Gladbeck. Der Gladbecker Andreas Jelonnek (57) pilgert wieder auf dem Jakobswegs und gibt Tipps. Die Reise hat einen ernsten, persönlichen Hintergrund.
Man sollte meinen, wer einmal nach Santiago de Compostela gepilgert ist und sein Ziel erreicht hat, verspürt erst einmal keinen Drang mehr, 791 beschwerliche Kilometer erneut unter die Wanderstiefel zu nehmen. Aber mit dem Ziel ist das so eine Sache. Vergebung der Sünden am Grab des Apostels? Buße? Ein Zeichen der Dankbarkeit? Andreas Jelonnek aus Gladbeck macht sich zum dritten Male auf den Jakobsweg, auf die Suche nach Antworten. Diese erhofft sich der 57-Jährige auf dem „Camino duro“, das ist die Intention. Diesmal hat die Pilgerreise einen ernsten, persönlichen Hintergrund. Und so manchen Tipp hat der 57-Jährige auch noch parat.
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Eben noch hoch über den Wolken, nun, kaum dem Flieger entstiegen, legt Andreas Jelonnek bereits die ersten Kilometer seines Weges zurück. Er startet, wie so viele Menschen, die berühmte Pilgerreise erneut im französischen St-Jean-Pied-de-Port, einem 1500-Seelen-Örtchen in den Pyrenäen, an der Grenze zu Spanien. Doch schon dorthin zu gelangen, erfordert Planung. Jelonnek erzählt: „Eigentlich wollte ich von Düsseldorf nach Biarritz fliegen, aber die Preise für diese Flugverbindung sind so gestiegen, dass ich mir es mir anders überlegt habe.“ San Sebastián heißt das Ziel der ersten Station. Jene spanische Stadt mit dem berühmten Strand La Concha, der seinen Namen wegen seiner Form trägt: Muschel. Dieses Schalentier wird Pilger Andreas für geplant 28 Tage auf Schritt und Tritt begleiten. Die Jakobsmuschel ist das wichtigste Erkennungszeichen für Pilger auf dem Jakobsweg.
Im Gepäck hat Andreas Jelonnek (57) aus Gladbeck viele Erfahrungen
Ein Taxi von San Sebastián nach St-Jean-Pied-de-Port gönnt sich Jelonnek, schließlich wird der „Harte Weg“ noch strapaziös genug. „Klar, es ginge auch per Bus. Doch dann dauert die Fahrt drei Stunden statt 50 Minuten im Auto“, erläutert der 57-Jährige. Dieses Extra ist auch so ziemlich die einzige Annehmlichkeit auf der Strecke nach Santiago de Compostela. Einen wahren Schatz hat er jedoch dabei: wertvolle Erfahrungen.
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Nach den Jahren 2016 und 2018 wagt Jelonnek einen erneuten Durchlauf. Selbst wenn er vieles kennt: Eine Herausforderung bleibt’s. „Ich bin ja nicht jünger geworden!“ Manche „Fehler“ aus der Vergangenheit will er keineswegs wiederholen. Hatte er einst großen Wert auf Stücke wie eine elektrische Zahnbürste gelegt, zählt nun vor allem eines: Das Gepäck soll so leicht wie möglich sein. „Drei T-Shirts, drei Unterhosen, drei paar Socken plus ein Oberhemd für Konferenzen, das gehört zur Grundausstattung“, so der Berater im Energiemanagement. Wofür denn in Gottes Namen bloß das Hemd? „Ich arbeite auch unterwegs“, lautet die Antwort.
25 bis 40 Kilometer pro Tag wird der Gladbecker zurücklegen: über Stock und Stein, steil bergauf und bergab, durch Wind und Wetter, Ödnis und einsame Dörfer. „Da verbrenne ich täglich 4000 bis 5000 Kalorien“, erklärt er. Und die müssen aufgefüllt werden. Ein dickes Paket Proviant steckt er nicht in den Rucksack, das müsste er ja schleppen: „Wo es möglich ist, kaufe ich unterwegs ein. Ich packe vielleicht eine Banane, einen Apfel, Nüsse und einen Liter Eiscreme ein. Und zwei Liter Wasser.“ Letzteres leider in Plastik- statt Glasflaschen wegen des Gewichts.
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Stärkung werde in den Orten angeboten. Blick aufs Pilgermenü: Suppe, Eintopf mit Gemüse, dazu ein Viertelliter Roten. Jelonnek übernachtet in Herbergen. Da beißt er „in den sauren Apfel“, liegt in Zwölf-Mann-Zimmern, in denen einer schnarcht, ein anderer pupst, ein dritter vielleicht im Schlaf spricht. Lichtblick ist ein Benediktiner-Kloster in Samos, „da kann man ein Einzelzimmer buchen“.
100 Kilometer vor dem Ziel Santiago de Compostela wird’s eng im Endspurt
In aller Herrgottsfrühe macht sich der Gladbecker auf die Socken, dann ist es nicht so voll auf der Strecke. Schnatternde Menschengruppe, die im Gänsemarsch gehen – nicht nach seiner Vorstellung. Er hat seinen eigenen Rhythmus. Wenn er ein paar Kilometer mit jemanden den Weg teilt, okay. Dann könne man sich austauschen. Auf dem letzten 100 Kilometern vor Santiago de Compostela werde es zum Endspurt eng: „Die muss man nachweislich gelaufen sein, um anerkannt zu werden.“ Manche Menschen, die Etappen auch per Auto oder Zug zurückgelegt haben – für den 2,07-Meter-Mann Jelonnek mit Schuhgröße 49,5 ein No-go –, klinken sich dann wieder ins Fußvolk ein.
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Offen gesteht der 57-Jährige: „Vor einer Phase graut mir jetzt schon, weil sie absolut monoton ist.“ Felder, nichts als Felder, abwechselnd mit Kargheit. Da entstehe das Gefühl, keinen Schritt voranzukommen. Andere Passagen sind landschaftlich reizvoller, aber extrem anspruchsvoll. Erst geht’s hoch hinauf, dann gefährlich abstürzend hinunter. In Cruz de Ferro, am eisernen Kreuz, legen Menschen Steine nieder, die sie von daheim hierher getragen haben. Ein ritueller Akt, der den Rucksack erleichtert, den huckepack sowie den in der Seele und im Herzen.
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Aber warum nimmt der 57-Jährige die Route ein weiteres Mal auf sich? Weil aller guten Dinge drei sind? Aus symbolischen Gründen, beispielhaft sei hier die Heilige Dreifaltigkeit genannt? Aus Ehrgeiz und Selbstbestätigung? Nichts von alledem! Andreas Jelonnek versucht, die Motivation der Menschen und seine eigene in Worte zu packen. Und Beweggründe existieren ebenso viele wie Pilger – mindestens. Er habe mal auf der Strecke einen Mann getroffen, der die Asche seiner verstorbenen Frau bei sich trug. „Nicht nur Trauer und Schicksalsschläge bringen Leute dazu, nach Santiago de Compostela aufzubrechen. Für mich ist es der Weg zu mir selbst. Was bin ich? Was ist Gott für mich?“ Der Antrieb ist in Jelonneks Augen „etwas ganz Individuelles und Persönliches“: „Etwas zwischen mir und einem Überwesen.“
Bescheiden sagt der Gladbecker: „Die meisten Menschen haben für solche Fragen keine Zeit, weil sie im Hamsterrad des Alltags stecken.“ Sie könnten es sich schlichtweg nicht leisten, sich wie dereinst Hape Kerkeling auszuklinken und zu sagen: „Ich bin dann mal weg!“ Jelonnek fühlt sich privilegiert, „dass ich noch einmal diesen Weg gehen darf“. Interessant sei, dass „70 Prozent der Pilger nicht katholisch sind, sie gehören keiner Kirche an, sind konfessionslos.“
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Sein erster Durchgang, die Premiere, sei aus einer „sportlichen Intention“ geschehen: „Mal sehen, ob ich das machen kann.“ Jelonnek erreichte das Ziel, die Kathedrale in Santiago de Compostela. Auch bei Reise Nummer zwei war’s so. Da hatte Jelonnek eher Spiritualität im Kopf. Der 57-Jährige sagt: „Antworten habe ich scheinbar nicht auf alle Fragen bekommen.“ Vor allem die Sinnfrage beschäftigt das jüngste von fünf Geschwistern. Die Mutter ist kurz vor Weihnachten im vergangenen Jahr gestorben. Vielleicht erleichtert der Pilgerweg die Trauerarbeit. Zwei Erkenntnisse habe er bereits aus Gesprächen auf dem Pilgerweg gewonnen: „Nimm’ Dich selber nicht so wichtig, anderen geht’s viel schlechter. Sei dankbar für das, was Du hast!“ Der Gladbecker, der auf Antworten auf seine innersten Fragen hofft, „kann sich vorstellen, dass diese Pilgerreise nicht die letzte für mich sein wird“.
Buen Camino! – Guten Weg!
Andreas Jelonnek berichtet in einem Blog von seinen Erlebnissen auf dem Pilgerweg: andreasjelonnek2023.blogspot.com