Herne. Der Haushalt der Stadt Herne für 2022 steht. Steuern werden nicht erhöht. Welche Fraktionen zustimmten und welche ablehnten – ein Überblick.

Der Rat hat am Dienstag den Haushaltsplan der Stadt fürs Jahr 2022 beschlossen. Die wichtigste Botschaft: Bürgerinnen und Bürgern droht dank des Verkaufs von Anteilen der Herner Gesellschaft für Wohnungsbau (HGW) zumindest im kommenden Jahr keine Steuererhöhung. Bedrohlich klingt allerdings das Ausmaß der durch die Pandemie entstandenen Kosten, die „isoliert“ und in die Zukunft verlagert werden.

Auf rund 165 Millionen Euro bis zum Jahr 2025 bezifferte Kämmerer Hans Werner Klee die finanziellen Corona-Schäden für Herne, die dank eines von Bund und Land ermöglichten buchhalterischen Kniffs vorerst nicht beglichen werden müssen. Allein in diesem Jahr dürften es etwa 51 Millionen Euro sein, so Klee. Nicht aufgehoben, sondern nur auf 2023 verschoben worden sei – dank des aktuellen Verkaufs der HGW-Anteile an die Sparkasse (siehe Box) - die erneute Erhöhung der Grundsteuer B. Diese Abgabe betrifft Hauseigentümer, die zusätzliche Kosten allerdings an Mieter weitergeben können (und dies in der Regel auch tun).

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SPD, CDU, FDP und die AfD-Abspaltung WfH stimmte den Haushaltsplänen zu, von Grünen, Linken, AfD und Piraten gab es dagegen ein Nein. Die übliche Generaldebatte vor Verabschiedung des Haushalts sparte sich der vom engen Ratssaal in die größere Sporthalle am Gysenberg ausgewichene Rat mit Blick auf die Pandemielage: Auf Antrag der Linkspartei wurden die vorbereiteten Haushaltsreden nicht vorgetragen, sondern nur zu Protokoll gegeben. Die künftige Bundesregierung und die anstehende Landtagswahl spielen in den Beiträgen eine nicht unwesentliche Rolle. Zumindest in einem Punkt sind sich dabei alle Parteien mal wieder einig: Ohne Hilfe von Bund und Land wird Herne seine riesigen Haushaltsprobleme nicht lösen. Einige Schwerpunkte der von Ratsparteien der WAZ zur Verfügung gestellten Beiträge:

SPD

Hernes SPD-Fraktions-Chef Udo Sobieski lobt die Verwaltung.
Hernes SPD-Fraktions-Chef Udo Sobieski lobt die Verwaltung. © FUNKE Foto Services | Alexa Kuszlik

SPD-Fraktions-Chef Udo Sobieski schließt sich den Forderungen von Kämmerer Klee in Richtung Bund und Land an. Herne brauche eine 75-prozentige Übernahme der Kosten der Unterkunft und eine „auskömmliche Kita-Finanzierung“, so der Sozialdemokrat. Auch Kosten für Flüchtlinge und Zugewanderte dürften nicht bei den Kommunen abgeladen werden. Nur so könne eine Erhöhung kommunaler Steuern und Gebühren verhindert werden.

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Mittel- und langfristig werde die Stadt nur durch eine „schlüssige Altschuldenregelung“ die finanzielle Handlungsfähigkeit zurückgewinnen. Ob die ersten Weichenstellungen und Erklärungen der SPD-geführten Ampel zum Erfolg führen können/werden, lässt Sobieski offen.

Der Sozialdemokrat sieht auch Positives. So habe es die Verwaltung trotz der Versäumnisse in Bund und Land geschafft, einen ausgeglichen Haushalt aufzustellen. Viele wichtige Projekte seien weitergeführt worden. „Schulen und Kitas werden gebaut, neue Wohnquartiere und Arbeitsplätze entstehen, eine Quartiersmanagerin wurde in Horsthausen eingesetzt.“ Außerdem würden viele notwendige Stellen geschaffen, zum Beispiel in Kitas und bei der Feuerwehr. Richtig sei aber auch, dass es zahlreiche sinnvolle, aber zurzeit nicht zu erfüllende Wünsche gebe, betont Sobieski und nennt die Beispiele Umweltschutz, moderne Mobilität und das Sicherheitsgefühl.

CDU

CDU-Fraktions-Chef Timon Radicke setzt große Hoffnung in die aktuelle Landesregierung.
CDU-Fraktions-Chef Timon Radicke setzt große Hoffnung in die aktuelle Landesregierung. © FUNKE Foto Services | Alexa Kuszlik

Dass Herne stets einen genehmigungsfähigen Haushalt verabschiede, so CDU-Fraktions-Chef Timon Radicke, liege an der zielführenden Politik sowie an der Verwaltung, die Jahr für Jahr jeden Stein umdrehe. Andererseits sei dieser Umstand auf die üppigen Rücklagen zu verdanken, die Herne in den vergangenen Jahren bekommen habe und die nun dem Stärkungspakt zum Opfer gefallen seien. Radickes Prognose: Weder mit einem reinen Altschuldenschnitt noch mit einem Stärkungspakt sei Herne geholfen.

Einige der strukturellen Probleme seien „geerbt“ worden. Und: Der Kämmerer poche zurecht immer wieder in Richtung Bund und Land auf das Konnexitätsprinzip (frei übersetzt: Wer die Musik bestellt, bezahlt sie auch). Und zu all den Problemen sei auch noch die Corona-Krise gekommen, so Radicke, die Herne „mit voller Wucht“ getroffen habe.

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Der neue Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) habe deutlich gemacht, dass er das Auge auf die Finanzierung der Kommunen in NRW legen wolle. „Noch nie hat unsere Kommune von einer Landesregierung so profitiert wie unsere“, erklärt Radicke gut fünf Monate vor der Landtagswahl. Und es sei aller Ehren wert, wenn das Land sich „nun auch dem Altschuldenschnitt öffnet“.

Mit dem Reset-Knopf alleine sei es aber nicht getan: Herne müsse die Strukturen verbessern, Menschen in gute Arbeit bringen und eine gute Lebens- und Aufenthaltsqualität bieten. Es gebe durchaus Grund zu Optimismus, so Radicke unter Verweis u.a. auf die Realisierung der neuen Feuerwache, die Schulmodernisierungsgesellschaft und das Blumenthal-Gelände („ein Rohdiamant“).

Grüne

Dankt den Mitarbeitern der Stadtverwaltung: Grünen-Fraktionschef Thomas Reinke.
Dankt den Mitarbeitern der Stadtverwaltung: Grünen-Fraktionschef Thomas Reinke. © FUNKE Foto Services | Kerstin Buchwieser

„Wir sind praktisch überschuldet und insolvent“, erklärt Grünen-Fraktions-Chef Thomas Reinke. Um den Haushalt 2022 ausgeglichen zu gestalten, habe der Kämmerer mal wieder tief in die Kiste der Finanztricks greifen. Der Finanznot sei Herne damit aber weiterhin nicht entronnen, sondern Herne sei vielmehr auch künftig von Bund und Land abhängig.

Die neue Bundesregierung müsse mehr leisten als die alte. Diese haben einen Schuldenschnitt nicht durchführen wollen, dafür aber den Kommunen weitere Aufgabe zugeschoben. Er habe eine hohe Erwartungshaltung an die Ampel im Bund und auch an eine neue Landesregierung, so Reinke.

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Die Erwartungen der Grünen-Fraktion an den Herner Haushalt 2022 seien in entscheidenden Punkten nicht erfüllt worden, begründete Reinke die Ablehnung seiner Partei. Er verweist dabei auf die Finanzierung und Umsetzung von Projekten aus den Bereichen Bauen (Vödestraße), Klima (Europaplatz), Bildung (Quinoaschule) und Mobilität (Verteilung des Straßenraums).

Reinke dankt aber auch - wie die meisten seiner Kollegen - den Mitarbeitenden der Stadtverwaltung, die 2021 auch durch die Corona-Pandemie „stark belastet waren“ und häufig an ihre Grenzen oder auch darüber hinaus gegangen seien.

Linke

Klaudia Scholz (Linke) begründet für ihre Fraktion die Ablehnung des Herner Haushaltsplan 2022.
Klaudia Scholz (Linke) begründet für ihre Fraktion die Ablehnung des Herner Haushaltsplan 2022. © Funke Foto Services GmbH | Rainer Raffalski

Die Gründe für die Ablehnung des Haushalts durch die Linkspartei seien vielfältig, erklärte Ratsfrau Klaudia Scholz in Vertretung für Fraktions-Chefin Veronika Buszewski. Nicht alle seien haus- bzw. Herne-gemacht so die Linkspartei. Das entbinde die Große Koalition vor Ort nicht davon, die Stadt zukunftsfähig zu machen.

Ein Herner Grund für die Ablehnung des Haushalts sei die Personalpolitik. So sei der rechnerische Stellenzuwachs fast ausschließlich auf die Aufgabenübertragung durch Land und Bund zurückzuführen, betont Scholz. Dagegen seien viele Stellen in wichtigen Zukunftsfeldern wie Umwelt und Verkehrsplanung unbesetzt. Kritik übt die Linke auch an der Schulpolitik. Statt für eine beste Ausstattung für alle Schulen zu kämpfen, richte man für 17 Millionen Euro lieber eine Ersatzschule namens Quinoa ein.

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Stichwort Klimaschutz: Herne baue Ein- und Zweifamilienhäuser auf Frei- und Grünflächen, was wenig umweltverträglich sei. Klimakonzepte, Klimanotstand, Klimastandards - „alles schöne Worte, die aber wenig bis gar nicht in die Praxis umgesetzt würden“, erklärt Scholz. Hinzu komme ein arroganter und zynischer Umgang mit dem Willen der Bürgerinnen und Bürger. Und auch bei der Kultur, beim Sport, der Digitalisierung und in weiteren Bereichen sieht die Linken-Fraktion zahlreiche Versäumnisse und/oder falsche Weichenstellungen.

FDP

Thomas Bloch (FDP) fordert von Bund und Land eine Erstattung der Herner Corona-Kosten.
Thomas Bloch (FDP) fordert von Bund und Land eine Erstattung der Herner Corona-Kosten. © FUNKE Foto Services | Uwe Möller

Thomas Bloch (FDP) beklagt, dass von einer Lösung der Altschuldenproblematik seitens des Landes aktuell keine Rede mehr sei. „Die historische Chance“ für Land und Bund, einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung gleichwertiger Lebensverhältnisse zu erzielen, sei vertan worden. In Herne sei in den vergangenen Jahren gespart worden, „bis es quietscht“. Trotzdem sei es gelungen, zukunftsträchtige Investitionen zu tätigen und wichtige Projekte anzustoßen.

Negative Entwicklungen machten eindringlicher als je zuvor deutlich, „dass wir Hilfe von außen benötigen“. Seine Hoffnung setze er auf die neue Bundesregierung aus SPD, Grünen FDP, so Bloch. An die erstmals in einem Koalitionsvertrag verschriftlichen (Absichts-)Erklärung zur Lösung des Altschuldenproblems werde sich die Ampel messen lassen müssen. Ihm fehle allerdings im Koalitionsvertrag ein klares Bekenntnis zur Einhaltung des Konnexitätsprinzips. Hierzu habe er sich mehr Klarheit im „Kleingedruckten“ gewünscht.

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Zur Pandemie: Er erwarte eine echte Erstattung der Krisenkosten durch Land und Bund und nicht nur „bilanzielle Isolationsmöglichkeiten“, fordert der FDP-Ratsherr.

Piraten

Lars Wind (Piraten) fordert mehr Widerstand gegen die Fesseln von Bund und Land.
Lars Wind (Piraten) fordert mehr Widerstand gegen die Fesseln von Bund und Land. © Piratenpartei

Die Haushaltslage der Stadt sei auch wegen der Pandemie „noch immer mehr bedrohlich“, so der Piraten-Stadtverordnete Lars Wind. Das könne nicht mehr lange gutgehen: „Unsere Stadt ist hoffnungslos überschuldet.“ Das Herner „Tafelsilber“ sei größtenteils bereits verscherbelt worden. Nun folge durch den Verkauf der HGW-Anteile an die Sparkasse wohl der letzte Akt, mit dem neuerliche Steuererhöhungen für Bürgerinnen und Bürger verhindert würden. Er sei froh über diese „gute Idee, doch war sie auch die einzige?“

Die ab 2023 zu erwartende Erhöhung der Grundsteuer B treffe die Bevölkerung - hochgerechnet aufs Jahr - empfindlich. In der aktuellen Situation könne er diesem Vorschlag und damit auch dem Haushalt nicht zustimmen. „Wollen wir wirklich in diesem Stil so weitermachen? Immer weitere Schulden aufnehmen und unsere zukünftigen Generationen immer weiter belasten?“, fragt der Einzelkämpfer der Piraten im Rat. Politik und Stadt bräuchten auch mal den Mut zu sagen, „dass es so nicht mehr weitergeht.“ Notwendig sei eine verbindliche Altschuldenlösung - „daran müssen sich die neuen Regierungsparteien in Berlin messen lassen.“

>>> Rat beschließt Verkauf von HGW-Anteilen

Der Verkauf der Anteile der Stadttochter HGW an die Herner Sparkasse ist nach WAZ-Informationen in nicht öffentlicher Sitzung des Rates erfolgt.

Im öffentlichen Teil der Sitzung kritisierte Thomas Reinke (Grüne) die Umstände des Verkaufs. Dieser sei zwar für beide Seiten strategisch eine gute Entscheidung. Dass die HGW aber neun Millionen Euro zur Haushaltsrettung an die Stadtkasse überweisen müsse und nicht in energetische Sanierungen und Renovierungen investieren könne, sei nicht gut.