Gladbeck / Bottrop. Sexueller Missbrauch, begangen von katholischen Priestern, die steigende Migration: Was kann die Kirche noch retten? Bischof findet Antworten.
Grünkohl gab’s beim abendlichen Treffen des Rotary-Clubs Bottrop-Wittringen. Als Dessert tischte der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck eine schonungslose Analyse des Zustands der katholischen Kirche auf. Schwere Kost, aber die Rotarier zeigten sich dankbar für die offenen Worte, auch wenn das, was der Oberhirte von gut 650.000 Katholikinnen und Katholiken im Bistum Essen sagte, zumindest den der Kirche verbundenen Rotariern kaum gemundet haben dürfte.
Sexueller Missbrauch: Bischof spricht von „unglaublich schrecklichen Taten“
Overbeck hielt sich in seinem Referat, zu dem ihn der Rotary-Club Donnerstagabend in den Golfclub Schwarze Heide nach Kirchhellen eingeladen hatte, nicht lange mit der Vergangenheit auf. Die Kirche habe durch „unglaublich schreckliche Taten“ des sexuellen Missbrauchs von immerhin fünf Prozent aller Priester Vertrauen verloren. „Das kann man nicht zurückgewinnen“, resümierte er. „Man kann nur Neues gewinnen.“ Und das sei eine schwierige Aufgabe, habe die Gesellschaft doch in der Mehrheit keinen Bezug mehr zum Glauben. Von den 2,5 Millionen Menschen, die im Bistum Essen – dazu gehören unter anderem Bochum, Essen, Gelsenkirchen, Mülheim, Oberhausen, Gladbeck und Bottrop – lebten, sei etwa ein Viertel katholisch getauft. Die Tendenz: sinkend. Deutlich sinkend. Overbeck geht davon aus, dass es in einigen Jahren nur noch 500.000 Katholiken sein werden.
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Die Kirche stecke – wie überhaupt die Gesellschaft – in einem Umbruch gewaltigen Ausmaßes. Die Migration zum Beispiel werde allen Behauptungen zum Trotz zu-, nicht abnehmen. In jeder Hinsicht müsse Altes in Frage gestellt werden. „Wir sollten nicht einer Identität hinterherlaufen, die wir ohnehin nicht mehr haben“, sagte der Bischof. „Und das, was kommt, wird anders sein als das, was war.“
Overbeck: „Es wird eine Fluktuation zwischen den Sexualitäten geben“
Was bedeutet das für die katholische Kirche in seinem Bistum? Sie werde sich neu aufstellen müssen, betonte Overbeck. Auch im Blick auf die Lehre vom Menschen. Die Kirche müsse die Erkenntnisse der Wissenschaft endlich in ihr Menschenbild aufnehmen. 90 bis 95 Prozent der Menschen seien Mann oder Frau, fünf bis zehn Prozent aber nicht. Das könne die Kirche nicht einfach leugnen. „Es wird eine Fluktuation zwischen den Sexualitäten geben.“ Die Tradition der Kirche könne hilfreich sein, das zu akzeptieren. „Wir sehen den Menschen von Gott her, nicht nur als Produkt von genetischen Zufälligkeiten.“
Vor Ort werde die Kirche ihr Erscheinungsbild komplett ändern. „Die klassische Gemeinde wird sich relativ schnell auflösen“, sagte der Bischof. Nur noch an einem Ort werde es den klassischen Gottesdienst geben. „Eine gepflegte Liturgie“, so der Bischof, mit einer guten, ansprechenden Kirchenmusik. Mit dem Blick auf heute sagte er: „Dass so wenige Menschen zu den Gottesdiensten kommen, liegt auch an der Form der Gottesdienste.“
Künftig nur noch 70 bis 100 Kirchen im Bistum
Overbeck geht davon aus, dass es im gesamten Bistum nur noch 70 bis 100 Kirchen geben wird. Die Kirche werde aber auch eine neue Form der Unterstützung von Familien erarbeiten müssen. Und die Kirche werde spiritueller werden müssen. Vorbild könnten die Gemeinden in Afrika oder Lateinamerika sein. „Wie können wir uns von Gott berühren lassen?“, fragte der Bischof in die große Runde. Overbeck: „Wir werden die Stärke des katholischen Glaubens nur erleben, wenn wir uns als Weltgemeinschaft verstehen.“
Liegt die Zukunft der Kirche nicht auch in einer verstärkten Ökumene?, wurde der Referent aus den Reihen des Publikums gefragt. Sicherlich, antwortete der Bischof. „Als Christen müssen wir zusammenstehen. Gott ist nicht gespalten in katholisch und evangelisch. Das ist Menschenwerk.“
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Viel Beifall bekam der Bischof – übrigens selbst Rotarier – für seinen Vortrag. Und den hielt er außerhalb seines Bistums. Kirchhellen gehört schon zum Bistum Münster.