Herne. Riesiges Millionenloch im Herner Haushalt: Der Kämmerer gibt sich ratlos und frustriert. Ist die Stadt Herne bald handlungsunfähig?
- Kämmerer Hans Werner Klee präsentierte im Rat seinen Haushaltsplanentwurf.
- Bis 2027 fehlen demnach bis zu 85 Millionen Euro.
- Stadt Herne sieht Bund und Land in der Pflicht zu helfen.
Hernes Kämmerer Hans Werner Klee bekennt: „Ich bin ehrlich gesagt ratlos.“ Diesen Satz sagte der städtische Finanzchef am Dienstag im Rat, als er seinen Finanzplan für 2024 vorstellte. Im Haushalt, berichtete er, klaffe bis 2027 ein Loch von 55 bis zu 85 Millionen Euro – pro Jahr. Zugleich fehle an allen Ecken und Kanten Geld, für den dringend notwendigen Ausbau von Kitas und Schulen etwa oder die nicht minder notwendige Sanierung von Straßen und Gebäuden. „Dramatik pur“: So umschrieb der frustrierte Kämmerer deshalb die Lage. Ohne Geld von Bund und Land, warnte er, sei Herne bald handlungsunfähig. Mehr noch: Die aktuelle Situation gefährde „den Zusammenhalt der Gesellschaft“ und fördere „antidemokratische Prozesse.“
Wie angespannt die Lage ist, zeigt der Finanzplan, den der 64-Jährige am Rednerpult vorstellte und mit vielen Grafiken und Diagrammen, die er an die Wand warf, untermalte. Hans Werner Klee ist seit zehn Jahren Kämmerer in Herne, und zum ersten Mal legte er dem Rat einen Haushalt vor, der so gar nicht erlaubt ist – und der von der Bezirksregierung Arnsberg deshalb auch keine Chance auf eine Genehmigung hat. Grund ist besagtes Millionenloch, von dem der Kämmerer noch nicht mal weiß, wie tief es Ende November ist, wenn der Rat, so geplant, über den Haushalt abstimmen soll. Was Klee aber weiß: Neue Schulden sind nicht erlaubt, Miese darf er nicht machen. Wie er es anstellen soll, das Millionenloch zu füllen? Ihm fehle dazu die Fantasie, bekennt er.
Herne: Explodierende Kosten auf allen Ebenen
Grund für die Dramatik seien die explodierenden Kosten auf allen Ebenen. Verantwortlich seien die vielen Krisen in der Welt, darunter vor allem der Ukraine-Krieg. In der Folge seien die Inflation, aber auch die Zinsen gestiegen, zugleich habe sich die Konsumlaune und die Stimmung in den Unternehmen verschlechtert. Konsequenz: Alles sei auch für die Stadtverwaltung viel, viel teurer geworden. Nicht zuletzt seien immer mehr Flüchtlinge nach Herne gekommen, die nicht nur untergebracht werden müssten, sondern für die auch Kita- und Schulplätze geschaffen werden müssten, um sie integrieren zu können. Das alles, so der Kämmerer, koste viel, viel Geld und habe zu dem riesigen Millionenloch geführt.
Verschärfend hinzu kämen zwei weitere Faktoren. Das Land wolle den Kommunen im kommenden Jahr offensichtlich nicht mehr erlauben, die Folgen des Ukraine-Kriegs aus der städtischen Jahresbilanz herauszurechnen und sie später zu bezahlen. Außerdem wolle das Land die versprochene Altschuldenlösung von 2024 auf 2025 verschieben. Hintergrund hier: Herne plagt sich schon jetzt mit Miesen von rund 500 Millionen Euro herum, dieser Berg der drückenden Kassenkredite, der jährlich zusätzliche kräftig Geld koste, soll nach und nach abgeräumt werden – aber wohl mindestens erst ein Jahr später.
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Drohen jetzt Steuererhöhungen? Ausschließen wolle er erst mal gar nichts, sagte der Kämmerer am Rande der Ratssitzung am Dienstag, 5. September, zur WAZ. Nur zwei Stellschrauben habe er: die Grundsteuer B und die Gewerbesteuer. Erstere sei aber gerade erst angehoben worden, mehr wolle er den Bürgerinnen und Bürgern nicht zumuten. Die Gewerbesteuer wolle er auch nicht erhöhen, weil er sonst Unternehmen vergraule. Und überhaupt: Steuererhöhungen reichten sowie hinten und vorne nicht, um das Millionenloch zu füllen.
In der Pflicht, den Kommunen, darunter Herne, zu helfen, seien der Bund, vor allem aber das Land. Letzteres habe das Geld, um die Städte so auszustatten, damit sie keine neuen Schulden machen müssen. Es komme aber viel zu wenig an. „Will uns das Land hier bewusst handlungsunfähig machen? Oder ist es schlichtweg Unkenntnis, Unvermögen oder Hilflosigkeit?“, fragte Klee im Rat. Schlimmer: Bund und Land schöben sich die Verantwortung für die Finanzierung der Kommunen zu – „und wir drohen dazwischen zermahlen zu werden“. Angesichts dieser Lage sei er nicht nur ratlos, sondern er verspüre auch „eine gewisse Resignation“.
Die Städte, so der Kämmerer, seien die Visitenkarten des Staates. In Herne aber sei etwas in Schieflage geraten: Schulen und Kitas seien überfüllt, Straßen und Gebäude marode, und Geld, um das zu ändern, komme viel zu wenig in Herne an. „Demokratie findet vor Ort in den Kommunen statt“, sagte Klee, und fügte an, dass er sich nicht vorstellen könne, dass Bund und Land damit leichtfertig umgehen. Und wenn doch? „Die Geschichte zeigt, kann dies ins Auge gehen“, fügte er an.
>>> Brandbrief an die Landesregierung
Angesichts der dramatischen Haushaltslage hatte Kämmerer Hans Werner Klee in den Sommerferien einen Brandbrief an die Landesregierung geschrieben und bereits dabei eine Millionenhilfe gefordert, um das Finanzloch zu stopfen.
Ein Beispiel: der Kitaausbau. Rund 14.300 Migrantinnen und Migranten, darunter Flüchtlinge etwa aus der Ukraine und Syrien, sowie Zuzügler aus Südosteuropa leben laut Stadt aktuell in Herne. Dazu gehörten rund 1900 Kinder bis sechs Jahre, also rund 20 Prozent aller Herner Mädchen und Jungen in dieser Altersklasse. Sie bräuchten Sprach- und Sozialkompetenzen, müssten integriert werde. Wichtig seien dafür Kitaplätze. Jeder Kitaplatz in Herne führe im Haushalt aber zu einem Verlust von rund 7000 Euro – pro Jahr. Werde allen Kindern aus Zuwanderungsfamilien ein Kitaplatz zur Verfügung gestellt, ergäbe das im Herner Haushalt ein Minus von 13,3 Millionen Euro pro Jahr. Diese Kosten der Integration könne Herne aus eigener Kraft gar nicht tragen.