Gladbeck. Kundgebung gegen Rechtsextremismus in Gladbeck beeindruckt. Eindringliche Worte und berührende Momente packen die Menschen.
Jung und Alt, Groß und Klein, Menschen mit Kopftuch oder Pudelmütze, Schüler, Senioren – eine bunte Mischung aus der Gladbecker Bürgerschaft versammelte sich am Samstag auf dem Willy-Brandt-Platz vor dem Rathaus, um gegen Rechtsextremismus und für Zusammenhalt einzutreten. Laut Polizei gut 1000 Menschen – und damit deutlich mehr als erwartet und angemeldet – waren trotz der eisigen Kälte gekommen, dick eingemummelt und viele mit selbst gebastelten Plakaten. Eine friedlich-heitere Stimmung herrschte unter dem strahlend blauen Himmel in Gladbeck, trotz des ernsten Themas.
Demonstration gegen Rechts
Carsten Aring hat sich zusammen mit Tochter Anna und Sohn Ben auf den Weg zum Willy-Brandt-Platz gemacht. Für sie ist’s die erste Kundgebung, an der sie teilnehmen. „Wir wollen nicht, dass Deutschland von der AfD regiert wird“, sagt Anna. „Nee zur AfD, denn keiner braucht Nazis in der Politik“, steht auf dem Plakat, das Ben selbst geschrieben hat. In der Schule, erzählt der Pennäler, sei der aufkeimende Rechtsextremismus leider kein Thema. Schon seit zwei Jahren habe er mangels Lehrpersonal keinen Politikunterricht mehr.
Umso mehr kann er an diesem Vormittag in Sachen Politik lernen. „Heute, an dieser Stelle auf dem Willy-Brandt-Platz, praktizieren wir Demokratie“, ruft Prof. Karsten Rudolph von der Ruhr-Universität Bochum, den die Stadt Gladbeck als Redner eingeladen hat, den Menschen auf der Kundgebung zu. Interesse und Teilhabe am demokratischen Prozess würden die Demokratie garantieren und verbessern. Demokratie verwahrlose, wenn man sie nicht pflege. Und dazu gehöre es, wählen zu gehen, andere zum Urnengang zu animieren, sich selbst zu engagieren und den Volksvertretern in einer „wohlwollenden Art und Weise“ zu begegnen. Das heiße aber nicht, dass man sie nicht kritisieren dürfe. Kritik gehöre zur Demokratie.
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Bürgermeisterin Bettina Weist, sichtlich überrascht und glücklich über den großen Zuspruch, sagt, dass es an der Zeit sei, „unsere Demokratie zu verteidigen, wehrhaft und wachsam zu sein“. Sie zitiert aus der Facebook-Seite der AfD Gladbeck. „Wir holen uns unser Land zurück“ stehe dort, von „millionenfacher Remigration“ sei die Rede. Es werde süffisant eine gute Reise gewünscht. Weist: „Das dürfen wir so nicht stehen lassen. Es darf nicht unwidersprochen, nicht unkommentiert bleiben.“ Die Gesellschaft müsse der menschenverachtenden Politik der Rechtsextremisten entschieden entgegentreten.
Teilnehmerin in Gladbeck hält Protest für „längst überfällig“
Zu den Besucherinnen und Besuchern auf dem Willy-Brandt-Platz gehört auch Denise Dreischenkemper. Sie ist zusammen mit ihrer Schwester und einer Freundin da. Nach der Lektüre des Correctiv-Beitrags – das Recherchezentrum hat das Geheimtreffen von Rechtsextremen und die Pläne einer millionenfachen Deportation von Menschen mit ausländischen Wurzeln öffentlich gemacht – sei ihnen klar geworden, dass sie auch auf die Straße gehen müssen. Von einer solchen Abschiebung, wie von den Rechten geplant, wären ja auch Freunde und Mitschüler betroffen. Diese Kundgebung sei längst überfällig, sagt Gerda Beisenkamp. Es sei gut und richtig, dass die Stadt Gladbeck dazu eingeladen habe. Für die Kirchhellenerin ist es übrigens keine Premiere. In den 1980er-Jahren, erinnert sie sich, sei sie dabei gewesen, als bei einer Friedensdemo die B 224 blockiert worden sei.
Fünf Beschäftigte der Stadtverwaltung – alle in Deutschland geboren, aber mit Eltern, die einst ihre Heimat verlassen haben – berichten vom Mikrofon aus von ihren Erfahrungen. Er fühle sich wohl und sicher in Gladbeck, sagt beispielsweise Ali Aziz. „Ich hatte eine schöne Kindheit in Gladbeck. Und die möchte ich für meine Kinder auch.“
Ayman Semmon, dessen Eltern aus dem Libanon stammen, hat auf der Kundgebung zufällig seinen alten Geschichtslehrer aus dem Gymnasium getroffen. Von ihm, erzählt er, habe er viel über Freiheit und Demokratie gelernt. „Dafür bin ich Ihnen dankbar“, ruft er seinem Lehrer zu. Gladbeck, so Semmon, sei bunt und vielfältig. „Und so soll es auch bleiben.“ Bürgermeisterin Bettina Weist erinnert daran, dass die Wirtschaft, die Kitas und Schulen oder das Gesundheitssystem ohne Menschen mit Migrationshintergrund längst nicht mehr funktionieren würde.
Im Publikum wird türkischer Tee gereicht – spendiert von der Gastronomie am Willy-Brandt-Platz. Auch sie will ihren Beitrag zu einer friedvollen Kundgebung leisten. Annette Sperl nimmt zum ersten Mal an einer solchen Veranstaltung teil. Warum? „Weil ich in der Schule aufgepasst habe“, sagt sie. „Und weil wir Gladbecker sind“, ergänzt ihr Mann.
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Für Musik zwischen den Wortbeiträgen sorgt Florian Nienerza. Er hat Geburtstag an diesem Samstag, und spontan stimmt das Publikum „Happy Birthday“ an. Der junge Musiker ist gerührt. „Das ist voll krass, echt extrem.“ So empfindet ebenfalls Propst Thomas Zander, der für die christlichen Kirchen bei der Kundgebung spricht, die Veranstaltung auf dem Willy-Brandt-Platz. Auch wenn er es anders formuliert: „Was für ein beeindruckendes Bild. So viele unterschiedliche Menschen vor dem Rathaus unserer Stadt.“
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