Gladbeck. Ein Haus, Motorräder und „ein Haufen Zeug“: Nicole Wenderoth und Roland Schlag haben sich radikal verkleinert. Jetzt gehen sie auf große Reise.
Mila reist als Erstes. Vom Hamburger Hafen geht die erste Reiseetappe am 19. März einmal über den großen Teich nach Halifax an der Ostküste Kanadas. Dort wird sie dann im April von den Gladbeckern Roland Schlag und Nicole Wenderoth abgeholt. Auf den Namen Mila haben die beiden nämlich ihren ausgebauten Camper getauft: Ein drei Jahre alter, dunkelgrauer Ford-Bulli mit Allradantrieb und Offroad-Reifen. Höher gelegt und mit extra Unterbodenschutz versehen wurde der Wagen auch noch. „Wir stehen gerne dort, wo andere nicht stehen“, erklärt Roland Schlag mit einem Augenzwinkern. Mila sollte deswegen schon etwas wegstecken können.
Mindestens 25.000 Kilometer misst die legendäre Panamericana, die das eisige Alaska auf der Nord- mit dem ebenfalls kühlen Feuerland auf der Südhalbkugel verbindet. Sie einmal komplett abzufahren, das hat sich das Gladbecker Paar vorgenommen. Mindestens zwei Jahre werden sie dafür unterwegs sein. Mit Stationen in Alaska, Kalifornien, Mexiko, Kolumbien und Chile – um nur einige zu nennen. Entschieden haben sich die beiden zu diesem großen Schritt erst vor wenigen Monaten.
Aus dem Eigenheim sind noch 30 Kartons und ein Schrank geblieben
Da hatten die Gladbecker ihr Einfamilienhaus in der Papageiensiedlung schon verkauft. Nicht, um auf große Reise zu gehen, sondern einfach um sich zu verkleinern: „Es waren alle drei Kinder aus dem Haus und plötzlich war so viel Platz frei“, erklärt Nicole Wenderoth. Ihren Partner Roland Schlag musste sie nicht lange überzeugen, sich von „unnötigem Luxus“ zu befreien. Gesagt, getan. Und so feierten die bislang in der Arbeit mit behinderten Menschen tätigen Gladbecker schließlich eine große Abschiedsfeier im Garten. „Das war super schön“, erinnert sich Wenderoth. Mit der Nachbarin Bettina Weist war sogar Gladbecker Prominenz zugegen.
Mehrere Motorräder nannte Roland Schlag als leidenschaftlicher Schrauber sein Eigen. Überhaupt habe sich „ein Haufen Zeug“ über die Jahre im Haus angehäuft. Braucht man das wirklich alles? Nein, beschied das Paar und machte zur Lebensmitte ordentlich Kehraus: 30 Umzugskartons und ein Schrank in einem Zwischenlager sind ihnen nach dem Umzug in die kleine Wohnung im Dachgeschoss eines Rentforter Mehrfamilienhauses noch geblieben. Vieles haben sie verschenkt, manches verkauft. Was jetzt noch übrig ist: Erinnerungsstücke, Unterlagen, Dinge, die man nicht weggibt.
„Ob ich da 27 oder 30 Jahre arbeite, macht keinen Unterschied“
Mittlerweile haben Schlag und Wenderoth auch ihre Jobs gekündigt. „Ob ich da 27 oder 30 Jahre arbeite, macht keinen Unterschied“, sagt Roland Schlag über seine lange Berufskarriere als Gruppenleiter bei einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung. „Nur malochen, malochen, malochen“, das könne es ja auch nicht sein. Alle sagten immer: Die Welt bereisen, das mache ich, wenn ich in Rente gehe. „Ich will doch mit 65 nicht mehr im Auto schlafen“, findet Schlag. „Wenn es irgendwie geht, sollte man sich seine Träume erfüllen“, sagt seine Partnerin.
Einen hat sie sich schon erfüllt: Mit Schildkröten in Costa Rica tauchen. Jetzt, bei ihrem zweiten Aufenthalt, will sie selbst mit anpacken und als Freiwillige mehrere Monate in einer Auffangstation für Meeresschildkröten mitarbeiten. Dafür gibt es an dem Ort, an dem die gefährdeten Meeresbewohner ihre Eier legen, freie Kost und Logis.
Es ist eine von vielen Anlaufstellen und Kontakten, die sie und Roland Schlag im Vorhinein bereits auf dem Schirm haben. Sorgen über die angespannte Sicherheitslage etwa in Kolumbien machen sie sich weniger. Man habe sie auch schon vor einem Trip nach Albanien vor Verbrechern und Betrügern gewarnt; angetroffen hätten sie in dem Land, das gerade seinen Beitritt zur EU verhandelt, dann nur äußerst gastfreundliche und herzliche Menschen. Die Türen zu ihrem Gefährt haben sie trotzdem noch einmal mit Sicherheitsschlössern versehen.
„Man merkt, dass es ganz schnell zu Ende sein kann“
Roland Schlag hat ein schwieriges Jahr hinter sich. Nach einer Bein-OP, die ihn mehrere Monate in den Rollstuhl zwang, kam es zu gefährlichen Komplikationen. Roland Schlag war gerade zu Hause, konnte plötzlich nicht mehr atmen. Seine Partnerin rief den Notarzt. Lungenembolie als Folge einer Thrombose lautete später die Diagnose. „Man merkt, dass es ganz schnell zu Ende sein kann“, erinnert sich Schlag. Ein Einschnitt.
Und so verkleinerten sich Wenderoth und Schlag noch einmal: von der kleinen Wohnung auf wenige Quadratmeter mit Behelfsdusche und Gaskocher. Seither laufen die Vorbereitungen. Was vor dem Flug nach Halifax am 10. April noch erledigt werden muss: Den Verwandten und Freunden Tschüss sagen, letzte Unterlagen einreichen, Nachmieter finden.
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Angekommen in Kanada wird sich das Leben der Gladbecker gehörig ändern: Schlafplatz finden, Batterie aufladen, Wassertank füllen. „Fünf Tage sind wir dank Solarbatterie autark“, sagt Schlag. Dann müsse das Fahrzeug wieder bewegt werden, oder an die Steckdose. „Wir werden allerdings nicht viele Campingplätze sehen“, sagt Schlag. „Sonst lernt man die Menschen gar nicht kennen“, sagt Wenderoth. Hinterm Steuer werden beide abwechselnd sitzen.
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Und in circa zwei Jahren, wie soll es dann weitergehen? Zurück nach Gladbeck? „Das wissen wir noch nicht. Ich will auf der Reise herausfinden, was ich danach machen will“, sagt Nicole Wenderoth. So ein Trip werde ja wahrscheinlich einiges mit einem machen, gibt die 48-Jährige zu bedenken. Die drei erwachsenen Kinder müssten sich jedenfalls keine Sorgen machen, später ohne Erbe dazustehen; wer so reist, wie die beiden Gladbecker, hat überschaubare Reisekosten. „Es sei denn, wir kaufen am Ende ein Haus in Chile und bleiben da“, wirft Roland Schlag lachend ein. Nur ein Scherz. Oder vielleicht doch nicht? Wer genauer wissen will, wo die Reise hingeht, kann den beiden Weltenbummlern künftig unter dem Namen „milaontour4x4“ bei Facebook und Instagram folgen.
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