Herne. Blick zurück in Begeisterung: Was sieben Wegbegleiter und die Stadtspitze zur Schließung des Veranstaltungsortes Literaturhaus Herne sagen.
Das Aus fürs Literaturhaus Herne setzt Emotionen frei: ein Literaturhaus-Kollege, eine Autorin, eine Redakteurin, ein Schauspieler, drei Stammgäste und der Oberbürgermeister über die Einstellung eines ganz besonderen Kulturangebotes in Herne.
„Ein Jammer, ja, ein kleiner Skandal!“
Rainer Moritz, Literaturhaus Hamburg: „Dass das Literaturhaus Ruhr bald Geschichte sein wird, ist ein Jammer, ja, ein kleiner Skandal. Ich hatte das Glück, dort als Autor und Moderator mehrfach Gast sein zu dürfen, und wenn man wie ich einige Literaturhäuser und Kulturorte in Deutschland kennt, dann war eines sofort offenkundig: Die Lesungen in der eleganten Alten Druckerei bestachen durch eine ganz besondere Atmosphäre, wie man sie nur selten findet. Ein von Elisabeth Röttsches und Verena Geiger klug zusammengestelltes Programm, eine professionell-liebevolle Betreuung der Auftretenden, ein neugieriges Publikum – all das traf man hier an. Dass sich in Herne niemand gefunden hat, in schwierigen ökonomischen Zeiten dieses Glanzstück der Kultur finanziell zu unterstützen, verstehe ich nicht. Von der Notwendigkeit der Kultur(förderung) in Sonntagsreden zu sprechen ist schön. Entscheidend ist aber, dass dafür etwas getan wird. Was für ein Verlust, nicht nur für Herne.“
„Ein besonders Ambiente“
Julia Korbik, Herner Schriftstellerin und Journalistin: „Als Autorin habe ich schon in ganz Deutschland gelesen – an die Vorstellung meines Buches ,Oh, Simone!‘ im Literaturhaus Herne Ruhr Ende 2018 denke ich aber besonders gerne zurück. Nicht nur, weil Herne meine Heimat ist und im Publikum dementsprechend viele bekannte Gesichter saßen. Sondern auch, weil die Atmosphäre im Literaturhaus immer eine ganz besondere war: warm, herzlich, intim. Das habe ich sowohl auf der Bühne erlebt als auch als Besucherin. Schade, dass ich mein neues Buch (das im Januar 2024 erscheint) nicht mehr im Literaturhaus vorstellen kann – in diesem besonderen Ambiente, das in Herne sehr fehlen wird.“
„Ein Stück Kultur, das andere nicht hatten“
Ute Eickenbusch, bis 2021 Redakteurin der WAZ Herne: „Es waren meine Lieblingstermine. Nach dem Dienst in der Redaktion kurz nach Hause, und dann gleich ab ins Literaturhaus. Um die musikalischen Veranstaltungen kümmerten sich andere. Das Buch und der Mensch zum Buch interessierten mich. Dazu ein Glas (guter) Wein – mein Abend!
Dass die Lesungen in einer mit Geschmack renovierten alten Druckerei stattfanden, umso besser. Buchhändlerin Elisabeth Röttsches hatte ein Literaturhaus daraus gemacht. Plötzlich glänzte Herne mit einem Stück Kultur, das andere nicht hatten! Drei-, viermal im Monat schrieb ich über Autorinnen und Autoren in der Alten Druckerei. So wie ich sie dort auf der Bühne erlebte - persönliche Gespräche gab es kaum.
Viele Schriftsteller kannte man von den Bestsellerlisten. Wunderkind Benedict Wells war dreimal da, unter anderem mit ,Vom Ende der Einsamkeit‘. Takis Würger verteidigte seinen umstrittenen Roman ,Stella‘. Hilmar Klute (,Was dann nachher so schön fliegt‘) gab Auskunft über sein junges Ich. Ebenfalls in Herne vorgestellt: ,Sörensen hat Angst‘ von Sven Stricker. Das Buch ist inzwischen erfolgreich mit Bjarne Mädel verfilmt worden.
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Wenn Geist und Witz aufeinandertrafen, funkelte es. Ich erinnere mich an den Kolumnisten Axel Hacke (,Über den Anstand in schwierigen Zeiten‘) oder Wladimir Kaminer, der mit seinen Geschichten vom Kreuzfahrtschiff echte Entertainerqualitäten bewies. Auch WAZ-Kollege Lars Ludwig von der Gönna gehört unbedingt in diese Reihe.
Aber das Literaturhaus konnte auch ernst. Unvergessen das musikalisch-literarische Programm ,Weg vom Fenster‘ mit Till Beckmann und Christian Donovan oder der Auschwitz-Abend. Berührend in anderer Weise: Gila Lustiger, ehemalige Stadtschreiberin Ruhr, und ihre Textminiaturen über das Glück. Krimiautoren waren da (Melanie Raabe, Andreas Pflüger), fernsehbekannte Prominente wie Susanne von Borsody, Leslie Malton und Martin Brambach, Philosophen und Wissenschaftler.
Besonders mochte ich Buchvorstellungen vor Weihnachten und im Sommer. Mit diesem Format hatte im Schloss Strünkede alles angefangen. Was in den Feuilletons auftauchte, aber auch eigene Entdeckungen besprachen Elisabeth Röttsches und ihre Kolleginnen so kenntnisreich wie persönlich. Dann und wann gastierten auch Literaturkenner wie Denis Scheck und Rainer Moritz mit ihren Tipps und Verrissen.
Wer hat mich am meisten beeindruckt? Diese beliebte Journalistenfrage mag ich nicht beantworten. Wenn ein Autor mehr war als ein Vorleser, eine Autorin etwas über ihr Schreiben verriet, wurde es spannend. Gespräche mit Bekannten, die sich unter den bis zu 100 Zuhörerinnen und Zuhörern garantiert fanden, rundeten die immer anregenden Abende ab. Ein großer Verlust, dass sie ein Ende haben.“
„Einfach sehr gute Gastgeberinnen“
Till Beckmann, Schauspieler, Theatermacher, Autor, Moderator und gebürtiger Herner: „Ein trauriger Tag fürs Ruhrgebiet! Das Literaturhaus ist Geschichte. Ich bedanke mich bei Lisa Röttsches und ihrem Team für die vielen herzerhebenden Veranstaltungen, die wir hier zusammen gemacht haben.
Ketil Björnstad, Spielkinder, Ernest van der Kwast, Petra Reski, Winterfest mit Sabine Brandi & Peter Eisold, ,Die Männer von Luise‘ von Ralf Piorr, unsere Anthologien, die Abende mit Winkelmann und und und. Es war einfach immer schön und immer super besucht. Wir vermuten, dass das weniger an uns, als vielmehr an Lisa Röttsches & Verena Geiger und ihrem Team lag, die einfach sehr gute Gastgeberinnen sind.
Ich werde das nie vergessen. Ein Trostpflaster: Buchhandlung und Café laufen (bestens) weiter.“
„Schade für die Herner Kulturszene“
Frank Dudda, Oberbürgermeister: „Es ist schade für die Herner Kulturszene, dass das Literaturhaus nun seinen Kulturbetrieb in der Alten Druckerei einstellt. Das Team hat es über Jahre geschafft, hochrangige Namen aus der Literaturszene nach Herne zu holen und anspruchsvolle Veranstaltungen zu organisieren. Dafür bin ich dem Trägerverein um Elisabeth Röttsches und Holger Wennrich und dem gesamten Team sehr dankbar. Letztlich war offenbar nach der Corona-Pandemie der Zuspruch nicht mehr so, wie wir es uns alle gewünscht hätten, sodass der Verein die konsequente Entscheidung treffen musste.“
„Ein wunderbarer Ort“
Die allerletzte Veranstaltung in der Geschichte des Herner Literaturhauses stand im Dezember unter dem Motto „Weihnachten in Frankreich“. Am Rande der musikalischen Lesung von Stephan Schäfer und Alexander Pankov hat die WAZ mit drei Stammgästen gesprochen.
Die Veranstaltungen im Literaturhaus seien für sie „Pflichtprogramm“ gewesen und das seit der Eröffnung, sagt die Bochumerin Sigrid Blennemann. „Das Haus hat Strahlkraft weit über Herne hinaus.“ Sie schätze die Programmvielfalt der Kultureinrichtung und das Engagement von Leiterin Elisabeth Röttsches. Besonders gerne denkt sie an eine Lesung des preisgekrönten Ruhrgebiet-Schriftstellers Ralf Rothmann zurück. Nach Herne will sie trotz der Schließung auch weiterhin kommen: als Stammkundin der Buchhandlung Koethers & Röttsches.
Heiner Diesteldorf kann sich noch genau an seine persönliche Premiere im Literaturhaus erinnern: „Das war 2015 eine Veranstaltung mit Sonja Mikich vom WDR und mit Uwe Knüpfer.“ Es sollten – trotz der recht weiten Anreise aus seiner Wahlheimat Köln - noch viele weitere folgen. „Ich schätze dieses Haus und seine Menschen. Die Atmosphäre ist unvergleichlich“, sagt der gebürtige Recklinghäuser. Als IT-Berater sei er beruflich viel unterwegs und habe dabei zahlreiche Literaturhäuser kennengelernt: „Doch dieses Haus ist einzigartig.“
Bärbel Kerkhoff fand den „Einstieg“ ins Literaturhaus über die berufliche Schiene: Sie ist Geschäftsführerin der Gelsenwasser-Stiftung, die die Herner Einrichtung finanziell unterstützt hat. Sie sei aber in den vergangenen Jahren auch privat Stammgast an der Bebelstraße geworden und habe regelmäßig mit ihrem Mann und Freundinnen Veranstaltungen besucht. Ihr persönliches Highlight sei der „sehr bewegende“ Abend über Romy Schneider im Februar 2023 mit der österreichischen Schauspielerin Chris Pichler gewesen. „Das Literaturhaus ist ein wunderbarer Ort mit besonderen Menschen“, sagt Kerkhoff. Mit der Schließung gehe etwas verloren. Sie sei jedoch überzeugt davon, dass Elisabeth Röttsches die für sie richtige Entscheidung getroffen habe.