Herne. Eine Herner Kulturinstitution verabschiedet sich: Welche Bilanz die Literaturhaus-Macherinnen ziehen, warum eine kleine Hintertür offen bleibt.
Im Literaturhaus in der Alten Druckerei endet eine Ära: Seit der Premiere im Juli 2010 mit Autor Friedrich Dönhoff haben die Veranstaltungen in der Hinterhof-Schönheit an der Bebelstraße Kulturgeschichte in Herne geschrieben. Inhaberin Elisabeth Röttsches hat dieses Kapitel nun zum Jahresende 2023 vor allem aus Alters- und Gesundheitsgründen schweren Herzens beendet. Sie will sich künftig ausschließlich auf ihre Buchhandlung Koethers & Röttsches konzentrieren.
Wie viele kulturelle Veranstaltungen in der Alten Druckerei stattgefunden haben, hat die 66-Jährige nicht gezählt. „In der Hochzeit waren es etwa 80 Veranstaltungen pro Jahr“, sagt sie. Von Axel Hacke über Terézia Mora, Benedict Wells und Ralf Rothmann bis hin zu Nora Bossong reicht die illustre Autorenliste, die Röttsches fast schon an „ein Who’s who der deutschen Literatur“ erinnert (siehe auch Box). Konzerte mit unterschiedlichen Klangfarben, szenische Lesungen sowie - insbesondere zu Beginn - Ausstellungen erweiterten die kulturelle Bandbreite in dem ehemaligen Druckereigebäude, das sich schnell zu einem Leuchtturm im Ruhrgebiet entwickelte.
In den ersten Jahren zeichnete Elisabeth Röttsches verantwortlich für das Programm, seit 2018 erhielt sie Verstärkung durch Verena Geiger. Bereits 2015 hatte sich unter dem Vorsitz von Holger Wennrich (Stadtmarketing Herne) der Verein Literaturhaus Herne Ruhr gegründet, der fortan offiziell als Veranstalter fungieren und das Programm unterstützen sollte. Von außen betrachtet änderte sich allerdings so gut wie nichts.
Unvergesslicher Moment: Melanie Raabe und das Feuerwerk
Eine Antwort auf die Frage, was für sie die absoluten Veranstaltungshighlights waren, müssen sowohl Elisabeth Röttsches als auch Verena Geiger schuldig bleiben. Und einig sind sie sich auch in der Feststellung, dass es nicht einen einzigen „schrecklichen Abend“ gegeben habe. „Alles war fantastisch“, sagt Geiger.
Einen unvergesslichen Moment kann die gebürtige Bottroperin allerdings sehr wohl benennen. Diesen gab es für sie 2020 bei einer Lesung von Melanie Raabe: „Da hat man diese zauberhafte und kluge Autorin, die gerade von einem Feuerwerk liest - und dann geht draußen eins hoch. Keiner wusste, warum.“
Bei aller Routine: „Ich hatte bis zum Schluss bei jeder Veranstaltung eine Grundanspannung“, sagt Röttsches. Es hätte ja immer etwas passieren können. Die Bahn mit dem Künstler kommt zu spät, das Mikrofon streikt, während des Klavierkonzerts kommt ein Auto auf den Hof gebrettert ... . Doch auch von regelmäßigen Glücksgefühlen kann sie berichten: „Wenn wir abends die Türen geöffnet haben und die ersten Besucher bereits vor der Tür standen - das war immer sehr schön.“
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Und welchen Gast hätten sie gerne mal an der Bebelstraße begrüßt? „Volker Weidermann. Er wäre ein großes Geschenk für unser Haus gewesen“, sagt Geiger über den Autor, Kulturredakteur und Ex-Moderator des „Literarischen Quartetts“ im ZDF. Es habe sich aber nie ergeben. Nach internationaler Literaturprominenz hätten sie dagegen nie die Fühler ausgestreckt: „Für einen T.C. Boyle braucht man schon einen 1000-Plätze-Saal.“ Da wäre die Alte Druckerei mit ihren maximal 120 Plätzen dann doch einige Nummern zu klein gewesen.
Corona stellte fürs Literaturhaus nicht nur durch den Ausfall des Programms eine Zäsur dar. Nach der Pandemie ging die Zahl der Lesungen zugunsten musikalischer Veranstaltungen zurück. Autorinnen und Autoren hätten sich nach Corona offenbar stärker aufs Schreiben und auf die „großen“ Termine konzentriert, so Röttsches.
Doch ob Musik oder Literatur: Die Resonanz sei bis zum Schluss sehr groß gewesen. Wenig überraschend: Frauen waren deutlich in der Mehrheit, so wie es Studien stets auch für den Buchhandel ermitteln. Und: Der Großteil des Publikums bestand aus Stammgästen. „Das war jedes Mal wie ein nach Hause kommen, eine Art Familientreffen“, so Geiger. Bis zum Schluss habe es aber immer auch neue Gesichter gegeben, ergänzt Röttsches.
Für Verena Geiger ist es nicht nur ein Abschied vom Literaturhaus, sondern auch vom Ruhrgebiet: Sie tritt zum 1. Januar 2024 eine Stelle im Lektorat des renommierten Rowohlt Verlags in Hamburg an.
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Elisabeth Röttsches hält sich derweil noch eine Hintertür offen: Sie denke darüber nach, sagt sie, hin und wieder kleinere Veranstaltungen im Literaturcafé der Buchhandlung durchzuführen. Und was wird aus der wunderschönen Alten Druckerei? Sie sei im Gespräch mit einem Mieter für die Räumlichkeiten, doch das sei (noch) nicht spruchreif.
Ein neues Kapitel Herner Kulturgeschichte dürfte in der ehemaligen Druckerei aber wohl nicht geschrieben werden: Nach WAZ-Informationen finden dort künftig keine kulturellen Veranstaltungen mehr statt.
Von A wie Ani bis Z wie Zirner
Ein (kleiner) Auszug aus der Liste der Gäste, die in der Alten Druckerei aufgetreten sind.
Friedrich Ani, Rafik Schami, Heinrich Steinfest, Max Goldt, Nina Hoger, Suzanne von Borsody, Robin Alexander, Werner Schneyder, Ariadne von Schirach, Takis Würger, Jan Weiler, Nobert Gstrein, Anne Gesthuysen, Jens Dirksen, Bodo Kirchhoff, Barbara Auer, Axel Hacke, Denis Scheck, Frank Goosen, Martin Brambach, Jan Costin Wagner, Till Raether, Jürgen Wiebecke, Tanja Kinkel, Wladimir Kaminer, Dietmar Bär, Deon Meyer, Ulla Meinecke, Meike Winnemuth, Franz Müntefering, Wiglaf Droste, Felix von Manteuffel, Leslie Malton, Michael Kleeberg und August Zirner.