Gladbeck. Vor 60 Jahren ging’s um die Aussöhnung nach dem Krieg. Wie blicken französische und deutsche Schüler am Ratsgymnasium heute auf den Austausch?
Da lassen die Jugendlichen keine Zweifel aufkommen: Schüleraustausche sind für alle Beteiligten ein großer Gewinn. „Die beste Zeit meines Lebens“, schwärmt Lenja Wiedemann aus der Jahrgangsstufe 12 des Gladbecker Ratsgymnasiums. Das hat in dieser Woche 60 Jahre Schüleraustausch mit der „Institution Libre de Marcq“ aus der französischen Partnerstadt Marcq-en-Barœul gefeiert.
Und natürlich sind dazu Gäste aus dem Norden Frankreichs nach Gladbeck gekommen. Mahé Andriamihoatra Rakoto und Briac Trochon gehören zu der 26-köpfigen Gruppe, die deutsches Familien- und Schulleben kennenlernt. „Sehr cool, ganz toll“, antworten sie in gutem Deutsch auf die Frage, wie es ihnen in Gladbeck und am Ratsgymnasium gefällt.
Kultur-Clash in Gladbeck: Schule nur bis Nachmittags?
Was erhoffen sie sich von dem Schüleraustausch? Einen Einblick ins deutsche Alltagsleben, in die Kultur und eine Verbesserung ihrer Deutschkenntnisse. „Man lernt die Sprache viel besser“, sagt Mahé Andriamihoatra Rakoto. Und die Motivation, sich mit der Fremdsprache auseinanderzusetzen, wachse durch den Aufenthalt.
Erstaunt sind sie über den Schulalltag am Ratsgymnasium. Am Nachmittag schon Schulschluss? Das kennen die Gymnasiasten aus Marcq-en-Barœul nicht. Ihr Schultag dauert bis in den frühen Abend. Vor 18 Uhr sind sie selten zu Hause. Erst dann haben sie Zeit für ihre Hobbys. Mahé Andriamihoatra Rakoto macht Rhythmische Sportgymnastik, Briac Trochon spielt Klavier, Schlagzeug und Tennis.
Neue Kontakte durch Schüleraustausch – auch unter Gladbecker Schülern
Die beiden Pennäler aus der Jahrgangsstufe 11 der „Institution Libre de Marcq“ sind sich sicher, dass sich ihre Erwartungen an den Schüleraustausch voll und ganz erfüllen. Und das gilt auch für Zehntklässler Leon Roß, in dessen Familie Briac Trochon in dieser Woche lebt. „Ich spreche Deutsch mit ihm, er Französisch mit mir“, erzählt Leon Roß vom täglichen Miteinander. Nur wenn’s ganz schnell gehen müsse, wechsle man ins Englische.
Der Gladbecker Zehntklässler freut sich nicht nur über neue Freundschaften mit den Jugendlichen aus Frankreich, er hat auch beobachtet, dass innerhalb der deutschen Schülerschaft durch die Betreuung der Gäste ganz neue Kontakte entstehen. Leon Roß will auch im kommenden Jahr am Schüleraustausch teilnehmen.
60 Jahre nach de Gaulle: Gladbecker Schüler brennen noch immer für den Austausch
Auch Luisa Bechmann, deren Familie ebenfalls eine Gastschülerin aus Marcq-en-Barœul aufgenommen hat, will 2024 mit nach Frankreich fahren und neue Erfahrungen sammeln. Der Schule rechnet sie es hoch an, dass sie einen solchen Austausch auf die Beine stellt. „Ich glaube auch, dass die Schülerinnen und Schüler es wertschätzen.“
Schon 60 Jahre organisieren die beiden Schulen diesen Austausch. Im Frühjahr reisen deutsche Jugendliche nach Frankreich, im Herbst steht der Gegenbesuch an. Die Verbindung zwischen dem Ratsgymnasium und der „Institution Libre de Marcq“ gehört damit zu den ältesten in Deutschland und wurde nur ein Jahr nach der „Rede an die deutsche Jugend“ des französischen Präsidenten Charles de Gaulle ins Leben gerufen.
Schüleraustausch für „Aussöhnung der Deutschen und Franzosen“ nach dem Krieg
Etwa 20.000 jubelnden Jugendlichen versuchte de Gaulle seinerzeit in Ludwigsburg zu verdeutlichen, dass sie als „Kinder eines großen Volkes“ eine zentrale Rolle spielten für die gelebte Aussöhnung zwischen Deutschen und Franzosen, für den Kampf gegen den Kommunismus und für die Bekämpfung der Unterentwicklung in der Welt allgemein.
Nein, so hoch haben Lenja Wiedemann und Shayan Tajvari ihre Erwartungen an den Schüleraustausch nicht gehängt. Sie waren im vergangenen Jahr in Marcq-en-Barœul und berichten immer noch voller Begeisterung von der einen Woche.
Wichtiger Tipp: Sich auf den „Geist des Austausches“ einlassen
Shayan Tajvari wollte erst gar nicht an dem Zusatzangebot der Schule teilnehmen. „Ich habe mich mit Händen und Füßen gewehrt“, erzählt er. Wie ist’s mit der Sprache? Komme ich mit der fremden Kultur klar? Viele Ängste habe er gehabt, sagt der Zwölftklässler. Seine Lehrerin habe ihn schließlich von der Teilnahme überzeugen können, und er habe es nicht bereut. „Eine Super-Erfahrung“. Gleich ein Jahr später hat er beim Italien-Austausch mitgemacht. Man müsse aber, gibt der junge Gladbecker zu bedenken, sich auf den „Geist des Austausches“ einlassen und dürfe ihn nicht als „Reise einer deutschen Schülergruppe nach Frankreich“ verstehen.
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Auch Tolga Koca, der als Lehrer für den Schüleraustausch mit Frankreich und Italien verantwortlich zeichnet, ist vom Gewinn überzeugt. Auch wenn die Lehrerinnen und Lehrer bemüht seien, die Kinder und Jugendlichen im Unterricht viel in der Fremdsprache sprechen zu lassen, so gebe der Austausch mit Muttersprachlern noch einmal einen neuen Schub. „Und man lernt auch als Lehrer dazu.“
Siebtklässler Maximilian Weiss lernt erst seit zwei Monaten Französisch. Die Begegnung mit den Gästen am Ratsgymnasium, die sich am Donnerstagabend am Festprogramm in der Schulaula beteiligten und dafür einen Tag lang intensiv probten, haben ihn aber überzeugt: In einigen Jahren will er auch nach Marcq-en-Barœul.