Herne. Stadtdirektor Hans Werner Klee tritt ab. Im WAZ-Interview spricht er über seinen holprigen Start, seine Erfolge und bewegungsunfähige Beamte.

Hans Werner Klee (65), Hernes Kämmerer und Stadtdirektor, tritt Ende April in den Ruhestand. Elf Jahre lang war er im Rathaus Chef der Stadtfinanzen und Stellvertreter des Oberbürgermeisters. Im Interview mit der WAZ zieht er Bilanz und sagt, warum er noch nicht ganz loslassen kann.

2012 wurden Sie vom Rat mit nur hauchdünner Mehrheit zum Kämmerer gewählt. Sie bekamen nicht mal alle Stimmen von Rot-Grün, der damaligen Ratskoalition, und Ihr Gegenkandidat Markus Schlüter, der damalige CDU-Fraktionschef, ätzte gegen Sie: „Ich habe Zweifel, ob er für den Posten befähigt ist.“ Thomas Nückel (FDP) schlug sich auf die Seite Ihres Gegenkandidaten und prophezeite: „Klee wird an den Herner Strukturen verzweifeln.“ Sind Sie an den Herner Strukturen verzweifelt?

Nein. Fakt ist: Herr Schlüter und Herr Nückel gibt’s nicht mehr im Herner Rat. Fakt ist auch: Ich bin immer noch da. 2020 bin ich sogar wiedergewählt worden – mit deutlich besserem Ergebnis. Von daher glaube ich, dass ich auch den Kritikern bewiesen habe, dass ich als Seiteneinsteiger diese Funktion ausüben kann.

Hans Werner Klee - hier an seinem ersten Arbeitstag in Herne am 2. Mai 2013 - kam als Seiteneinsteiger ins Herner Rathaus.
Hans Werner Klee - hier an seinem ersten Arbeitstag in Herne am 2. Mai 2013 - kam als Seiteneinsteiger ins Herner Rathaus. © WAZ FotoPool | Franz Luthe

Mit Seiteneinsteiger meinen Sie: Sie waren vor dem Kämmerer-Job kein Kommunalfinanzexperte und weder in der öffentlichen Verwaltung noch der Politik verwurzelt, sondern Manager in der Wirtschaft. Deshalb kamen auch die kritischen Stimmen auf, die fragten: „Kann Klee Kämmerer?“.

Genau. Ich habe aber schon vor meiner Wahl gesagt, dass es für mich nicht so ein großer Unterschied ist, ob ich einen Unternehmens- oder einen Verwaltungsbetrieb führe, weil die Führungsprinzipien vom Grundsatz her vergleichbar sind. Die Stadt Herne muss Erträge steigern und Aufwendungen reduzieren. Das ist etwas, was jedes Wirtschaftsunternehmen auch permanent machen muss. Das ist mir gelungen.

Die Zahlen sagen etwas anderes: Das Loch im Haushalt ist in Ihrer Amtszeit ganz schön gewachsen. Ihr Nachfolger Marc Ulrich erbt fürs kommende Jahr ein Minus im städtischen Haushalt von 60 bis 80 Millionen Euro.

Das muss man differenziert betrachten. Als ich angetreten bin, hatten wir 2012 einen Verlust von 57,4 Millionen Euro. Durch konsequente Haushaltskonsolidierung haben wir dann aber für mehrere Jahre die „schwarze Null“ geschafft, also überhaupt keine neuen Schulden mehr gemacht. Dazu haben wir Steuern erhöht, Tafelsilber verkauft, Grundstücke abgegeben. Wir haben die Verwaltung wirklich ausgequetscht.

Er darf sich nun mit dem städtischen Haushalt herumschlagen: Marc Alexander Ulrich tritt seinen Kämmerer-Job in Herne Anfang Mai an.
Er darf sich nun mit dem städtischen Haushalt herumschlagen: Marc Alexander Ulrich tritt seinen Kämmerer-Job in Herne Anfang Mai an. © FUNKE Foto Services | Jörg Schimmel

Das ging aber auch nur, weil das Land mit seinem „Stärkungspakt“ und vielen Millionen Euro geholfen hat, die Löcher in Herne – wie in anderen finanzschwachen Kommunen auch - zu stopfen.

Der Stärkungspakt ist ein Argument. Für uns aber noch wesentlich entscheidender war neben den eigenen Konsolidierungsanstrengungen die wirtschaftliche Entwicklung, die sich permanent verbesserte. Wir hatten ja zehn Jahre lang eine konjunkturelle Hochphase. Ohne diese hätte der Stärkungspakt nicht ausgereicht. Das sehen wir jetzt. Durch die Inflation sind die Verluste wieder rasant gestiegen. Dennoch werden wir das Jahr 2023 recht gut abschließen, weil wir die Verluste durch Corona und den Ukraine-Krieg aus dem Haushalt herausrechnen durften. Erst in diesem Jahr droht das von Ihnen beschriebene riesige Haushaltsloch.

Also kann sich Ihre Haushaltsbilanz als Kämmerer sehen lassen?

Sagen wir so: Ich kann mich gut zurücklehnen. Fakt ist aber auch, dass die finanzielle Lage für finanzschwache Kommunen wie Herne aus eigener Kraft nicht mehr zu beherrschen ist. Als Kämmerer habe ich gar keine Handlungsmöglichkeiten mehr. 60 Prozent meiner Aufwendungen sind Sozialaufwendungen. Die kann ich gar nicht beeinflussen. Ich müsste die Grund- oder Gewerbesteuer schon verdoppeln und verdreifachen, damit entscheidend mehr Geld in den Haushalt fließt. Das geht nicht. Damit würden wir den Ast absägen, auf dem wir sitzen. Und ich kann ja nicht zwei oder drei marode Schulen schließen, um Geld zu sparen. Oder auf den Bau von Kitas verzichten.

„Ich kann mich gut zurücklehnen“: Kämmerer und Stadtdirektor Hans Werner Klee vor einem Jahr auf der Dezernentenbank im Ratssaal.
„Ich kann mich gut zurücklehnen“: Kämmerer und Stadtdirektor Hans Werner Klee vor einem Jahr auf der Dezernentenbank im Ratssaal. © FUNKE Foto Services | Bastian Haumann

Was muss passieren?

Die Kommunen müssen als Fundament der Demokratie handlungsfähig bleiben. Wenn dieses Fundament Risse bekommt, dann ist das ungesund für eine Demokratie. Das sieht man jetzt an den rechten Bewegungen. Deshalb sage ich gebetsmühlenartig, dass die Finanzausstattung der Kommunen verändert werden muss. Wir brauchen mehr Geld vom Land.

Das klagt aber auch über Geldmangel – ebenso wie der Bund.

Das ist richtig. Wir haben in Deutschland ein Sozialleistungsniveau, das im internationalen Vergleich Weltspitze ist. Das können wir nur halten, wenn wir konsequent auf Wachstum ausgerichtet sind. Das realisieren wir über Arbeit, über Arbeitskräftepotenziale. Und da müssen wir auf Einwanderung setzen - und zwar auf Einwanderung nicht in soziale Systeme, sondern in den Arbeitsmarkt. Dann fließen mehr Steuern, dann kommt mehr Geld in die Kassen.

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Was lief gut in Ihrer Zeit als Kämmerer?

Wir haben viel geschafft. Über den Haushalt haben wir ja schon gesprochen. Dazu gehört auch, dass wir die Liquiditätsschulden um über 100 Millionen deutlich gesenkt haben. Als Beteiligungsdezernent habe ich außerdem einen sehr diversifizierten Stamm an Beteiligungsunternehmen gesteuert sowie auf- und ausgebaut – von der Energieversorgung, der HGW über die Stadtentwicklungsgesellschaft bis hin zur Schulmodernisierungsgesellschaft, um nur einige zu nennen. Damit haben wir um den Tanker Verwaltung herum eine Reihe von Schnellbooten konzipiert. Mit diesen schlanken Strukturen bekamen wir mehr Flexibilität und können nun schneller agieren. Wir sehen heute, was da alles entstanden ist.

Nämlich?

Etwa die Neuen Höfe Herne. Das ist eine Vorzeigeimmobilie, die auch in der Fachwelt für Aufsehen gesorgt hat. Aus dem ehemaligen Karstadt-Gebäude ist nach jahrelangem Leerstand eine multifunktionale Immobilie mit Büros, Einzelhandel, Gastronomie und Freizeitmöglichkeit und 400 Arbeitsplätzen entstanden. Das hat die Innenstadt belebt und für eine Schubwirkung gesorgt: Das abgewrackte Stadtwerke-Haus wurde revitalisiert, das City-Center modernisiert, das Adler-Gebäude abgerissen und dort der Europagarten gebaut. Und jetzt folgt am Standort der Elsässer Stuben die multifunktionale Geschäftsimmobilie H3. Wir versuchen, durch unser Handeln immer auch Investoren für Herne zu gewinnen, die dann Wiederholungstäter werden. Stadtentwicklung heißt für mich in einer Stadt wie Herne in erster Linie: Arbeitsplätze schaffen. Das ist uns gelungen. Wir haben in den vergangenen fünf Jahren 13 bis 15 Prozent neue Beschäftigung geschaffen, das ist mehr als der NRW-Schnitt. Ich glaube, darauf können wir stolz sein. Und auf vieles mehr.

Aus dem leer stehenden, ehemaligen Karstadt- und Hertie-Haus wurden am Robert-Brauner-Platz die Neue Höfe Herne.
Aus dem leer stehenden, ehemaligen Karstadt- und Hertie-Haus wurden am Robert-Brauner-Platz die Neue Höfe Herne. © FUNKE Foto Services | Klaus Pollkläsener

Auf was noch?

Wir haben das Technische Rathaus und einen zentralen Betriebshof etabliert, auch wenn beim Letzteren noch nicht alles glatt läuft. Außerdem haben wir die Verwaltung gut aufgestellt, auch auf den Fachkräftemangel, der immer stärker durchschlägt. Wir werden künftig nicht mehr in der Lage sein, alle ausscheidenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu ersetzen. Von daher ist es für die Verwaltung immens wichtig, konsequent zu digitalisieren. Mein Highlight ist aber der Bau der neuen Haupt-Feuer- und Rettungswache. Das ist die größte Investition in der Geschichte der Stadt Herne - und das wird sie aus meiner Sicht auch bleiben.

Dass Sie ein Seiteneinsteiger sind, haben Sie ja schon gesagt. Was hat Sie überrascht, als Sie plötzlich in der Verwaltung arbeiteten?

Was ich unterschätzt habe, ist die Bewegungsunfähigkeit einzelner Beamter. Wenn ein Beamter nicht arbeiten will, dann ist es sehr schwer, ihn an die Arbeit zu bekommen. Aber das ist bei uns wirklich nur ein Einzelfall. Mein Führungscredo ist: „Ich bin immer nur so gut wie die Summe der Qualität meiner Mitarbeitenden.“ Deshalb habe ich immer versucht, gute Mitarbeiter zu gewinnen. Das ist uns insgesamt auch gut gelungen. Auf der anderen Seite weiß ich auch, dass ich mit meiner direkten Art hier und da am Anfang vielleicht gegen Verwaltungskonventionen verstoßen habe, wenn ich etwa Mitarbeitende eines anderen Dezernats mal direkt angerufen habe.

Für 140 Millionen Euro soll in Horsthausen bis 2027 die neue Feuer- und Rettungswache gebaut werden.
Für 140 Millionen Euro soll in Horsthausen bis 2027 die neue Feuer- und Rettungswache gebaut werden. © WAZ | Stadt Herne

Haben Sie einen Tipp an Ihren Nachfolger?

Ich kenne Marc Alexander Ulrich schon seit einigen Jahren. Ich finde es gut, dass er den Zuschlag erhalten hat. Auch deshalb, weil er als Herner das Umfeld und die großen Herausforderungen der Stadt ganz gut kennt. Ich hoffe, dass er den Spagat gut hinbekommt zwischen dem, was politisch gewünscht und wirtschaftlich machbar ist. Er wird Investitionen noch stärker priorisieren müssen. Mein Tipp: Als Kämmerer im Ruhrgebiet kann man nur mit grenzenlosem Optimismus agieren und viel Kreativität.

Was machen Sie in Zukunft? Mehr Urlaub?

Das ist richtig. Meine Frau und ich haben uns überlegt, dass wir durchaus ein bisschen häufiger reisen als in der Vergangenheit. Das Erfahrungswissen und die Netzwerke, die ich bei der Stadt und davor aufgebaut habe, will ich aber noch für Beratungstätigkeiten nutzen. Mein Vorteil ist ja, dass ich beide Seiten kenne: Ich weiß, wie die öffentliche Hand funktioniert und ich weiß, wie die Privatwirtschaft tickt. Als Freiberuflicher werde ich also sicherlich noch ein, zwei Tage in der Woche arbeiten.

Auch für die Stadt Herne?

Das will ich nicht ausschließen.

Ein Bild aus alten Zeiten: Hans Werner Klee als Manager der Montan Grundstücksgesellschaft im Jahr 2007.
Ein Bild aus alten Zeiten: Hans Werner Klee als Manager der Montan Grundstücksgesellschaft im Jahr 2007. © WAZ | Foto: Joseph-W. Reutter

>>> Zur Person:

  • Hans Werner Klee (65) studierte Betriebswirtschaftslehre in Köln. Anschließend absolvierte der Diplom-Kaufmann erfolgreich ein Promotionsstudium. Mit 54 Jahre Jahren wurde er im Dezember 2012 im Stadtrat mit 32 Ja-Stimmen zum Kämmerer gewählt. Sein Gegenkandidat Markus Schlüter (CDU) kam auf 29 Stimmen, zwei Stadtverordnete enthielten sich.
  • Klee, zuvor kaufmännischer Geschäftsführer der früheren Montan Grundstücksgesellschaft (heute RAG Montan Immobilien) und anschließend Partner des Oberhausener Ex-OBs Burkhard Drescher bei BDC-Consulting, trat sein neues Amt als Nachfolger von Peter Bornfelder im Frühjahr 2013 an. Der damals Parteilose trat kurz nach seiner Wahl der SPD bei. 2020 wurde der damals 62-Jährige mit 40 Ja-Stimmen als Kämmerer wiedergewählt. 16 Stadtverordnete sagten dabei nein, einer enthielt sich. Klee lebt mit seiner Frau in Bochum und hat zwei Kinder.
  • Nachfolger des 65-jährigen ist Marc Ulrich (44), den der Rat im März gewählt hat. Der Herner Ulrich, bislang Kämmerer in Bergkamen, tritt seinen neuen Job am 1. Mai an. Er wird Kämmerer, aber auch - wie sein Vorgänger - Dezernent für Finanzsteuerung, Immobilien und Wahlen, Steuern und Zahlungsabwicklung sowie Gebäudemanagement. Neuer Stadtdirektor und damit Stellvertreter des Oberbürgermeisters – auch diese Funktion hatte Klee – wird Dezernent Frank Burbulla.