Gladbeck. Die Ruhrbesetzung 1923 durch Franzosen und Belgier setzte den Gladbeckern schwer zu. Stadthistoriker Christian Schemmert erzählt von damals.

Den „Einmarsch der Franzosen in Essen“ vermeldete die Gladbecker Zeitung am 11. Januar 1923, und damit begann auch die etwa zweijährige Besatzungszeit durch französische und belgische Truppen in Gladbeck, die zu starken wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen in der Bergbaustadt führen sollten. Nur einen Tag später, am 12. Januar, berief Oberbürgermeister Michael Jovy im Ratssaal des Gladbecker Rathauses eine außerordentliche Stadtverordnetenversammlung ein, die mit einer Entschließung endete.

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Darin rief Jovy die Bevölkerung dazu auf, sich ruhig zu verhalten und sich nicht spalten zu lassen. Er nahm dabei Anleihen bei Friedrich Schillers „Wilhelm Tell“: „In innerer Geschlossenheit“ wolle man „sein, ein einig Volk von Brüdern“. Die Sorge vor der Spaltung der Nation habe die Menschen bewegt, daher die gleichzeitige Beschwörung der Volksgemeinschaft, deren Existenz ein „Sehnsuchtsglaube“ gewesen sei, der zu diesem Zeitpunkt alle Parteien von Zentrum bis KPD hinter sich vereint habe, erläutert Christian Schemmert, Leiter des Stadtarchivs in Gladbeck.

Gladbecker Arbeiter leisten „passiven Widerstand“ gegen die Ruhrbesetzung

Vor genau 100 Jahren ereigneten sich diese bewegten und bewegenden Monate in Gladbeck und im gesamten Ruhrgebiet, die mit der „Ruhrbesetzung“ durch die Alliierten ihren Anfang nahmen. In Gladbeck waren es zunächst die Franzosen in einer Stärke von 600 Soldaten, die jedoch bereits am 24. Januar 1923 wieder abzogen. Ihnen folgte die belgische Besatzungsmacht mit etwa 3000 Soldaten. Sie sollte bis Juli 1925 bleiben.

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Auf diesem Wege wollten die Alliierten nach dem Ersten Weltkrieg ausstehende Reparationszahlungen eintreiben. Doch seitens der Reichsregierung erfolgte der Aufruf zum passiven Widerstand, dem sich sowohl Gladbecker Kumpel als auch die Eliten der Bergwerke, unter anderem der Zeche Zweckel, der Möllerschächte und Moltke I/II, anschlossen. Der passive Widerstand konnte nur durchgehalten werden, indem der Staat den Lohn für die - nicht geleistete – Arbeit zahlte.

Die Rentenmark stoppt in Gladbeck die Hyperinflation

Doch die dafür notwendigen Geldmittel waren nicht vorhanden, so wurde einfach ständig neues Geld gedruckt. Die Inflation, die schon seit 1914 durch die Aufnahme von Kriegskrediten grassierte, wurde im Sommer 1923 zur Hyperinflation. Während das Geld in seinem Wert stetig abnahm, stiegen die Preise ins Unermessliche. Erst nachdem der passive Widerstand im September 1923 durch Gustav Stresemann beendet und im November die Rentenmark eingeführt wurde, konnte sich die Wirtschaft erholen. Der Versorgungsalltag der Gladbecker Bevölkerung gegen Ende des Jahres 1923 dokumentiert anschaulich das Währungsgefälle. Als kleines Beispiel: Im November 1923 kostete ein Kilo Roggenbrot 233 Milliarden Mark, ein Kilo Rindfleisch schlappe 4,8 Billionen.

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Für eine Billion Papiergeld gab es bei der Währungsreform eine Rentenmark. Die Zeit der Hyperinflation parallel zum Regime der Besatzungsmacht forderte viel von der Gladbecker Bevölkerung, wie auch in den archivierten Presseberichten deutlich wird. Im Vergleich zu anderen Städten sei Gewalt durch die Besatzungsmacht in Gladbeck an der Tagesordnung gewesen, so Christian Schemmert, dem allerdings als Historiker wichtig ist, zu betonen: „Der Umgang mit den Akten wirft zahlreiche methodische Probleme auf. Zum Beispiel fehlt die Täterperspektive, und auch die Erfahrungshintergründe der belgischen Soldaten kennen wir nicht“.

Konflikte zwischen Gladbeckern und Belgiern

Not, die gab es auf beiden Seiten, was zu Diebstählen führte, doch eine „Bürgerkriegsstimmung ist in Gladbeck ausgeblieben“, sagt der Archivleiter. Zahlreiche Eingaben und Beschwerden bei der Stadtkommandantur sind im Stadtarchiv dokumentiert. Kommandant Moulin galt als besonders gewaltbereit und lebte seinen Soldaten diese Haltung vor. Er wurde 1924 abgelöst. So findet sich neben vielen anderen eine Meldung des Polizeiamtes Gladbeck, dass am 26. Juni 1923 der Arbeiter Albert S. „ohne irgendeine Veranlassung von einem belgischen Offizier mit einer Reitpeitsche schwer über den Kopf und durch das Gesicht geschlagen“ worden sei.

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Hinzu kamen Meldungen über willkürliche oder sexuelle Misshandlungen, so dass „Gladbecks Stadtoberhaupt den Stadtkommandanten mehrfach bittet, die Übergriffe, wenn schon nicht einzustellen, so doch ‚auf das geringst mögliche Maß‘ herabzumindern“, zitiert Christian Schemmert aus den Akten. Weiter führt er aus, es sei für Gladbeck und seine Menschen eine „extrem schwierige Zeit“ gewesen, wie auch für Oberbürgermeister Michael Jovy, der bereits am 27. Februar 1923, gemeinsam mit den Industriellen Hugo Stinnes und Fritz Thyssen, von den Besatzungsmächten festgenommen und seines Amtes enthoben wurde. Erst Ende 1923 leitete Jovy erstmals wieder eine Ratsversammlung.

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