Gladbeck. Da Land NRW treibt die Pläne für eine große Flüchtlingsunterkunft in Gladbeck voran. Vor Ort protestieren Stadt und Politik. Eine Analyse.
Die Sommerpause ist vorüber, und prompt nimmt der Streit um die Unterbringung von Flüchtlingen im Hotel Van der Valk im Wittringer Wald wieder Fahrt auf. Die Bezirksregierung hat angekündigt, dass die Gespräche fortgesetzt würden – „mit allen Beteiligten“, wie Sprecher Ulrich Tückmantel im Gespräch mit der Lokalredaktion betonte.
Heißt aber: Auch nach der Ratssitzung und der Resolution der Gladbecker Politik, die das Land aufgefordert hat, den Standort Wittringen aufzugeben, hält man bei Land und Bezirksregierung daran fest. Wer in der Ratssitzung den Worten von Regierungspräsident Andreas Bothe und Staatssekretär Lorenz Bahr aus dem Ministerium für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration aufmerksam zugehört hatte, der konnte sich schon da vorstellen, dass die Planungen nicht so einfach eingestellt werden würden.
Im Gladbecker Rat hat das Land deutlich gemacht, unter welchem Druck man stehe
Bereits im Juni hatten die beiden Vertreter des Landes deutlich gemacht, unter welchem Druck Landes- und Bezirksregierung stehen. Sie müssen zusätzlichen Platz für Flüchtlingen ausweisen. „Im Regierungsbezirk Münster reden wir dauerhaft von 2000 neuen Plätzen, die in Zentralen Unterbringungseinrichtungen nötig sind“, sagt Ulrich Tückmantel. Bei der Bezirksregierung sieht man deshalb noch viel Gesprächsbedarf auf allen Ebenen und spricht von einer „kommunikativen Herausforderung“.
Das zeigt sich schon an der Reaktion der Stadt auf einen Brief der Verantwortlichen von Land und Bezirksregierung, in dem sie mitgeteilt haben, dass die Verhandlungen fortgesetzt werden. Bei der Stadt hat das Ärger ausgelöst. Öffentlich lässt sich Bürgermeisterin Bettina Weist so zitieren: „Es wurden uns Gespräche auf Augenhöhe versprochen, die bisher nicht stattgefunden haben. Die Antwort des Staatssekretärs überrascht und enttäuscht mich sehr.“ Aus Sicht der Stadt würden nun vom Land gegen die Interessen der Stadt Fakten geschaffen.
Städte und Gemeinden im Land fordern Unterstützung aus Düsseldorf und Berlin
Dem widerspricht man in Münster. Es habe vor der Sommerpause ein Gespräch gegeben, wonach man sich vertagt habe. Und man werde die Stadt mit an den Tisch nehmen in den Punkten, wo sie mitreden könne – wenn es um die Ausgestaltung der Unterkunft geht. Nur betreffe das eben selbstverständlich nicht die Vertragsverhandlungen.
Zur Wahrheit gehört: Es sind auch die Kommunen und deren Spitzenverbände, die das Land auffordern, Kapazitäten für die Unterbringung bereitzustellen. So sollen die Städte und Gemeinden entlastet werden. Das erklärte im Mai der Präsident des Städte- und Gemeindebunds in NRW, Eckhard Ruthemeyer: „Bund und Land müssen deutlich mehr mit anpacken. Seit einem Jahr betteln die Städte und Gemeinden um Entlastung, aber passiert ist nicht annähernd genug. Der Aufbau von weiteren Aufnahmekapazitäten kommt nicht voran. Selbst in einem halben Jahr hat es das Land nicht geschafft, das eigene, sehr bescheidene Ziel von 34.500 Plätzen zu erreichen. Erforderlich sind aus unserer Sicht 70.000 bis 80.000 Plätze. Auffangen müssen das die Städte und Gemeinden.“
Gladbecker kritisieren insbesondere die Wahl des Standortes
Die Kritik in Gladbeck entzündet sich vor allem an der Wahl des Standortes. Das Hotel in Wittringen liegt zu weit außerhalb, es gebe keine Verbindung mit dem Bus in die Stadt. Hinzu kommt aus Sicht der lokalen Kritiker – und dazu gehören auch Flüchtlingshilfe und Integrationsrat – dass eine Unterbringung von bis zu 620 Menschen an einer Stelle zu Problemen führen wird. Ebenfalls eine Sorge: Das Naherholungsgebiet könne leiden.
Eine Sorge, die man bei der Bezirksregierung so nicht teilt. Dort hält man das Hotel für gut geeignet. Es lasse sich entsprechend umbauen und biete Möglichkeiten, auch Frauen und Kinder sowie allein reisende Männer zu trennen. Dort lasse sich auch ein gutes, strukturierendes Tagesangebot schaffen, was Voraussetzung dafür sei, dass es in Einrichtungen ruhig bleibt.
Standard in den ZUE ist gesetzlich geregelt
Dafür sei das Van der Valk wesentlich besser geeignet als etwa das ehemalige Kreisgesundheitsamt in Marl, in dem die Bezirksregierung schon jetzt eine ZUE betreibt. Weitere ZUE gibt es in Ibbenbüren und Münster. Der Betrieb dort laufe weitestgehend reibungslos, wiederholt Tückmantel die Beteuerungen aus der Ratssitzung.
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Kritik an angeblich „menschenunwürdiger Unterbringung“ weist er zurück. „Der Standard der Unterbringung in den ZUE in NRW ist gesetzlich geregelt.“ Es muss das gewaltschutzkonzept des Landes umgesetzt werden, und auch ein „schulnahes Angebot“ für Kinder und Jugendliche gehört dazu. Dafür braucht es allerdings das entsprechende Personal. Das zu finden, ist nicht immer einfach. In den Unterkünften in Münster und Ibbenbüren sei es kein Problem, Lehrkräfte zu finden, sagt Ulrich Tückmantel, räumt aber ein, dass sich die Situation in Marl anders darstellt, es dort bisher an den Kräften mangelt.
Land und Bezirksregierung: Mit ZUE geht auch Entlastung der Stadt einher
Wie es in Gladbeck aussähe, vermag niemand zu sagen. Nur bemühe man sich derzeit, in Marl möglichst keine Familien mit Kindern unterzubringen, berichtet Tückmantel von entsprechenden Gesprächen mit der Bezirksregierung Arnsberg, die für die Verteilung der Flüchtlinge in ganz NRW zuständig ist. Grundsätzlich würden die Kinder – Familien bleiben maximal sechs Monate in so einer Unterkunft – hier auf das System Schule vorbereitet.
Überhaupt: Aus Sicht der Verantwortlichen im Land geht mit der ZUE auch eine Entlastung der Stadt einher. So besuchen die Kinder und Jugendlichen keine Schulen oder Kitas in der Stadt. Hinzu kommt: Gladbeck muss keine weiteren Flüchtlinge auf eigene Kosten aufnehmen, spart auf Sicht so Hunderttausende Euros. Argumente, die ganz zu Anfang auch von der Stadtverwaltung zu hören waren. Sozialdezernent Rainer Weichelt etwa sprach im März bei Bekanntwerden der Pläne noch von einer „spürbaren Entlastung“.
CDU-Gladbeck schreibt Protestbrief an Ministerpräsident Hendrik Wüst
Aus der Politik und der Stadtgesellschaft entwickelte sich dann aber der Widerstand, der in der Resolution gegen die Landespläne gipfelte. Dass sie nun dennoch weiter verfolgt werden, sorgt für Entrüstung. Die Gladbecker CDU – sie hat sich früh gegen die ZUE ausgesprochen – hat deshalb nun einen Brief an ihren Parteifreund, Ministerpräsident Hendrik Wüst, geschrieben. Darin schildert sie ihre Sicht auf die Situation vor Ort und die Sorgen.
Dass die Verhandlungen nun ohne die Stadt weiter geführt werden, enttäuscht die CDU vor Ort: „Das in öffentlicher Sitzung angekündigte Gesprächsangebot der Landesregierung hatte offensichtlich nur den Zweck, die Situation im Juni zu beruhigen. So schafft man aber kein Vertrauen bei den Bürgerinnen und Bürgern in Gladbeck.“ Die Gladbecker CDU fordert Wüst auf, seinen Einfluss zu nutzen, das Gladbecker Projekt zu stoppen. Sie lädt ihn nach Gladbeck ein, das Land müsse mit den Menschen reden, nicht erst nachdem der Vertrag unterschrieben ist. „Es muss auch über alternative Standorte und über die Größenordnung einer ZUE gesprochen werden“, so die CDU vor Ort.
Lautstarke und populistische Kritik kommt von der AfD in Gladbeck
Aus ihrer Sicht brauche es Zentrale Unterbringungseinrichtungen, nur könne über deren Einrichtung nicht über den Kopf der Bürgerinnen und Bürger entschieden werden. Nur: wer sich im Land umschaut, der wird sehen, dass es überall Proteste gibt. In Arnsberg sind die Pläne für eine ZUE zuletzt spektakulär geplatzt. Der Eigentümer der Immobilie zog öffentlich sein Angebot zurück. Sicher ein Sonderfall, da er auch in der Stadt lebt, für Gladbeck schwer vorstellbar, dass Van der Valk einen Rückzieher macht. Das Unternehmen hat sich in der gesamten Debatte noch nicht geäußert, hat allerdings schon in anderen Hotels der Kette Flüchtlinge untergebracht.
Besonders laute und populistische Kritik kommt aus Reihen der AfD. Fraktionschef Marco Gräber beurteilt das Vorgehen der Bezirksregierung als „symbolische Ohrfeige“ für die Stadt Gladbeck. Die Ratsfraktion hat aktuell einen Brief an die Bezirksregierung gesandt. Inhaltlich fordert sie dort eine Informationsveranstaltung für die Gladbecker. Der Tonfall des Schreibens spricht jedoch für sich. So beginnt der Brief unter anderem mit der Anrede „Sehr geehrte Damen und Herren ,Steuergeld-Vernichter’“.
Für die Unterbringung von Flüchtlingen sind Umbauten des Hotels nötig
Populistisch spricht Marcus Schützek, stellvertretender AfD-Fraktionsvorsitzender im Rat, in dem Schreiben weiterhin von einem „4-Sterne-Hotel“, dabei gibt es für das Haus keine Sterne-Wertung. Der Bildblog hat sich – nachdem auch die Bild-Zeitung diese AfD-Formulierung aufgegriffen hatte – die Mühe gemacht, die Bewertungen durch Gäste für das Haus zu prüfen. Auch die legten nahe, dass es kein Luxushotel ist.
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Und selbst wenn: Für die Unterbringung von Flüchtlingen sind Umbauten nötig. Die Menschen werden in Mehrbettzimmern mit Stockbetten untergebracht werden. Spätestens das ist dann eher nicht mehr Sterne-Standard. Grundsätzlich bleibt die Bezirksregierung bei ihrer Zusage, die Bürger transparent zu informieren. Das sei jedoch erst möglich, wenn man überhaupt wisse, worüber. Stand jetzt stehen noch die Verhandlungen mit Van der Valk an.
Angedachter Zeitplan ist nicht mehr einzuhalten
Parallel bereitet Münster Ausschreibungen – unter anderem für Betreiber und Sicherheitsdienst – vor. Dann muss das Haus umgebaut werden, dazu braucht es eine Baugenehmigung. Anders als von der AfD behauptet, ist das kein Hebel, um das Projekt zu stoppen. Denn wie jeder private Bauherr, hat auch das Land ein Anrecht auf die Genehmigung, so alle rechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Und bei der Stadt geht man davon aus, dass eine Behörde einen genehmigungsfähigen Antrag einreichen wird.
Bleibt der Zeitplan: Ursprünglich sollte die Einrichtung Ende des dritten Quartals schon an den Start gehen. Das, so die Einschätzung der Bezirksregierung, sei nun wohl nicht mehr machbar.