Gladbeck. Straßennamen spiegeln Geschichte wider. Etliche Straßen in Gladbeck sind umbenannt worden. Dafür gab‘s verschiedene Gründe.

Weggebombt, abgerissen, umbenannt: An Straßennamen – oder besser gesagt: an jenen, die eben nicht mehr existieren – lässt sich Geschichte in Gladbeck ablesen. Was wurde aus der Adolf-Hitler-Allee, der Hermann-Göring-Straße, dem Horst-Wessel-Platz, dem Hindenburgdamm und vielen anderen Adressen? Was geschah mit der Viktoriastraße?

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Auf der Gladbecker Stadtkarte ausradiert ist ebenfalls der Grazer Pfad. Stattdessen werden Suchende fündig unter Kieler Straße, Bezeichnung nach einer Umbenennung anno 1945. Und was ist mit der Straße der SA, dem Braunauer Winkel und anderen, deren Schilder seit zig Jahrzehnten abmontiert sind? Auf einige Fragen gibt‘s keine oder nur vage Antworten. In anderen Fällen liegt das „Warum“ auf der Hand.

Wer sich im Stadtarchiv Gladbeck in Akten und Dokumenten vergräbt, fördert so manches Detail zutage, das oftmals längst in der Versenkung verschwunden ist. Hitlers Geburtshaus stand im österreichischen Braunau am Inn. Klar, dass der nach dem Diktator in Gladbeck benannte „Winkel“ so nicht länger heißen durfte. Wer denkt denn heutzutage noch daran, wenn er auf der Münsterländer Straße unterwegs ist? Das ist der Name seit 1945.

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Überhaupt ist die Liste der umbenannten Straße nach dem verlorenen Weltkrieg und dem Ende der bitteren NS-Herrschaft lang. Die Getreuen Hitlers wollten den Führer und seine Helfershelfer ehren, ihnen ein Denkmal in Pflaster setzen. Der SA-Sturmführer bekam in Gladbeck seinen Horst-Wessel-Platz; es gab die bereits erwähnte Straße der SA (Konrad-Adenauer-Allee), nicht zu vergessen NSDAP-Größen. Allesamt ab 1945 Vergangenheit.

Die heutige Horster Straße wechselte von der Kaiserstraße vor der NS-Zeit zu Hermann-Göring-Straße wieder retour den Namen. Der einstige Reichsluftfahrtminister war unter Hitler aufgestiegen zum Oberbefehlshaber der Luftwaffe, dann steuerte er das Reichswirtschaftsministerium. Undenkbar war nach dem Zusammenbruch Deutschlands der Kriegsverbrecher als Namensgeber. Nach dem Intermezzo „Kaiserstraße“ von 1945 bis 1947 ist sie später als Horster Straße ein Begriff.

Das alte Rathaus in Gladbeck mit Stielmuspark von 1919 –auch hier hat sich einiges geändert. Repro: Michael Korte / FUNKE Foto Services
Das alte Rathaus in Gladbeck mit Stielmuspark von 1919 –auch hier hat sich einiges geändert. Repro: Michael Korte / FUNKE Foto Services © FUNKE Foto Services | Michael Korte

Etliche Straßen und Plätze erhielten zwischen den Jahren 1933 und 1945 Benennungen nach dem Gusto des NS-Regimes und seiner Anhängerschaft. Die heutige Vehrenbergstraße hieß einst Kirdorfstraße nach dem Ruhr-Industriellen und NSDAP-Mitglied mit Vornamen Emil. Dem SA-Sturmführer Horst Wessel wurde der jetzige Jovyplatz, auf den wir später noch einmal zurückkehren werden. Denn auch die aktuelle Bezeichnung verlief alles andere als glatt.

NS-Polit-Prominenz wurde mit Straßenbenennungen gewürdigt

Bei wem macht‘s „klick“, wenn er beispielsweise Albert Leo Schlageter hört? Der gebürtige Schwarzwälder gehörte der NSDAP-Tarnorganisation „Großdeutsche Arbeiterpartei“ an. „Verdienst“ genug, um die neue Schlageterstraße zu schaffen. Wo sie sich befand? Mitten in Gladbeck: Es ist seit 1945 die Wilhelmstraße. Die dem NS-Mann Heinz Oetting zugeeignete ist mittlerweile die Mittelstraße.

Auch lokale Größen ihrer Zeit wurden gewürdigt

Neben der damaligen Polit-Prominenz kamen in der NS-Zeit auch lokale Führer in Wort und Tat auf Straßenschildern zu Ehren. Da wäre zum Beispiel der Stoßtrupp-Führer Ludwig Knickmann aus Buer. Die nationalsozialistische Propaganda stilisierte ihn als „Märtyrer der Bewegung“. Wer heute seinen Weg über „Im Linnerott“ nimmt, geht auf der früheren Knickmannstraße, bis zum Jahr 1933 Adlerstraße.

Der Namensgeber kämpfte gegen die ins Ruhrgebiet eingerückten französischen und belgischen Besatzungstruppen, war bei Sabotageaktionen im Einsatz. Von einer belgischen Patrouille im Jahre 1923 angeschossen, flüchtete Knickmann und ertrank in der Lippe.

Ja, auch so sah das Herz von Gladbeck einmal aus. Repro: Michael Korte / FUNKE Foto Services
Ja, auch so sah das Herz von Gladbeck einmal aus. Repro: Michael Korte / FUNKE Foto Services © FUNKE Foto Services | Michael Korte

Aus der Josefstraße wurde 1936 die Danziger Straße, nach Kriegsende die Kehrtwende. Nicht vergeben waren Ende der 1930/1940 Jahre die Bezeichnungen für Wiener Weg, Hansestraße und Innsbrucker Straße, 1945 dann Hunsrücksstraße, Schulte-Berge-Straße und Bremer Straße, um nur einige zu erwähnen. Grund mag auch hier die deutsche Vergangenheit sein, so Stadtarchiv-Mitarbeiter Niklas Häusler. Er verweist auf die Lothringer Straße (heute: Am Allhagen), die aufgrund der Kontrollratsdirektive Nr. 30 namentlich aus dem Stadtbild entfernt wurde. Sie besagte, dass „in allen Besatzungszonen öffentliche Denkmäler, Straßenschilder, Museen und andere Einrichtungen auf ihren militärischen und nationalsozialistischen Gehalt überprüft werden“. Als Folge der Kontrolle konnten Beseitigung oder Veränderungen, beispielsweise von Inschriften, stehen.

Der Hindenburgdamm in Gladbeck ist längst Geschichte

Werfen wir einen Blick auf die nicht mehr existente Bismarckstraße (Friedenstraße) und den Hindenburgdamm (Friedrich-Ebert-Straße), die ebenfalls, wie Städte und Regionen, nicht mehr gewünscht waren. Und da wir uns gedanklich einmal in der Gegend befinden: Der Name für den Jovyplatz setzte eine zähe Diskussion in Gang.

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In einem Schreiben vom 12. April 1932 ist zu lesen: „Nach Verwaltungspraxis und Rechtsprechung wird das Recht zur Benennung von Strassen und Plätzen als ein ausschließlich staatliches Polizeirecht gesehen.“ Und weiter heißt es als Begründung: „Die Bezeichnung von Strassen eines Ortes mit Namen und der einzelnen Wohngebäude mit Nummern dient nicht lediglich zur Erleichterung des Verkehrs auf der Strasse, sondern bezweckt eine Individualisierung der einzelnen Wohngebäude, die eine unentbehrliche Voraussetzung für das Zusammenleben einer grösseren Anzahl von Menschen (...) ist.“

Aus für Kardinal-Hengsbach-Platz

Nachdem im vergangenen Jahr dem 1991 verstorbenen Ruhrbischof Franz Hengsbach Missbrauch vorgeworfen wurde, haben Städte landauf, landab dem Geistlichen gewidmete Straßen und Plätze umbenannt. So auch in Gladbeck.

Nach dem ehemals vielfach verehrten ersten römisch-katholischen Bischof von Essen war in Zweckel der Kardinal-Hengsbach-Platz benannt. Das ist Geschichte. Die Mitglieder des Haupt-, Finanz- und Digitalisierungsausschusses beschlossen im Oktober nach ausgiebiger Diskussion, der Stelle im Herzen des Stadtteils, im Schatten der Herz-Jesu-Kirche, den Namen Zweckeler Platz umzubenennen.

Unterlagen im Stadtarchiv ist zu entnehmen, dass manche Straßenumbenennungen nicht auf Ratsbeschlüssen fußten. Es handelte sich um „öffentlich bekannt gemachte Änderungen mit Genehmigung der Militärregierung“, wie oben ausgeführt. Der Oberstadtdirektor ließ im Dezember 1947 melden: „Falls sich die Lieferung der neuen Straßenschilder weiter verzögert, werde ich in nächster Zeit provisorische Schilder anbringen lassen.“

Anno 1932 die in Gladbeck die Entscheidung: Die Fläche vor dem Finanzamt soll Jovyplatz heißen.
Anno 1932 die in Gladbeck die Entscheidung: Die Fläche vor dem Finanzamt soll Jovyplatz heißen. © FUNKE Foto Services | Thomas Schmidtke

Im Falle des Jovyplatzes nach Kriegsende rangen in der Stadtverordnetenversammlung Konservative, Stadt- und Polizeiverwaltung und SPD um den Namen. Ergebnis im Jahre 1932: „Der freie Platz vor dem Finanzamt hat die Bezeichnung Jovyplatz erhalten. Die neue östlich des Rathauses vorbeiführende Strasse von der Hochstrasse bis zu Lambertistrasse führt die Bezeichnung „Friedrich-Ebert-Strasse.“ Es folgte eine Hausnummernänderung: alt Friedrichstraße 74 wurde zu Jovyplatz Nr. 4 (Finanzamt). Die Lothringer Straße 6, 8, 10, 12, 14, 16, 18, 20, 22 und 24 erhielten die Anschriften Jovyplatz 6, 8, etc. – In der Dorfheide 1 hatte als neue Anschrift Jovyplatz 26.

Gebäude durch Kriegseinwirkung zerstört
Aufzeichnung im Stadtarchiv

Bomben haben dazu geführt, dass manche Orte ausgelöscht wurden. So ist über die Droste-Hülshoff-Straße 8 (Viktoriastraße) im Archiv zu lesen: „Das Gebäude wurde im Krieg zerstört. Die Straße existiert nicht mehr.“ Gleiches ist über die Droste-Hülshoff-Straße 11 zu lesen. Auch das Lyzeum an der Straße gibt‘s nicht mehr – „durch Kriegseinwirkung zerstört“.

So sah einmal die Viktoriastraße in Gladbeck aus. Sie gibt‘s nicht mehr. Repro: Michael Korte / FUNKE Foto Services
So sah einmal die Viktoriastraße in Gladbeck aus. Sie gibt‘s nicht mehr. Repro: Michael Korte / FUNKE Foto Services © Gladbeck | Michael Korte

Dass besagte Viktoriastraße weg ist, geht auf Stadtplaner zurück. Sie verlief von der Bottroper Straße über den heutigen Willy-Brandt-Platz bis zur Friedrichstraße. Niklas Häusler erklärt, dass sich im Laufe der Zeit einfach Straßenführungen verändert haben, man denke an den Bau der A2. So entstand zum Beispiel unter anderem zwischen 1898 und 1908 die Waldstraße, deren historischer Verlauf, so die Anmerkung, untergegangen ist. Die Behmer(t)straße wurde „teilweise eingezogen“. Schenkendiek, Timmerhoff, Mottbruchstraße und wie sie alle heißen, fallen in die Kategorie „untergegangen“. Über die Burgstraße (Mühlenbachstraße) sind komprimiert Veränderungen zu erfahren: „Auf der ursprünglichen Trasse im Stadtplan ,vor‘ dem Bau der B224 (Verbandsstraße) und A2 vor ,alter Trasse‘ Bohmertstraße nach Süden bis zur alten Ellinghorster Straße (heute Kösheide). Und aktuelle Maßnahmen in Stadt und Umfeld werden weiteren Wandel mit sich bringen.

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