vom Umweltausschuss seit 2018 einen Auftrag an die Verwaltung, ein „Vogel-, Insekten- und Bienenschutzkonzept“ zu erarbeiten. Das wird einfach nicht umgesetzt. Ich würde auch was machen, um die Versteinerung der Vorgärten zu beenden.

„Durch das Stadtquartier ist eine Chance verpasst worden“

Sie wollen Bürger konsequenter einbinden in Entscheidungsfindungsprozesse. So fordern Sie auch eine Beteiligung von Bürgern in einer Stadtentwicklungsgesellschaft. Wie genau soll das funktionieren?

Die Stadtentwicklungsgesellschaft hätte in meinen Augen die Aufgabe, das, was noch möglich ist in der verfahrenen Situation der Innenstadt, noch umzulenken. Wir haben ja noch die restlichen Baufelder der Ruhrbania. Leider ist durch das Stadtquartier eine Chance verpasst worden. Da hätte ein Park hingemusst.

Sie sind Unternehmer. Die Stadt, die kein Geld hat, hätte für Millionen das Grundstück kaufen, die Abrisskosten tragen und einen Park bauen sollen?

Nicht nur einfach einen Park zum Rumlaufen, sondern einen Park mit Gaststätten und so weiter, um ein Ambiente zu schaffen rund um die Einkaufsmöglichkeiten, die dann auch wieder entstehen würden.

Die Stadt hätte Millionen in die Hand nehmen müssen. Woher hätte das Geld denn kommen sollen?

Man muss eine Wirtschaftlichkeitsberechnung machen. Man nimmt nur Geld auf, wenn sich monetäre Effekte daraus erzielen lassen. So eine komplexe Rechnung über 30, 40 Jahre hätte man anstellen müssen: Wie können sich die Umsätze und die Gewerbesteuereinnahmen dadurch entwickeln? Kriege ich meine Geschäfte in der Innenstadt damit wieder voll? Die Beteiligung der Bürger ist dann ganz einfach die: Man kann sich Anteile kaufen. Und die Anteile werfen eine Dividende ab. Und wenn die Dividende höher ist als das, was es im Augenblick fürs Sparbuch gibt, dann gehe ich auch hin und gebe der Stadtentwicklungsgesellschaft mal 5000 Euro.

Wäre Mülheims Innenstadt im Moment nicht eine Hochrisiko-Anlage?

Ja, natürlich, wenn da nicht ein tragfähiges Konzept ist. Eine Stadtentwicklungsgesellschaft, die das nicht hat, wird scheitern.