Mülheim. Andrea Mobini, Spitzenkandidatin der Linken in Mülheim, wünscht sich eine eigene Ratsfraktion. Es gebe so viel zu tun in der gespaltenen Stadt...

Wenn „Die Linke“ hier in der Stadt ihre Stimme erhebt, dann meist in Person von Andrea Mobini. Sie ist die Frau, die für die Partei spricht, die im Büro am Dickswall die Fäden zusammenhält und als Spitzenkandidatin für den Stadtrat antritt. Als Einzelkämpferin empfindet die 60-Jährige sich aber nicht.

Frau Mobini, sind Sie im Wahlkampfstress?

Mobini: Momentan passiert sehr viel. Eben habe ich zwei Anrufe von Müttern bekommen, wegen der Maskenpflicht in den Schulen: „Kann die Linke da nicht was machen?“

Was antworten Sie den Müttern?

Das ist Landespolitik. Wir können nur sagen, dass wir es nicht gut finden. Es gibt sicher andere Möglichkeiten, als Kinder mit Maske acht Stunden in die Schule zu setzen.

Zur Person: Andrea Mobini

Andrea Mobini (60) stammt aus Südhessen. Sie ist in Darmstadt geboren und erst vor knapp zehn Jahren nach Mülheim gezogen.

Die Mutter eines erwachsenen Sohnes hat sich schon als Teenager politisch engagiert - für Frauenrechte und in der Friedensbewegung. Antirassistische Arbeit war ihr immer besonders wichtig. Das gilt bis heute.

Auf eine Parteimitgliedschaft hat Andrea Mobini viele Jahre verzichtet. Erst 2015 ist sie bei der Linken eingetreten, die sie als Kreissprecherin und Spitzenkandidatin in Mülheim vertritt. Ihre inhaltlichen Schwerpunkte sind Migration, Verkehr und Soziales.

Die gelernte Einzelhandelskauffrau ist aufgrund einer schweren Erkrankung erwerbsunfähig. Ein Auto hat sie nicht, sondern fährt Bus, Bahn oder Fahrrad.

Welche Möglichkeiten sehen Sie?

Man macht es sich damit sehr einfach. Vor dem Schulstart war genug Zeit, um Überlegungen anzustellen, etwa eine Teilung der Klassen. Außerdem hätte man die Kinder mit Geräten ausstatten müssen, damit Homeschooling überhaupt stattfinden kann. Ich würde mir etwas mehr Weitsicht wünschen.

Krisenmanagement in Mülheim: „Sie haben sich tapfer geschlagen“

Wie gefällt Ihnen das Krisenmanagement der Stadt Mülheim in der Corona-Pandemie?

Ich finde, sie haben sich tapfer geschlagen. Den Städten wurde vieles aufgebürdet, was sie gar nicht bewältigen können. Die Infos, die wir in Mülheim bekommen haben, gab es nicht in allen Städten.

Viele Parteien und Politiker beklagen, dass Corona den Wahlkampf schwieriger macht. Wie sehen Sie das?

Es stimmt, die Leute sind vorsichtiger, auch was die Mitnahme von Material betrifft. Die ganze Organisation ist schwieriger. Wir haben auch erst kurzfristig die Genehmigungen für unsere Info-Stände bekommen. Wir fahren auf Sicht.

Auf der Reserveliste der Linken für den Rat stehen zehn Namen. Sie führen das Team an. Man hat oft den Eindruck, Sie sind eine Einzelkämpferin, an der die meiste Arbeit hängen bleibt. Stimmt das?

Ich habe tatsächlich am meisten Zeit, aber alle arbeiten mit. Wir haben in Mülheim ein sehr gutes Wahlkampfteam.

Wie viele Mitglieder hat die Linke in Mülheim?

Zwischen 65 und 70. Es sind auch einige junge Leute dazu gekommen, die sich sehr engagieren.

Mit welchen Themen haben Sie den Parteinachwuchs gewonnen?

Sehr häufig geht es um soziale Spaltung. Manche sind persönlich von Armut betroffen, weil sie beispielsweise noch studieren und durch Corona ihre Minijobs verloren haben. Auch der ÖPNV ist für viele ein großes Thema.

Bei der letzten Kommunalwahl hat die Linke in Mülheim 4,1 Prozent der Stimmen geholt und zwei Stadtverordnete gestellt: Andreas Marquardt und Birgit Felderhoff. Beide haben die Partei verlassen. Die Linke war zuletzt nicht mehr im Rat vertreten, konnte sich dort auch nicht profilieren...

Das ist tatsächlich ein großes Manko. Wenigstens habe wir noch Leute in der Bezirksvertretung. Aber der Austritt der beiden ist kein Trauerspiel, sondern wir wollen nach vorne blicken.

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Welches Wahlziel haben Sie sich gesetzt?

Eine eigene Fraktion wäre schon wünschenswert.

Keine Zusammenarbeit mit rechten Bündnissen, auch nicht mit BAMH

Mit wem könnten Sie sich eine Zusammenarbeit vorstellen, wenn es um Mehrheitsbildung geht?

Da bin ich durchaus flexibel. Wenn SPD oder Grüne einen guten Antrag stellen, kann ich mir das zum Beispiel vorstellen. Eine Zusammenarbeit mit rechten Bündnissen im Stadtrat geht für uns gar nicht. Wir haben auch Vorbehalte gegenüber dem Bürgerlichen Aufbruch.

Die Linke stellt keinen eigenen OB-Kandidaten, aber zehn Bewerber sind im Rennen. Wem werden Sie persönlich Ihre Stimme geben?

Vielleicht braucht Andy Brings eine Zusage. An Monika Griefahn stört mich, dass sie so tut: Ich bin neu, und danach wird alles anders. Aber ganz ehrlich? Das habe ich mir tatsächlich noch nicht überlegt.

Den öffentlichen Nahverkehr in Mülheim findet die Linke extrem ausbaufähig. Was müsste aus Ihrer Sicht passieren?

Der ÖPNV müsste so ausgebaut werden, dass es sich lohnt, das Auto stehen zu lassen. Busse und Bahnen müssten deutlich häufiger fahren. Eine Viertelstunden-Taktung reicht für Mülheim nicht aus. Wir fordern eine Rückkehr zum Zehn-Minuten-Takt, den wir ja auch lange hatten.

Autofreie Innenstadt?

Zumindest die Leineweberstraße und die Schollenstraße sollten autofrei werden. Das wäre ein großer Gewinn für die Stadt. Man kann nicht von Ökologie und Klimaschutz reden und gleichzeitig den ÖPNV vor die Wand fahren.

„Die Ruhrbahn braucht nicht zwei Geschäftsführer mit hohem Gehalt“

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Sie fordern ein 365-Euro-Ticket: Jeder soll den ÖPNV für einen Euro pro Tag nutzen können. Wie wollen Sie das finanzieren?

Umdenken. Die Stadt greift Fördergelder ab, möchte aber gleichzeitig Linien stilllegen. Es gibt genügend Fördermöglichkeiten, aber wenn wir schon von Geld reden: Die Ruhrbahn braucht sicher nicht zwei Geschäftsführer mit hohem Gehalt.

Bei den sozialpolitischen Themen, für die die Linke streitet, steht bezahlbarer Wohnraum weit oben. Welche Ideen haben Sie da?

Wir brauchen wesentlich mehr sozialen Wohnraum, und zwar nicht nur in Styrum, sondern überall in der Stadt, damit es keine Ballungen mehr gibt. Probleme entstehen erst, wenn Leute sich ausgegrenzt fühlen. Bei jedem neuen Bauvorhaben, in jedem Quartier sollen 50 Prozent der Wohnungen eine Sozialbindung haben. Und bitte barrierefrei!

Kürzlich gab es wieder neue Zahlen zur Kinderarmut in Mülheim. Erschreckende Zahlen, und man fürchtet, dass Corona die Probleme verschärft. Sie haben sofort Ihre Stimme erhoben und von einem „hausgemachten Skandal“ gesprochen. Das Thema bewegt Sie seit Jahren. Was muss geschehen?

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Was ich sofort tun würde: alle Strukturen verzahnen, die mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben. Bildungseinrichtungen, Träger von Sport- und Freizeitangeboten, Eltern, alle an einen Tisch holen. Es muss ja kein „Runder Tisch“ sein. Freizeiteinrichtungen wie Schwimmbäder müssten für Kinder kostenlos sein. Tickets für den ÖPNV auch. Sportvereine dürften nichts mehr kosten – selbst kleine Beiträge schrecken ja einige Familien ab. Jedes Kind braucht ein Mittagessen in der Kita oder in der Schule.

Kann die verschuldete Stadt Mülheim das alles stemmen?

Vieles ist natürlich Bundespolitik. Aber auch wir haben hier Stellschrauben. Man kann doch nicht 250.000 Euro von der OGS abziehen, und es passiert nichts! Kinderarmut ist nicht erst seit gestern bekannt. Ich lebe seit 2011 hier in der Stadt, und mir ist schnell aufgefallen, wie weit die soziale Schere auseinander klafft.

„Ich mache mir große Sorgen, wie die AfD abschneidet“

„Mülheim stellt sich quer“ – Sie haben das breite Anti-AfD-Bündnis und die Demo im vergangenen Herbst maßgeblich mit organisiert. Am Aschermittwoch gab es noch mal eine spontane Aktion. Lebt die Bewegung weiter?

Beim großen Protest gegen AfD im Oktober stand Andrea Mobini (re.) in der ersten Reihe. Sie hat das Bündnis „Mülheim stellt sich quer“ ins Leben gerufen.
Beim großen Protest gegen AfD im Oktober stand Andrea Mobini (re.) in der ersten Reihe. Sie hat das Bündnis „Mülheim stellt sich quer“ ins Leben gerufen. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Wir hatten ein Treffen im März vereinbart, aber dann kam diese ganze Corona-Geschichte und hat unsere Arbeit kaum mehr möglich gemacht. Aber wir werden nicht schweigen, wenn die AfD da steht. Vor der Bundestagswahl 2017 gab es mal eine Aktion auf dem Kurt-Schumacher-Platz: Leute von uns, aber auch beispielsweise von der Grünen Jugend haben Wahlmaterial der AfD in blauen Müllsäcken gesammelt. Nach dem Motto: Blau zu Blau. Das war keine Belästigung, aber eine klare Ansage.

Wie schätzen Sie die Chancen der AfD in Mülheim ein?

Ich mache mir große Sorgen darüber, wie sie abschneiden. Gerade vor dem Hintergrund, dass wir hier keine gemäßigte AfD haben, falls es die überhaupt gibt, sondern das sind Flügelleute. Das sind keine unbeschriebenen Blätter. Wer jemanden wie Kalbitz nach Mülheim holt, hat sicher kein normales Verhältnis zur Demokratie. Wir müssen damit rechnen, dass wir sie in den Stadtrat kriegen. Hoffentlich wird das Ergebnis nicht so hoch.