Gladbeck. Brigitte Schult stellt „High-Spirit Baum-Essenzen“ her. Ohne Bäume. Wie der Geist in die Flasche kommt – und wie die Behandlung bei ihr abläuft.
Brigitte Schult empfängt ihre Klienten am Krusenkamp im Gladbecker Gewerbegebiet. Ihre Wohnung liegt gleich über den Räumlichkeiten ihres sogenannten Gesundheitszentrums. Daraus blickt man auf weiß verkleidete Gewerbeeinheiten. Hier waren früher die Lederwaren-Firma Knecht und die Brotfabrik Proffe angesiedelt, Unternehmen, bei denen Brigitte Schults Eltern einst federführend waren.
„Hätte mir einer gesagt, dass ich in 40 Jahren so arbeiten werde … Hör mal, da ist die Tür“, hätte sie dem gesagt. Für den Spross einer Gladbecker Unternehmerfamilie wäre sicher ein Posten im Familienbetrieb frei gewesen. Doch es kam ganz anders.
Chakren, Seelenwanderung, Baumenergien: „Ich glaube alles, was wahr ist“
In den 90er Jahren begann Schult eine einjährige Ausbildung zur Gesundheitsberaterin bei der Akademie Gesundes Leben. In der stiftungsgetragenen Bildungsstätte im hessischen Oberursel werden auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Reformhäuser ausgebildet. Seit 1996 praktiziert Schult nun in Gladbeck. Sie leitet das Gesundheits-Zentrum GG, Kurzform für „Ganzheitliche Gesundheit“. Ihr Beruf, besser ihre Berufung: Heilerin. Spezialgebiet: Baum-Essenzen.
Von ihrem Elternhaus prädestinierte sie vielleicht nur eines zu ihrem Lebensweg. „Ich wurde erzkatholisch erzogen“, sagt Brigitte Schult. Und obwohl die 66-jährige längst aus der Kirche ausgetreten ist, spielt Glaube weiter eine große Rolle in ihrem Leben. Nur folgt der nicht der einen Lehre: „Ich glaube alles, was wahr ist“, so bringt es die herzliche, neugierig-zugetane Frau mit den offenen, grauen Haaren auf den Punkt. Dazu zählen: Der Christengott, Seelenwanderungen, Chakren, vergessene Hausmittel und noch manches mehr. Wenn die Gesundheitsberaterin von ihrer Arbeit spricht, schafft sie es, das alles wie selbstverständlich miteinander zu verweben.
Wie sie zur Alternativmedizin gekommen ist? Brigitte Schult erzählt von einem schweren Verkehrsunfall, den sie mit zwölf erlitt. Danach sei es zu ernsten Komplikationen gekommen. Ihr Arzt habe trotz Beschwerden nichts feststellen können. Ihr Opa fuhr sie daraufhin zu einem Homöopathen. Der habe schnell eine Entzündung im Körper festgestellt, habe sie aber nicht lokalisieren können. Zurück bei den Schulmedizinern wurde dann klar: Der Kiefer des Mädchens war vereitert. Also doch. Und wer hat’s gefunden? Der Alternativmediziner. Das ist nicht die Konversionsgeschichte der Brigitte Schult, die später auch mal Filialleiterin bei Bertelsmann gewesen ist. Aber doch ein wichtiges Kapitel.
Baum-Essenzen ohne Baum: „Du willst doch nicht morden“
Nun zu den Baum-Essenzen aus Gladbecker Eigenproduktion: Was ist dran und vor allem: drin? „Wasser, Alkohol und Information“, sagt Schult. Frühere Baum-Essenzen seien „spagirisch“ (alchimistisch) hergestellt worden, aus der Asche verbrannter Bäume. „Du willst doch nicht morden“, habe sie sich da gedacht. Ihre Essenzen kommen deswegen ganz ohne Substanz aus.
Die Herstellung ist simpel: „Ich gehe hin, verbinde mich über die Essenzen mit der Information der Pflanze, dessen Essenz ich machen möchte“. Über „die Chakren“ gelang dann die Information in die Trägersubstanz: Wasser und Alkohol. Dann wird das Fläschchen versiegelt, „damit die Information erst bei der Öffnung zugänglich wird“. Fehlt noch das Etikett mit dem Hinweis: „Die Wirkung ist wissenschaftlich nicht erwiesen.“ Fertig ist die „High Spirit Baum-Essenz“ zum Preis von 27,50 Euro.
Alternativmedizin in Deutschland
Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) kündigte im Januar an, Krankenkassen künftig die Übernahme von Kosten für homöopathische Mittel zu untersagen, weil deren Wirkung wissenschaftlich nicht belegt ist.
Die Homöopathie wird zur Alternativmedizin gerechnet. Darunter werden Behandlungsmethoden und diagnostische Verfahren zusammengefasst, die sich als Alternative zur Schulmedizin verstehen. Weil die an Universitäten gelehrte Medizin evidenzbasiert arbeitet, ist Alternativmedizin schon per Definition wissenschaftlich unhaltbar.
In der Bevölkerung ist das Vertrauen in Alternativmedizin dagegen durchaus verbreitet. Einer Statista-Umfrage von 2020 zufolge gaben acht Prozent der Befragten an, im letzten Jahr einen Alternativmediziner aufgesucht zu haben. Bei einer Allensbach-Umfrage vom März 2023 gaben 60 Prozent der Befragten an, schon einmal homöopathische Mittel genommen zu haben. Rund drei Viertel der Befragten halten Globuli und Co. für mindestens teilweise wirksam.
„Nehmen sie die mal in die Hand, spüren sie mal“
Der Name ist Programm. Fabrikation und Wirkung liefen schließlich „über den Geist, nicht die Materie“, erklärt Silka Henneberg, eine von Schults Mitarbeiterinnen. Die 61-Jährige aus Ennepetal arbeitet seit 2017 beim Gesundheitszentrum. Die ausgebildete Heilpraktikerin für Psychotherapie und Yogalehrerin war „auf der Suche nach tieferem Sinn“, so sei sie auf Schults Seminarangebote aufmerksam geworden. Darin ging es um Baum-Essenzen. Schult entschied sich spontan für die Eichenessenz. „Nehmen sie die mal in die Hand, spüren sie mal“, habe Brigitte Schult seinerzeit gesagt. Henneberg spürte, glaubte und fing selbst an zu praktizieren.
Und wie läuft so eine Behandlung mit Baum-Essenzen genau ab? Am Anfang, sagt Henneberg, stehe immer ein individuelles Gespräch. Die Kurzberatung à 20 bis 30 Minuten kostet bei Frau Henneberg 39 Euro. Ihre Chefin nimmt 119 Euro die Stunde, ungefähr so viel, wie für Selbstzahler beim Psychotherapeuten fällig werden. Die meisten Klienten kämen mit einem Termin aus.
Ein kompliziertes, von Frau Schult erdachtes Zahlensystem kommt außerdem bei der Behandlung zum Einsatz. Die Elemente, Körperregionen und Organe spielen eine Rolle dabei. Nennt der Klient spontan eine Zahl, leitet sich für Frau Schult daraus unter andrem eine Körperregion ab, ein Hinweis darauf etwa, wo ein Leiden zu lokalisieren ist.
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Erzählt ihre Mitarbeiterin Henneberg vom Behandlungsablauf, spricht ganz die Psychotherapeutin. „Wie ist das Lebensumfeld, wie ist die Geschichte?“, seien wichtige Fragen. Henneberg sagt, „schon daran, wie der Mensch spricht, offenbart sich, was nicht in Ordnung ist“. Je nach Problemlage könne Sie dann zu einer der 22 Baum-Essenzen raten. Mit dazu gibt es immer ein Kärtchen mit einem sogenannten Affirmationssatz, für die Eiche zum Beispiel: „Regeneriert und geläutert und mit neuen Kräften nehme ich mein Leben selbst in die Hand.“
Der ihm innewohnende Geist schütz den Baum nicht vor den Effekten des Klimawandels
Die Beschwerden, mit denen die Klienten sie aufsuchten, seien oft psychischer Natur. „Ich komme aus dem Hamsterrad nicht heraus“, so etwas höre sie oft. Sehr viele kämen auch mit Beziehungsproblemen. Einige wollten einfach „ein Stückchen weiter kommen im Leben“, anderen sei ein Lebensziel verloren gegangen. Gibt es eine dominierende Altersklasse? „Es sollte keine Altersklasse geben, aber es sind eher die mittleren und oberen Altersgruppen“, sagt Henneberg. Prinzipiell könne aber jede und jeder behandelt werden – selbst Haustiere. Bei niedrigerer Dosierung.
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Die Baum-Essenzen würden zwar auch bei körperliche Beschwerden helfen, wenn bei einem Klienten aber eine Operation angesetzt sei, dann solle die selbstverständlich auch gemacht werden. Bei Verdachtsfällen schicke man Klienten auch schon mal selber zum Arzt, versichern beide Gesundheitsberaterinnen.
Nicht weit entfernt vom Gesundheitszentrum haben jüngst 80 mittlerweile gefällte Bäume Furore gemacht. Wir berichteten. Was sagt die Frau dazu, die für sich in Anspruch nimmt, Energieflüsse von Bäumen anzuzapfen? „Ich war beim Bürgertreff selbst dabei“, sagt die Gladbeckerin Schult. Ihr hätte die Argumentation der Fachleute vom Zentralen Betriebshof Gladbeck (ZBG) letztlich eingeleuchtet. Der Klimawandel? Für Schult eine nicht zu bestreitende Tatsache. So wie Chakren.
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